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Erdogan gegen Böhmermann - Merkel in der Satirefalle

Der türkische Präsident Erdogan fordert ein Strafverfahren gegen den Fernsehmoderator Jan Böhmermann. Angela Merkel muss jetzt entscheiden, ob sie diesem Anliegen stattgibt. So oder so kann die Bundeskanzlerin dabei nur verlieren

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Ach, wenn sie doch geschwiegen hätte. Aber Angela Merkel hat nicht geschwiegen und jetzt hat sie ein ziemlich handfestes Problem.

In einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu hat sich die Kanzlerin in der vergangenen Woche für ein Schmähgedicht des Fernsehmoderators Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan entschuldigt. Sie hat die satirisch gemeinten Verse scharf verurteilt, diese „bewusst verletzend“ genannt und darauf hingewiesen, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland nicht schrankenlos sei.

Schon der Anruf in Ankara war ein Fehler, schließlich gehört es nicht zu den Aufgaben einer Bundeskanzlerin, offiziell die Qualität satirisch gemeinter Fernsehbeiträge zu beurteilen oder ex Cathedra die Grenzen der Meinungsfreiheit zu markieren. Zudem bot Merkel der Türkei eine Steilvorlage, um die massive Verfolgung von Journalisten in der Türkei und die eher abstrakten Grenzen der Pressefreiheit in Deutschland gleichzusetzen.

Flüchtlingsdeal vs. Pressefreiheit
 

Doch Erdogan tat Merkel nicht den Gefallen, sich mit der Entschuldigung zufrieden zu geben. Er hat schnell erkannt, welche propagandistischen Möglichkeiten ihm der Anruf aus dem Kanzleramt eröffnet hat. Der türkische Präsident verlangt ein Strafverfahren gegen Böhmermann wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsgastes und fordert von der Bundesregierung, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu genehmigen.

Der Paragraf 103 des Strafgesetzbuches, der dies ermöglicht, ist an sich ein Anachronismus. Er erinnert an eine Zeit, als auch in Deutschland noch Menschen wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht standen. Aber umso misslicher ist jetzt Merkels Lage.

Entweder sie gibt dem Ersuchen des türkischen Präsidenten nach, genehmigt ein Ermittlungsverfahren und macht so deutlich, dass sie nicht nur vor der türkischen Regierung kuscht, sondern auch bereit ist, deutsche und europäische Werte für einen Deal mit der Türkei preiszugeben.

Oder sie stoppt das Ersuchen aus Ankara und brüskiert damit jenen autokratischen Partner, den sie bei der Eindämmung der Flüchtlingskrise so dringend braucht. Dass Erdogan unberechenbar und bereit ist, die Flüchtlingskrise strategisch einzusetzen, um Europa zu erpressen, hat er mehrfach unter Beweis gestellt.

Steinmeier bittet Merkel um Beistand
 

Natürlich ist offiziell das Auswärtige Amt für die Beantwortung der Erdogan-Note zuständig. Aber Außenminister Steinmeier hat sofort deutlich gemacht, dass er diese in enger Abstimmung mit dem Justizministerium und dem Kanzleramt formulieren wird. Was letztendlich heißt: Das ist dein Problem, Angela Merkel, und nicht meins.

So hat sich Merkel selbst in die Satirefalle manövriert. Die Kanzlerin hat entweder ein außenpolitisches Problem oder ein innenpolitisches. Und eigentlich hat sie keine andere Wahl, als Erdogans Ansinnen zurückzuweisen. Aber zugleich würde dann umso mehr auffallen, dass ihr Anruf in Ankara und ihre Entschuldigung für das Schmähgedicht ein schwerer außenpolitischer Fauxpas war.

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