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() Barack Obama und Angela Merkel im Sommer 2008 - Neuanfang für den transatlantischen Dialog?
Es sei mir erlaubt anzumerken

Mit dem neuen US-Präsidenten gibt es wieder Hoffnung für die transatlantischen Beziehungen, sagt Altkanzler Gerhard Schröder

Die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise hat uns vor Augen geführt, wie eng vernetzt die Welt ist und in welchen Abhängigkeiten wir leben. Es gibt keine globale Herausforderung mehr, die von einem Land alleine gelöst werden kann. Europa kommt eine große Verantwortung zu, aber wir müssen ebenso eine neue transatlantische Agenda festlegen, denn nur in enger Kooperation sind die großen Aufgaben lösbar. Nur auf gleicher Augenhöhe mit den USA kann Europa als einer der Pole der Weltpolitik Einfluss gewinnen. Amerika präsentiert sich mit der Wahl von Barack Obama in einem neuen Gewand. Seine Wahl ist Ausdruck der besonderen Fähigkeit der Amerikaner zur Veränderung und zum Neuanfang – eine Mentalität, die uns immer wieder erstaunt. Es ist die Seite Amerikas, die wir Europäer in den vergangenen acht Jahren so sehr vermisst haben. Es gibt einen „Mythos Amerika“, der in Europa gelegentlich mit Vorurteilen und Verzerrungen einhergeht. Erscheinen die USA den einen als leuchtendes Vorbild, dienen sie anderen als bedrohliches Schreckbild. Mit der Wirklichkeit haben solche einseitigen Sichtweisen nur selten etwas zu tun. Die Debatten, die ich an amerikanischen Universitäten, nicht nur an der liberalen Ostküste, sondern etwa auch in Texas führen konnte, habe ich als hochinteressant empfunden. Nicht nur, dass dort meine Position zum Irak­krieg geteilt wurde, auch in Fragen der Energiepolitik und der Außenbeziehungen der USA habe ich immer wieder überraschend offene und differenzierte Einstellungen erlebt. Und auf diese intellektuelle Kraft Amerikas müssen wir bauen, wenn wir den transatlantischen Beziehungen wieder eine Orientierung geben wollen. Der gute Grundsatz des „alten Europas“, dass es hierzu eines multilateralen Ansatzes bedarf, kommt jetzt wieder zum Tragen. Niemand freut das mehr als uns Deutsche. Denn in den Jahrzehnten des Kalten Krieges hatten die USA die Freiheit Deutschlands garantiert. Gerade, wenn in der einen oder anderen Frage unterschiedliche Auffassungen zutage treten, ist es wichtig, daran zu erinnern, dass es die USA waren, die nach den schrecklichen Irrwegen der deutschen Geschichte unserem Land beim Wiederaufbau geholfen haben. Ohne die Vereinigten Staaten hätte Deutschland nicht, oder wenigstens nicht so schnell, seine staatliche Einheit in Freiheit wiedererlangen können. Daher bleibt der Grundsatz für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, der auch zu meiner Kanzlerzeit galt. Eine enge transatlantische Bindung ist im deutschen, im europäischen und im amerikanischen Interesse. Aber jenseits aller transatlantischen Treueschwüre gilt auch: Bei der Umsetzung dieses Grundsatzes in praktische Politik kann nicht die Vergangenheit der alleinige Bezugspunkt sein. Mit dem Aufstieg der großen Schwellenländer – Russland, Brasilien, Indien, China – verschieben sich nicht nur die ökonomischen, sondern auch die politischen Gewichte im globalen Rahmen. Darauf haben die USA, aber ebenso die europäischen Staaten zu reagieren. Europa wird im globalen Wettbewerb mit den USA und den aufstrebenden Staaten nur dann bestehen können, wenn es eine wirtschaftliche, aber vor allem auch eine politische Einheit darstellt. Folgende Punkte sind aus meiner Sicht dabei wichtig: Erstens: Wir brauchen eine noch engere Abstimmung zwischen Europa und den USA bei der Bewältigung der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Maßnahmen, die sowohl in den USA als auch den europäischen Staaten getroffen werden, dürfen nicht zu weit auseinanderdriften; ansonsten wäre die Gefahr von starken Wettbewerbsverzerrungen gegeben. Das bedeutet, dass die europäischen Staaten sich an den Plänen der neuen US-Administration orientieren sollten. Ich gehöre übrigens nicht zu jenen, die einen ökonomischen Niedergang Amerikas prophezeien. Im Gegenteil bin ich davon überzeugt, dass die Wirtschaft in den USA sich schneller erholen wird als in den europäischen Staaten. Wir unterschätzen die Flexibilität der amerikanischen Wirtschaft und vor allem die Wettbewerbsvorteile der US-Finanzbranche, die sich aus den enormen staatlichen Programmen ergeben. Die Stärkung der Eigenkapitalbasis amerikanischer Banken durch den Staat und die zwangsläufige Konzentration auf wenige global agierende Finanzinstitute werden den USA einen enormen Wettbewerbsvorteil bringen. Deswegen