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(picture alliance) Gibts bloß noch als Brettspiel: Risiko

Exzessive Vorsorge - Bloß kein Risiko!

Wir rennen zur Vorsorge, programmieren unser Navi und tragen beim Fahrradfahren einen Helm – bloß kein Risiko eingehen! Doch treiben wir unserem Leben damit nicht die Lebendigkeit aus? Das fragt sich Amelie Fried

Das Leben hat eine unangenehme Eigenschaft: Es ist lebensgefährlich. Und das empört uns. Was bildest du dir ein, Leben? Schließlich fliegen wir auf den Mond, klonen Schafe, spalten und verschmelzen Atome – da wird es doch wohl möglich sein, dir deine Risiken auszutreiben! Also checken und scannen wir dieses Leben, bevor es noch mit bloßem Auge sichtbar ist, wir prüfen und optimieren seine Qualität, damit auf jeden Fall ein gesundes Kind zur Welt kommt, das im Kindergarten Chinesisch lernen und später eine Elite- Uni besuchen kann.

Damit es die Zeit bis dahin unbeschadet übersteht, setzen wir ihm einen Helm auf, sobald es das Babybett verlässt, packen es in monströse Schutzmonturen und transportieren es in TÜV‑geprüften, bruchfesten Kindersitzen. Wir schließen sämtliche Versicherungen für Schadensfälle von Arbeitslosigkeit bis Zahnausfall ab und wiegen uns in der Illusion, damit seien wir vor den Unwägbarkeiten des Schicksals geschützt.

Alles in unserem Leben muss optimal laufen. Bloß keine Zeit verlieren, und vor allem kein Risiko eingehen. Wir programmieren unser Navi, um so schnell wie möglich den nächstgelegenen Briefkasten zu finden, checken Hunderte von Gästebewertungen, bevor wir ein Hotel buchen, und vergewissern uns, dass vor uns 680 Kunden diese Kaffeemaschine gekauft und nicht nach einer Woche aus dem Fenster geworfen haben. Wir rennen zu Vorsorgeuntersuchungen von Organen, deren Existenz uns unbekannt war, und entdecken dabei Auffälligkeiten, die besser unentdeckt geblieben wären, weil sie uns nie beeinträchtigt hätten. Wir sind so besessen von dem Wahn, jede potenzielle Gefahr auszuschalten, dass wir wohl bald nicht mehr das Haus verlassen, ohne den aktuellen Meteoritenflugbericht zu lesen.

Früher haben wir uns ins Auto gesetzt und sind einfach losgefahren. Haben irgendwo gegessen, irgendwo übernachtet, sind irgendwo angekommen. Mal war’s toll, mal nicht so, aber jeden Moment konnte etwas passieren. Das Leben war so, wie es sein sollte: unberechenbar und deshalb lebendig. Heute setzen wir alles daran, dem Leben seine Lebendigkeit auszutreiben. Bevor wir riskieren, schlecht zu essen oder eine Nacht in einem miesen Hotel zu verbringen, bleiben wir lieber zu Hause und googeln ein paar Krankheiten, die uns womöglich befallen könnten. Am Ende besitzen wir alle die optimale Kaffeemaschine und werden dank exzessiver Vorsorge sehr alt. Aber wir werden uns dabei furchtbar langweilen.

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