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Piratenexperte - „Der Piraten-Wahlkampf grenzt schon an Betrug“

In seinem Buch „Digital Naiv“ greift Autor und Ex-Piraten-Mitarbeiter Johannes Braun die Piratenpartei frontal an. Im Gespräch mit Cicero Online erklärt Braun, warum er Liquid Democracy für gescheitert hält und er den Piraten mangelnde Internet-Kenntnisse bescheinigt

Autoreninfo

Bachelor in Politik- und Kommunikationswissenschaft. Studiert Internationale Beziehungen im dänischen Aarhus.

So erreichen Sie Sascha Brandt:

Herr Braun, was genau stört Sie an den Piraten?
Sie sind so verstrahlt, dass man sagen könnte: Immer das Gegenteil von dem, was die Piraten sagen, ist wahr. Beispiel Netzpolitik: Die Piraten schreiben überall, das Internet sei ein freies Medium. In Wirklichkeit haben wir gesehen, dass das Internet das bestüberwachte Medium in der Geschichte der Menschheit ist. Aus meiner Zeit als Mitarbeiter der Piraten-Fraktion im Saarland weiß ich, dass sich die Piraten in der Politik viel zu wenig angestrengt haben. Sie kamen um 10 oder 11 Uhr ins Büro und sind schon wieder gegen 15.30 oder 16 Uhr gegangen.

Durch mehr Anstrengung hätten die Piraten mehr in der Politik erreichen können?
Ja, durch zeitliche und inhaltliche Anstrengung. Da mangelt’s.

Sie selbst haben als Referent der Piratenfraktion im Saarland gearbeitet. Was hat Sie zunächst zu den Piraten getrieben?
Mehrere Punkte, die die Piraten ausgestrahlt haben: Zunächst, dass sie die Generation der Unter-35-Jährigen am besten vertreten. Diese Generation wird in der Politik mangelhaft repräsentiert. Auch die Grünen sind eher die Partei der älteren Lehrer und Angestellten. Zweitens dachte ich, die Politik müsse kreativer werden. Zum Dritten gehe ich bis heute davon aus, dass die Politik noch mehr Internetkompetenz braucht – zum Beispiel bei der Gestaltung des Informatikunterrichts, der oft nur rudimentär an den Schulen vorhanden ist. Da dachte ich, dass die Piraten etwas mehr Innovation in die Politik bringen könnten.

Wie in Ihrem Buch nachzulesen, sind diese Erwartungen enttäuscht worden. Lag die Motivation für das Buch vielleicht auch in persönlichen Erfahrungen mit Mitgliedern der Piraten?
Ich halte viele Abgeordnete nach wie vor persönlich für sehr nett. Das kann ich trennen. Einzelne Piraten-Mitglieder sind sicherlich auch im Bereich der Informatik kompetent. Nur im Allgemeinen haben die Piraten politisch viel versprochen und sehr wenig geliefert.

Trotzdem ist Ihr Buch zunächst anonym erschienen. Warum?
Das war eine Entscheidung des Verlags. Als das mit dem Buchprojekt anfing, arbeitete ich noch in der Fraktion und der Verlag wollte bereits eine Vorschau drucken. Mir wäre es lieber gewesen, wenn das Buch von Anfang an unter meinem Namen erschienen wäre.

[gallery:Die Piratenpartei. Ein Landgang auf Bewährung]

Nun beschäftigen wir uns seit Wochen mit der NSA-Affäre – Datenschutz und Transparenz sind Kernthemen der Piraten. Ist es nicht wichtiger denn je, dass eine Partei genau diese Themen besetzt?
Das ist das Image der Piraten. Dann muss man sich aber anschauen, dass die Piraten ohne Not zum Beispiel massiv auf Facebook vertreten sind. Dabei sammelt Facebook so viele Daten, wie es nur kann – und erstellt Schattenprofile von Menschen, die gar nicht bei Facebook angemeldet sind. Es ist peinlich, dass die Piraten auf Facebook sind. Was will die Partei da zur NSA-Affäre sagen? Außerdem kann jeder schon heute seine Daten verschlüsseln. Dafür brauche ich die Piraten nicht.

Ein weiteres Kernanliegen der Piraten ist die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung der Gesellschaft. Verändert sich unsere Gesellschaft durch das Internet nicht?
Es verändert sich tatsächlich viel. Einiges schneller, einiges langsamer als man gedacht hat. Aber gerade in der Politik ändert das Internet gar nicht viel oder ist sogar schädlich. Die Piraten haben bewiesen, dass es zu dem repräsentativ-parlamentarischen System keine Alternative gibt – und vielleicht muss es die auch gar nicht geben. Bei dem Konzept der Piraten, Liquid Democracy, hat sich außerdem in der Praxis gezeigt, dass die Menschen gar nicht im Detail abstimmen wollen.

