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Martin Haake

Erbschaft - Er war tot. Wir dachten: Jetzt gibt’s Geld.

Wenn wohlhabende Verwandten sterben, erwarten die Hinterbliebenen oft einen warmen Regen. Der Autor schämt sich ein wenig dafür

Autoreninfo

Daniel Haas lebt als freier Autor in Hamburg. Zuletzt war er Kulturkorrespondent der NZZ in Berlin.

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Mein Stiefvater ging, wie fast jeden Morgen, in den örtlichen Supermarkt, Abteilung Obst und Gemüse. Dort griff er sich eine Kiwi, sagte, die ist perfekt, und krachte der Länge nach auf den Boden. Herzinfarkt. Der Arzt meinte, er hat nichts gespürt. Genauso schnell, wie es dauert, einen Notarzt zu rufen, haben die Hinterbliebenen ans Erben gedacht: Jetzt gibt’s Geld. Schließlich war mein Stiefvater selber einst ein reicher Erbe.

Seine Familie besaß lange ein Chemieunternehmen, das Klebstoffe herstellte und Mitte der achtziger Jahre verkauft wurde. Seitdem war er Privatier und Sammler chinesischer Kunst. Und hatte er nicht immer diese Mao-Anzüge getragen? Joppe und passende Hose, als wollte er sagen: Wer’s so dicke hat wie ich, darf sich der besitzbürgerlichen Welt ruhig in der Montur kommunistischer Kader zumuten.

So habe auch ich mich finanzpornografischen Fantasien hingegeben: Es machte Klick und ich residierte in Townhouses in London und Berlin, mit Interieurs, edler als im Architectural Digest. Meine Tochter würde Lacrosse spielen und später im englischen Internat Kontakte für eine politische Karriere knüpfen, während wir, die Eltern, unsere kleine, aber feine Kollektion zeitgenössischer Fotokunst aufbauen.

254 Milliarden Euro wurden 2013 vererbt, laut Studien des Deutschen Instituts für Altersvorsorge werden in den nächsten sechs Jahren weitere 2,6 Billionen den Besitzer wechseln. Ich wiegte mich in Sicherheit: Ein paar Milliönchen davon würden auf mich entfallen. Dann kam die Testamentsvollstreckung. Und die Überraschung. Die angeblich Geldberge verwaltende Stiftung war pleite. Zahlreiche Immobilien hatte mein Stiefvater unter der Hand und heimlich verkauft. Die Kunstsammlung hatte sich zerstreut.

Es gab nur: eine Villa mit monströs hoher Hypothek, die über keinen Seeblick verfügte, an einem Ort, an dem der Seeblick das einzig Aufregende und Abwechslungsreiche ist. In den Worten des Maklers: „Das ist ein Problem.“ Des Weiteren: eine Kollektion antiker Spazierstöcke, deren Sinn sich mir vermutlich niemals erschließen wird, denn mein Stiefvater ging nicht spazieren, sondern fuhr ausschließlich Fahrrad. Fünf Hermès-Krawatten, die leider zu breit sind, um sie zu einem Anzug zu tragen, es sei denn, man wäre Schlagersänger und träte in Siebziger-Jahre-Revival-Shows auf. Einen kleinen Drachen aus Porzellan und zwei Keramik-Pferde, die im 19. Jahrhundert mal den First eines Tempels in Peking bewacht haben sollen und die nun auf dem Fensterbrett einer Wohnung im Berliner Prenzlauer Berg stehen und den Rest der Ikea-Einrichtung noch dürftiger aussehen lassen.

254 Milliarden Euro? Mein Geld war nicht dabei. Im Märchen sind die Stiefkinder immer die Guten, die am Ende den ganz großen Reibach machen. Ich nun kam mir vor wie der mieseste Typ der Welt, der zu seiner moralischen Verkommenheit – Gier, Neid, Groll – auch noch leer ausgehen wird. Das Gute an der Lage: Sie war schnell geklärt. Meine Ansprüche waren rechtlich gesehen bescheiden bis nichtig. Um ein überschuldetes Haus wollte ich mich nicht balgen, und natürlich standen die Antiquitäten und der Familienschmuck den leiblichen Kindern zu. Die Sache war klar: Es würde keine Ressourcen geben, sondern nur ein paar Talismane.

Genau das hatte eine Bekannte über den Keramikdrachen gesagt, der auf dem Küchenregal gelandet war: „Das ist aber ein schöner Talisman!“ Es machte noch einmal Klick, nur dass ich diesmal nicht dachte, Mensch, du wirst vermögend sein, sondern: Mann, du hast vielleicht Glück gehabt. Du hast diesen wunderbaren Mann kennengelernt, mit dem du über Kunst, Politik und die Qualitäten eines guten Obstsalats spekulieren konntest (Kiwis sind unverzichtbar).

Du hattest einen väterlichen Freund, der deinen Blick geschärft hat für die Ironie und Eleganz der chinesischen Aquarellmalerei, für die handwerkliche Genialität der asiatischen Keramik, ihr herrliches Design. Und wenn du jetzt morgens aufwachst, tauchen die beiden Pferde auf wie dienstfertige Geister, die schon in den Tag vorauseilen, um nach dem Rechten zu sehen. Talisman. Genau das war dieses Erbe. Ein einziger kostbarer Talisman. Die Dinge, die wir an unsere Kinder weitergeben, sollten Glücksbringer sein. Immaterielle, und wenn es sich machen lässt, dürfen auch ein paar Materielle darunter sein. Der Keramikdrache vertritt mich in Berlin, weil ich aufgrund eines neuen Jobs viel in Hamburg bin. Seine Schnauze ist abgeplatzt, man könnte ihn nicht zu Geld machen. Nicht nur deshalb wird er bei uns bleiben. Unsere Tochter ist zwar noch zu klein, um seine Bedeutung zu begreifen. Aber als wir den Drachen ins Schlafzimmer verpflanzen wollten, hat sie protestiert. Er ist Teil ihres Alltags geworden. Ein Erbe zu Lebzeiten.

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