halte ich es für hochproblematisch, wenn deutsche Banken sich nicht unter den Schutzschirm stellen, den die Bundesregierung geschaffen hat. Langfristig wird das deutsche und europäische Bankenwesen einen internationalen Wettbewerbsnachteil erleiden, wenn es Staatshilfen nicht in Anspruch nimmt. Zweitens: Protektionismus wäre jetzt eine falsche Antwort auf die nun einsetzende weltwirtschaftliche Rezession. Diese Gefahr besteht jedoch, da die demokratische Mehrheit im US-Kongress zu solchen Ansätzen neigt. Stattdessen müssen wir gemeinsam auf die Weiterentwicklung eines offenen, regelgestützten Welthandelssystems setzen. Die erreichen wir am besten durch den konsequenten Abbau von Handels- und Investitionshemmnissen. Ein fairer Welthandel ist nicht nur ein Vorteil für die Weltwirtschaft, sondern vor allem für die Entwicklungsländer. Drittens: Eine starke EU mit aktivem Gestaltungswillen und eigenen Fähigkeiten liegt ebenso im Interesse der USA wie ein starkes Amerika im Interesse Europas liegt. Beides kann und sollte jedenfalls nicht unabhängig voneinander gedacht werden. Insofern stehen Europäische Union und Nato eben nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sie ergänzen sich gegenseitig. Ich bin davon überzeugt, dass eine dynamische europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik den europäischen Pfeiler der Allianz stärkt – und damit auch die Nato als Ganzes. Wir müssen dafür die Nato wieder zu einem Ort des transatlantischen Dialogs machen, an dem Strategien konsultiert und abgestimmt werden. Dabei sollten wir jedoch beachten, dass in der unübersichtlich gewordenen Welt Sicherheit nicht mehr alleine durch militärische Mittel gewährleistet werden kann. Stattdessen müssen wir für einen umfassenden Sicherheitsbegriff eintreten, der wesentlich soziale, materielle und kulturelle Sicherheit einbezieht. Dies betrifft auch das Verhältnis zwischen den USA und Russland. Hier herrscht bei vielen Amerikanern noch das alte Freund-Feind-Denken des Kalten Krieges vor. Doch der ist vorbei, und wir sollten alles tun, damit auf beiden Seiten die Spirale der Konfrontation unterbrochen wird. Auch hier bietet der Amtsantritt von Präsident Obama eine Chance. Wir brauchen neue abrüstungspolitische Initiativen und eine Wiederbelebung des Dialogs zwischen den USA und Russland. Die Aussetzung des Nato-Russland-Rats durch den Nato-Generalsekretär war schlicht dumm. Aber auch dies lässt sich korrigieren und zurücknehmen. Außerdem sollte sich die Nato endgültig von dem Ansinnen verabschieden, Georgien und die Ukraine aufzunehmen. Viertens: Es ist jetzt an der Zeit, die gewachsene internationale Bedeutung der Schwellenländer anzuerkennen. Länder wie Brasilien, China, Indien und Russland, aber auch die Energielieferanten am Golf haben in den vergangenen Jahren wirtschaftlich und politisch an Macht gewonnen. Mit diesem Zuwachs an Macht geht auch eine größere internationale Verantwortung einher. Diese einzufordern, ist die eine Seite. Aber auf der anderen Seite gilt es auch, Schluss mit einer Zwei-Klassen-Politik in einer Staatengemeinschaft zu machen. Diesen Ländern muss mehr Einfluss in den internationalen Institutionen gewährt werden. Dies betrifft Finanzinstitutionen wie den IWF, aber auch internationale Gremien. Während meiner Amtszeit als Bundeskanzler habe ich vorgeschlagen, sowohl die G 8 als auch den UN-Sicherheitsrat auf eine breitere Basis zu stellen. Die G 8 müssen nun um China, Brasilien, Indien, Südafrika und Mexiko zu einer G 13 erweitert werden, die dann ihrer globalen Rolle gerecht werden kann. Im UN-Sicherheitsrat brauchen wir eine umfassende Reform, damit Schwellen- und Entwicklungsländer, aber auch wichtige europäische Nationen angemessen vertreten sind. Der multilaterale Ansatz ist die Basis für einen neuen transatlantischen Dialog. Die Chancen stehen gut, auch wenn man sich keine Illusionen machen sollte: Ein amerikanischer Präsident ist zuallererst und verständlicherweise amerikanischen Interessen verpflichtet. Aber Barack Obama strahlt so viel Internationalität, Offenheit, Optimismus und Glaubwürdigkeit aus, dass wir davon in Europa angesteckt sind. Das sollte auch für den historischen Aspekt dieser US-Wahl, der Wahl eines Afroamerikaners zum Präsidenten gelten. Auch hier können wir uns ein Vorbild an Amerika nehmen. In Deutschland wird es Zeit für den ersten türkischstämmigen Bundesminister. Nach der Bundestagswahl 2009 ist es hoffentlich so weit, und das sei mir erlaubt anzumerken: Es sollte eine Sozialdemokratin oder ein Sozialdemokrat sein. Foto: Picture Alliance

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