Haben Sie Beispiele?
Ein gutes Beispiel ist Liquid Friesland, ein Online-Feedback-System, das nach dem Vorbild von Liquid Democracy entwickelt worden ist. Das Projekt ist in meinen Augen gescheitert: Noch nicht einmal 500 Bürger haben sich überhaupt einen Zugang geholt (Anm. d. Red.: Der Landkreis Friesland hat mehr als 97.000 Einwohner). Auch die Piraten selbst liefern ein gutes Beispiel für das Scheitern von Liquid Democracy: Als es im vergangenen Jahr die Debatte um Beschneidung gab, wollte der nordrhein-westfälische Landesverband der Piraten die Meinung seiner Mitglieder einholen – gerade einmal 20 haben sich dann beteiligt. Auch im Saarland kamen von der Basis teilweise nur drei Meinungen zu einer Gesetzesvorlage. Mit dem repräsentativen System haben wir eine Grundlage, die funktioniert. Die Ideen der Piraten funktionieren bisher überhaupt nicht.

Trotzdem halten die Piraten an dem Konzept Liquid Democracy fest.
Es schockiert mich, dass die Piraten immer noch mit den alten Sprüchen zur Bundestagswahl antreten. Die Arbeit in allen vier Landtagen hat gezeigt: Es funktioniert im Alltag nicht. Das grenzt schon an Betrug, damit jetzt wieder bei der Bundestagswahl anzutreten.

Nun ist Liquid Democracy nur ein Aspekt. Im Allgemeinen stehen die Piraten doch für Internetkompetenz.
Die Internet-Thesen der Piraten sind falsch. Zu einem vollständigen Bild gehört auch: Auf Wikipedia gehören nur die wenigsten Nutzer zu den aktiven Schreibern. Die meisten Blogs erreichen nur sehr wenige Leser. Die Piraten sehen das Internet durch eine rosarote Brille und viele negative Aspekte werden ausgeblendet. Zum Beispiel verschmelzen im Internet oft Werbung, PR und redaktionelle Inhalte. Das ist eindeutig ein Rückschritt. Außerdem dachten die Piraten, dass das Netz vor allem dem einzelnen Nutzer dient. Dabei ziehen die etablierten Mächte auch dort fast genauso ihr Ding durch.

Das Internet ist nicht das einzige Thema der Piraten, seit dem letzten Bundesparteitag haben sie ihr Profil auch in anderen Fragen geschärft. Sprechen die Piraten dadurch nicht mehr Menschen an?
Es gibt ja kaum einen Punkt im Programm, den nicht auch Grüne oder Linkspartei schon vertreten. Ich habe mir die Erweiterung des Piratenprogramms angeschaut. Sie ist teilweise haarsträubend bis witzig. Kurioserweise haben die Piraten zum Beispiel einfach Artikel aus dem Grundgesetz oder der Allgemeinen Menschenrechtskonvention in ihrem Programm sozusagen „bestätigt“. Das ist unnötig. Generell sind Gesetze nur ein erster Schritt – gute Gesetze gibt es überall. Es kommt vielmehr auf die Ausführung an.

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In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Piraten nicht zur Politik passen, weil sie „nette Menschen von nebenan sind.“ Sollen nette Menschen von nebenan keine Politik machen?
Nein, so würde ich das nicht sagen. Den Piraten fehlt einfach der Plan, was sie in der Politik wollen, außer den wiederholten Floskeln wie „Mehr Mitbestimmung über das Internet“ und Transparenz. In irgendeiner fernen, idealen Zukunft kann dies vielleicht funktionieren. Für die konkrete Parlamentsarbeit eignen sich die Prinzipien nicht. Die Piraten hätten einfach die Menschen fragen können, welche Themen sie bei den anderen Parteien vermissen.

Durch die Piraten ist das Thema Netzpolitik in der Öffentlichkeit und in anderen Parteien wichtiger geworden.
Ja, stimmt. Die Piraten haben Politikern, die sich mit Netzpolitik in anderen Parteien beschäftigen, zu einer größeren Karriere verholfen. Dorothee Bär wird in der CSU jetzt bestimmt doppelt so ernst genommen.

Jenseits aller Kritik: Haben die Piraten etwas richtig gemacht?
Ja, die authentische Ansprache von Wählerinnen und Wählern. Die Wahlplakate der Piraten sprechen mit Slogans wie „Warum hänge ich hier eigentlich? Ihr geht ja eh nicht wählen“ auch Nichtwähler an. In dieser Wahlwerbung steckt viel Herzblut drin. Mit wenig Mitteln junge Menschen authentisch anzusprechen – das haben die Piraten schon gut hinbekommen.

 

 

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