Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Ex-FDP-Minister - „Linksöffnung ist durchaus zu denken“

Der Ex-Justizminister von Rheinland-Pfalz, Herbert Mertin, wirft der FDP „ein Stück“ Arroganz vor. Selbst Christian Lindner müsse aus seinen früheren Fehlern lernen, wenn er Parteichef werden wolle. Mertin erklärt, warum man mit einer SPD koalieren kann und warum auch mal Großbanken in die Schranken zu weisen sind

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

So erreichen Sie Petra Sorge:

Herbert Mertin war bis 2006 Justizminister unter SPD-Ministerpräsident Kurt Beck in Rheinland-Pfalz. Anschließend war er FDP-Fraktionsvorsitzender. 2011 scheiterte seine Partei bei den Landtagswahlen an der Fünf-Prozent-Hürde.

Herr Mertin, die Grünen im Bundestag wollen jetzt das Erbe des Liberalismus antreten. Braucht es da überhaupt noch eine FDP?
Natürlich! Die FDP ist die letzte Partei, die für die Entfaltungsfreiheit des Bürgers ohne staatliche Eingriffe streitet. Die Grünen werden es mit ihrer Bevormundungsorgie da schwer haben.

Kurz nach der Wahl sagte Jürgen Trittin, Angela Merkel habe die FDP durch eine „Kannibalisierung“ zu Tode gesiegt. Teilen Sie diese Auffassung?
Das war ein bitteres Ergebnis. Aber wir haben das in den letzten vier Jahren schon selbst verschuldet. Die neue Führung muss die Fehler jetzt korrigieren und unsere eigentlich guten Inhalte vermitteln. Die Schuld bei anderen zu suchen, bringt nichts.

Mussten Sie sich für Ihr Parteibuch viel Ärger von Kollegen anhören?
Selbstverständlich. Wissen Sie, wenn Sie möglichst viel Beifall von anderen wollen, sind sie bei der FDP falsch. Aber eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft braucht eine Partei wie unsere, eine Partei, die darauf achtet, dass Freiheit überall gewahrt wird – bei Bürgerrechten und bei der wirtschaftlichen Entwicklung.

[[nid:55895]]

Vor drei Jahren, als Sie selbst im Landtagswahlkampf waren, bezeichneten Sie den damaligen Parteichef Guido Westerwelle als „Klotz am Bein“. Wer war denn diesmal der Klotz?
Es ist eine bemerkenswerte Leistung, ein Wahlergebnis von über 14 Prozent einzufahren und dann innerhalb weniger Wochen so unsympathisch zu wirken… Man hat uns wegen allem und jedem haftbar gemacht. Aber bei der Politik, die in den kommenden vier Jahren zu erwarten ist, werden die Menschen sehr schnell verstehen, warum eine liberale Partei notwendig ist. Denn Facharbeiter, Handwerker und andere Mittelständler werden sehr stark zur Kasse gebeten werden.

Was war denn der Grund, weshalb die FDP so außerordentlich unsympathisch erschien?
Wir sind in Rheinland-Pfalz mit Wahlergebnissen, wenn sie sehr gut waren, immer sehr demütig umgegangen. Man muss versuchen, im Rahmen der Koalitionsverhandlungen Ergebnisse über die Jahre zu erreichen – ohne über die Stränge zu schlagen. Ich fürchte, die Koalitionsverhandlungen mit der Union wurden nicht mit der notwendigen Sorgfalt durchgeführt. Wenn Sie mit 14 Prozent so tun, als könnten Sie die Welt verändern, verheben Sie sich.

War das Arroganz?
Ein Stück weit schon; der Erfolg war jedenfalls dem einen oder anderen zu Kopf gestiegen. Aber es macht wenig Sinn, das jetzt im Einzelnen aufzuarbeiten. Es sind viele Fehler gemacht worden.

Nochmals: Wer war der größte Klotz?
Wissen Sie, das habe ich damals in einer ganz bestimmten Situation über Westerwelle gesagt. Danach wurde es ja, was ihn angeht, durchaus besser. Und diejenigen, die da aktiv waren, haben vom Wähler eine schonungslose Quittung erhalten.

Mit dieser Demut, die Sie angesprochen haben, wirbt Christian Lindner um den Parteivorsitz. Ist er der Richtige, um die FDP wieder aufzurichten?
Er hat Talent. In Nordrhein-Westfalen hat er gezeigt, dass er durchaus erfolgreich wirken kann. Lindner war allerdings – das muss man auch sehen – an den Fehlentscheidungen in der Vergangenheit beteiligt. Ich traue es ihm zu, wenn er aus seinen Erfahrungen die richtigen Lehren zieht.

Und der schleswig-holsteinische Fraktionschef Wolfgang Kubicki, der jetzt Bundesvize werden will?
Kubicki ist sicherlich eine Bereicherung. Wichtig ist, dass das Team gut harmoniert. Herr Lindner wird gut daran tun, sich umzuschauen, mit wem er diese schwere Aufgabe in den nächsten Jahren meistern will.

Hätten Sie noch ein paar Tipps?
Ich würde die sicher nicht über die Medien erteilen. Wenn Christian Lindner mit mir reden will, weiß er ja, wo er mich erreichen kann.

