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Entfremdung zwischen Politik und Wählern - Lammert fordert Vereinfachung des Wahlrechts

Was läuft schief im Verhältnis von Politik und Volk? Darüber denkt der Bundestagspräsident in der neuen Ausgabe von Cicero nach. In der Titelreportage wird die Entfremdung zwischen Regierten und Regierenden untersucht

Cicero Cover 04-24

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Bundestagspräsident Norbert Lammert hat sich für Änderungen des Wahlrechts ausgesprochen. „Unser Wahlrecht ist derart komplex, dass nur ein Bruchteil der Wähler eine zutreffende Vorstellung über die Wirkungsweise seines Stimmverhaltens für die Mandatsverteilung hat“, sagt der CDU-Politiker im Interview mit der neuen Ausgabe von Cicero.

Wegen der Intervention des Bundesverfassungsgerichts gebe es ein Wahlrecht, bei dem erst nach Berechnung der Überhang- und Ausgleichsmandate klar sei, dass im Bundestag wie jetzt 631 Abgeordnete sitzen anstatt der laut Gesetz vorgesehenen 598 Abgeordneten. „Damit sind die Mindestanforderungen an die Transparenz eines Wahlsystems nicht erfüllt.“ Er sei „fest davon überzeugt, dass wir an dieses Thema noch einmal heranmüssen.“

Skeptisch bewertet Lammert im Cicero-Interview Forderungen nach mehr direkter Demokratie. Zwar sei das Partizipationsinteresse gestiegen, aber die Beteiligung Bürgerentscheiden, Volksbegehren und Volksentscheiden liege regelmäßig signifikant unter der zurückgegangenen Wahlbeteiligung. „Dass es sich also um die bevorzugte Form politischer Mitwirkung handelt, wird man nicht ernsthaft behaupten können.“

Wahlbeteiligung? Ein Negativrekord folgt auf den nächsten
 

Zwar hätten immer mehr Menschen die Vorstellung, dass Dinge, die sie ganz unmittelbar betreffen, gefälligst von ihnen selbst entschieden werden müssten. Wahr sei aber leider auch, dass die allermeisten, die sich nicht unmittelbar betroffen fühlen, wenig Veranlassung zur Partizipation spüren. Diese Anliegerdemokratie halte er „nicht für einen offensichtlichen Fortschritt reifer demokratischer Meinungsbildung.“

Das Interview mit dem Bundestagspräsidenten ist Teil des Titelthemas der neuen Cicero-Ausgabe, die sich mit dem Verhältnis von Politik und Volk beschäftigt. Negativrekorde bei der Wahlbeteiligung sind in Deutschland inzwischen so gewöhnlich, dass die Medien über sie nur noch am Rande berichten. Hamburg: 56,6 Prozent. Thüringen: 52,7 Prozent. Sachsen: 49,2. Brandenburg: 47,9. Dass sich die Volksvertreter nicht um das Volk sorgten, diesen Vorwurf haben die Pegida-Demonstranten in Dresden und andernorts erhoben – freilich sprechen sie nur für sich und nicht für das Volk.

Aber irgendetwas stimmt nicht. Eigentlich war die Politikverdrossenheit schon wesentlich höher, das lässt sich an Daten des Instituts für Demoskopie Allensbach ablesen. Bis 2005 war die Zahl derer, die eine positive Meinung von ihrem Parlament haben, bis auf 27 Prozent abgeschmolzen. Heute sehen immerhin 39 Prozent im Bundestag eine gute oder sehr gute Volksvertretung. Berauschend ist das immer noch nicht. Bundespräsident Joachim Gauck beklagt immer wieder, dass sich Politik und Volk voneinander entfernen. „Wir alle haben nichts von dieser Distanz zwischen Regierenden und Regierten“, sagte er schon in seiner Antrittsrede.

In der Titel-Reportage im neuen Cicero werden beide betrachtet: Politik und Volk. Die Verhältnisse im Kanzleramt und die außerhalb des Kosmos der Regierenden. Im wahlmüden Hamburg-Rothenburgsort; im aufgewühlten Dresden; in Berlin-Pankow, wo die Bevölkerung explosionsartig wächst, oder in Markt Sulzberg im Oberallgäu, wo die Politik mehr als eine Galaxie entfernt ist. Was lässt sich über das schwierige Verhältnis der beiden Seiten in Erfahrung bringen? Warum finden sie nicht zueinander? Und vor allem: Wie weit haben sie sich voneinander entfernt?

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