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ZDF-Politbarometer - Entscheiden Demoskopen die Wahl?

Das ZDF veröffentlicht vor der Bundestagswahl im September sein ‚Politbarometer‘ erstmals am Donnerstag vor der Wahl. Doch aktuellere Umfragen führen nicht zwangsläufig zu besseren Vorhersagen. Sie können auch heftige Reaktionen des Wählers provozieren. Ein Kommentar

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Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft im Bereich „Methoden der empirischen Politikforschung“ an der Universität Mainz. Zu seinen Forschungsgebieten zählen Wahlen, Wahlumfragen und Wahlkämpfe. 

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Die Pressemitteilung des Senders klingt lapidar: „Das ZDF veröffentlicht vor der Bundestagswahl im September sein ‚Politbarometer‘ erstmals am Donnerstag vor der Wahl“.

Das ist schön: Aufgeklärten Wählerinnen und Wählern sollte man keine Informationen vorenthalten. Denn neu wird im Herbst dieses Jahres ja nur sein, dass die Ergebnisse des Politbarometers aus der Woche vor der Wahl auch veröffentlicht werden – erhoben wurden die Daten immer schon. Aber ihre Ergebnisse blieben bislang einem kleinen Kreis von Insidern vorbehalten. Dass passt nicht mehr in eine Zeit, in der „mehr Transparenz“ zu einer Standardforderung geworden ist. So weit, so gut.

Darüber hinaus erwartet das ZDF mit diesem Schritt auch „bessere“ Zahlen: „Eine umfassende Auswertung der Forschungsgruppe Wahlen habe ergeben, dass die bisher unveröffentlichten, kurzfristigen Umfragen vor Wahlen deutlich geringere Fehlerquoten aufwiesen als die letztveröffentlichten Daten zehn Tage vor der Wahl“, so wird ZDF-Intendant Thomas Bellut in der Mitteilung zitiert. Dazu ist zunächst einmal zu sagen: Alles andere wäre auch höchst verwunderlich!

Sofort fällt einem Niedersachsen ein. Zehn Tage vor der dortigen Wahl lagen die Liberalen in der ZDF-Umfrage noch bei gerade einmal 5 Prozent, am Wahlabend hörte der gelbe Balken aber erst bei 9,9 Prozent auf zu wachsen. Belluts These: Hätte das ZDF noch eine jüngere Prognose veröffentlicht, so wäre diese auch besser gewesen. Das legt ja auch die „umfassende Auswertung der Forschungsgruppe Wahlen“ nahe. Oder?

Natürlich kann das so sein. Es muss aber nicht. Wir wissen: Die FDP hat in Niedersachsen in erheblichem Ausmaß von Leihstimmen profitiert. Da der Einzug der FDP in den niedersächsischen Landtag auf des Messers Schneide stand, wollten zahlreiche Unions-Anhänger auf Nummer Sicher gehen und haben ihre Stimme verliehen, um so der gewünschten schwarz-gelben Regierung eine Mehrheit zu verschaffen. Oder anders formuliert: Sie haben auf die veröffentlichten (!) Umfrageergebnisse mit einer Verhaltensänderung reagiert und ihr Kreuzchen nicht bei der CDU, sondern bei der FDP gemacht. Die dortigen Umfragen haben den Wahlausgang beeinflusst – das wird niemand bestreiten.

Allerdings konnten sich die Stimmverleiher untereinander nicht koordinieren konnten, dafür fehlte ein entsprechender Markplatz. Sie konnten sich also nicht absprechen, wer seine Stimme verleiht und wer nicht, um so sicherzustellen, dass die FDP sicher in den Landtag kommt – aber auch nicht mehr. Letztlich haben viel zu viele Menschen sich zum Stimmverleih verleiten lassen. Resultat: Fast 10 Prozent für die FDP und eine geschwächte Union.

Die internen, nicht veröffentlichten (!) Umfragen des ZDF aus der Woche vor der Wahl haben, so hört man, diese Bewegung hin zur FDP angedeutet. In diesen Umfragen lagen die Liberalen schon deutlich über der magischen Fünf-Prozent-Hürde. Sie wäre damit besser gewesen. Das wusste aber fast keiner zum damaligen Zeitpunkt.

Da ist es Zeit für ein Gedankenexperiment: Was wäre gewesen, wenn? Was wäre möglicherweise passiert, wenn diese letzte Umfrage publik geworden wäre? Die Leihstimmen-Wähler hätten vielleicht gedacht: „Oh, die FDP liegt bei 8%, also muss ich meine Stimme gar nicht verleihen“. Und dabei hätten sie sich erneut nicht koordinieren können. Und am Ende hätte die FDP vielleicht nur zwei Prozent der Stimmen bekommen, weil plötzlich kaum jemand mehr seine Stimme verliehen hätte – im falschen Glauben, dass der Einzug der FDP sicher sei.

Fakt ist jedenfalls: In einem Umfeld, in dem Menschen ihre Wahlentscheidung optimieren möchten, werden sie auf veröffentlichte (und nur auf solche!) Umfragen reagieren. Und man könnte sogar vermuten, dass sie umso heftiger darauf reagieren, je näher der Wahltag rückt – in dem (falschen) Glauben, dass diese Prognosen „richtiger“ seien. Aber dafür gibt es keine Garantie. Das genaue Gegenteil könnte der Fall sein.

Dieser Gedanke ist nicht neu. Herbert Simon – nicht nur laut Wikipedia „einer der einflussreichsten Sozialwissenschaftler des 20. Jahrhunderts“ – hat darauf schon in den 1950er Jahren hingewiesen und sich gefragt: Welche Zahlen müssten Demoskopen eigentlich veröffentlichen, damit sie damit genau die Verhaltensänderungen bei den Menschen auslösen, die am Ende zu dem Ergebnis führen, dass die Demoskopen im ersten Schritt veröffentlicht haben? Einfach näher an die Wahl heranzurücken, ist darauf eine nur bedingt überzeugende Antwort. In Ermangelung eines Simon’schen Geniestreichs sollte man besser die mit Umfragen verbundene Unsicherheit kommunizieren – auch noch kurz vor der Wahl. Und nicht einfach Präzision und Sicherheit behaupten, nur weil man näher an den Wahltag rückt.

Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft im Bereich "Methoden der empirischen Politikforschung" an der Universität Mainz. Zu seinen Forschungsgebieten zählen Wahlen, Wahlumfragen und Wahlkämpfe.

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