Sie haben in der Fraktion auch mit Rainer Brüderle zusammengearbeitet. Braucht ihn die Partei noch?
Wir arbeiten seit 30 Jahren zusammen, sind durch durch Dick und Dünn gegangen. Das verbindet. Aber was Herr Brüderle erst einmal braucht, ist Zeit, wieder gesund zu werden. Sicher wird er auch künftig einen guten Ratschlag geben, wenn er gefragt wird. Aber ich glaube nicht, dass er jetzt anstrebt, ins Parteipräsidium gewählt zu werden.

Sie haben erfahren, wie es ist, aus einem Parlament zu fliegen. Wie kann sich eine Partei danach wieder aufrichten?
Das sind bittere Tage. Zuerst muss man sich um die Mitarbeiter kümmern, dass die alle irgendwo unterkommen. Da hat Brüderle noch etwas zu tun. Danach muss man versuchen, das Vertrauen der Menschen wieder zurückzugewinnen. Das ist mühselig, mit flotten Sprüchen ist es nicht getan. Aber es ist machbar. In Rheinland-Pfalz haben wir am Sonntag über fünf Prozent erreicht. Das ist nicht zum Jubeln, aber ausbaufähig. In zweieinhalb Jahren wollen wir wieder in den Landtag.

War es falsch, dass sich die FDP auf die Union als Partner festgelegt hat?
Sie können nicht in einer Koalition sein und sagen, das ist alles Mist, was wir da gemacht haben. Aber ich bin nicht dafür, dass wir auf Dauer an jemanden gekettet sind. Wir haben in Rheinland-Pfalz gezeigt, dass man durchaus vernünftig mit der SPD regieren kann.

Das ist sieben Jahre her, die letzte sozialliberale Koalition in Deutschland.
Die SPD ist eine demokratische Partei; ich weiß aus Erfahrung, dass sie inhaltliche Positionen hat, mit denen man klarkommen kann. Aber wenn wir jetzt in der außerparlamentarischen Opposition sind, sind Regierungsbündnisse sicher nicht unser größtes Problem…

…stimmt. Andererseits: Guido Westerwelle führte die FDP mit den Wiesbadener Grundsätzen 1997 eher in eine marktliberale Richtung. Lindner ist ein Kind der sozialliberalen Freiburger Thesen. Muss die FDP dorthin zurück?
Ich finde es immer etwas überzogen, ganz allgemein und losgelöst von der Situation eine These zu vertreten. Jede Zeit hat ihre eigenen Probleme – und das sind heute andere als in den 1970er Jahren.

[[nid:55884]]

Welche denn?
Für mich ist das größte Thema, wie ich die Freiheit des Individuums in der digitalen Welt sichere – und zwar gegenüber dem Staat als auch gegenüber Unternehmen. Google ist ein Riesenkonzern, der sich schamlos an meinen Daten bereichert und damit Geschäfte macht. Diese Dinge muss eine liberale Partei aufgreifen.

Da spricht der Ex-Justizminister. Aber der Protest einer Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im NSA-Skandal hielt sich doch sehr in Grenzen.
Schauen Sie mal, mit wem sich die Bundesjustizministerin alles angelegt hat – bei der von Brüssel geforderten Vorratsdatenspeicherung etwa. Da kann niemand sagen, sie hätte das nicht richtig angesprochen. Viele Leute schauen mich bei diesen Themen fragend an, wo denn das Problem sei. Aber ich finde es schon bedenklich, dass das Telefonat, das wir beide jetzt führen, locker von irgendwem abgehört werden kann, auch wenn ich nichts zu verbergen habe, wie es immer so schön heißt. Wir haben mal das Postgeheimnis durchgesetzt, aber offensichtlich ist dieses Recht bei einer E-Mail nichts mehr wert.

Sie sprechen von Bürgerrechten – Parteivize Holger Zastrow fordert aber eher einen „absolut klaren Kurs“ in Richtung Freiheit, Marktwirtschaft und Entlastung.
Dem kann ich zustimmen. Wenn er mit Freiheit auch meint, die Menschen vor dem Missbrauch großer Konzerne schützen, zum Beispiel vor Großbanken, die den Steuerzahler erpresst haben, um wirtschaftlich nicht pleite gehen zu müssen.

Heißt das, sich auch nach links zu öffnen?
Wenn das heißt, dass wir Positionen einnehmen sollen, die auf Verstaatlichung zielen, wie es die Linkspartei macht, dann widerspreche ich vehement. Wenn es darum geht, die Freiheit des Einzelnen gegenüber Unternehmen wie Google oder dem Staat zu stärken, ist das eine Schnittmenge, die durchaus zu denken ist. Dazu gehört eben auch, dass man einem Großkonzern mal Einhalt gebietet, oder einer zu großen Bank, die gefährlich werden kann. Ich habe wenig für diese Schemen von links und rechts übrig. Wichtig ist, dass man durch eigenes Tun seine wirtschaftliche Unabhängigkeit sichern kann und niemand einem vorschreibt, was er essen, ob er rauchen oder Sport treiben soll.

Was kann die FDP vom Erfolg der AfD lernen?
Zugegebenermaßen war das Thema Eurorettung in unserer Partei sehr umstritten. Viele Mitglieder hätten sich eine Lösung à la AfD gewünscht. Doch die Mehrheit hat anders entschieden. Was man von der AfD lernen kann: Wenn man konsequent seine Position vertritt, kann man damit auch eine Mehrheit erreichen. Man muss es aber auch sympathisch machen.

Herr Mertin, vielen Dank für das Gespräch.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.