Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Gabriels Vorschlag wird Merkels Präsident

Bundespräsident - Einen Machtwechsel wird es mit Gauck nicht geben

Mit Joachim Gauck bekommt die Republik einen hochintelligenten, redebegabten, diskursiven Bundespräsidenten. Sie bekommt ihren Mann des Wortes. Ein „Stück Machtwechsel“ – wie sich Rot-Grün das erhofft – wird die Wahl von Joachim Gauck  jedoch nicht bedeuten

Ein „Stück Machtwechsel“ sei seine Wahl, bemerkte selbstbewusst Gustav Heinemann 1969, und er wusste, was er sagte. Angedeutet hatte sich in der Bundesversammlung nicht nur das Ende der Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger, sondern auch, dass für die Christdemokraten zunächst einmal die Abenddämmerung anbrach. Sie hatten sich seit Konrad Adenauers Zeiten an die Macht derart gewöhnt, sodass es sich der Verlierer Kiesinger in der Nacht vom 28. September 1969 schlicht nicht vorstellen konnte, ein sozialliberales Bündnis unter Brandt und Scheel werde fortan die Bundesrepublik regieren. Der Staat, das waren doch sie!

Warum diese Reminiszenz? Ich möchte der Frage nachgehen, was die Entscheidung einer überaus breiten Parteienkoalition, Joachim Gauck für die Wulff-Nachfolge im Schloss Bellevue zu nominieren, für das politische Berlin bedeutet. Die Idee, Heinemann zu benennen, um daran noch einmal zu erinnern, war im Brandt-Lager aufgekommen, weil er als Justizminister der Großen Koalition eine durch und durch liberale und soziale Handschrift bewies; die Demokratisierungs- und Mitsprachewünsche der jungen Protestgeneration, die sich auf den Straßen und an den Hochschulen artikulierte, unterstützte er engagiert – und er blieb übrigens auch im Amt der leidenschaftliche Verteidiger einer lebendigen Bürgerrepublik. Der Zeitgeist, um es so zu sagen, war politisch, und der Kandidat passte dazu. Davon kündete die Wahl.

Ein „Stück Machtwechsel“ wird die Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten nicht bedeuten. Ich will mich hier gar nicht auf die Frage einlassen, wie bürgerlich-konservativ er ist. Die Republik bekommt einen hochintelligenten, redebegabten, diskursiven Bundespräsidenten, der schon bei seiner ersten Nominierung im Frühsommer 2010 – damals von SPD und Grünen, gegen Merkels Protegé Wulff – klug jeden Anschein vermied, es sich billig machen zu wollen. Nie ertappte man ihn etwa dabei, das Anti-Parteien- und Anti-Politik-Ressentiment zu bedienen, wie es Horst Köhler auf kaum verdeckte Weise versuchte. Mit Sicherheit vermag Joachim Gauck sich einzustellen auf die Rahmenbedingungen, er wird dem Affen nicht Zucker geben, bloß weil man sich damit beliebt machen könnte.

Machtpolitisch kann man wenig hineingeheimnissen, da eigentlich ein Kandidat nominiert worden ist, den jetzt keiner unbedingt wollte, aber auch keiner keinesfalls. Selbst Angela Merkel knickte ja ein, als sie Nutzen und Schaden eines „Nein“ abwägen musste. Sie wird uns nun mit großer Selbstverständlichkeit erklären, dass sie im Grunde ihres Herzens Gauck schon immer favorisierte – und die Medien werden bald glauben, sie sei die Erfinderin gewesen. Es schlägt ihr derzeit ja alles positiv zu Buche. In Wahrheit hat das Konklave paradoxerweise nur keinen anderen Ausweg gewusst und rasch weißen Rauch aufsteigen lassen.

Antizipiert wird damit eindeutig auch nicht eine Zeitenwende, anders als 1969. Der Zeitgeist fällt ja nicht vom Himmel, er wird gemacht. Hätte die Tafelrunde beispielsweise Klaus Töpfer nominiert, den man sich ja durchaus gut vorstellen konnte, dann wäre zurecht herausgelesen worden, dass die Fragen unserer Lebenswelt stärker in den Vordergrund rücken – jedenfalls rücken sollen. Aber in Berlin ist derzeit niemand stark genug, um ein solches politisches Grundmotiv, was man dem sozialliberalen Anfangsmotiv vergleichen könnte, auch nur zu intonieren. Wie alle hineingeschliddert sind in diese Nominierung – das spiegelt eher ein Berliner Defizit wieder. Die Linken übrigens hatte die Kanzlerin auf reichlich undemokratische Weise vom Hofe fern gehalten.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum das Hyper-Präsidentielle im System Merkel nun ein Ende haben wird

Wie immer man Joachim Gauck beurteilt – seine Wahl steht auch nicht dafür, dass nun endgültig die „Bürgerrechtler“ der DDR in ihrer Rolle anerkannt würden. Die deutsche Einheit ist, wie ich meine, mit einem demokratischen Defizit verbunden, weil die mutige Opposition in Ostdeutschland im Vereinigungsprozess völlig unter die Räder geriet. Vornehmlich reservierte Kohl den kritischen Geistern, oft Pastoren, Institutionen, in denen sie sich mit der eigenen Vergangenheit befassen sollten – Gauck an der Spitze der „Gauck-Behörde“. Natürlich kam der ostdeutsche Runde Tisch zu spät, die Oppositionellen trafen sich dort erstmals gemeinsam, nachdem die Mauer schon gefallen war. Mit Gauck kommt einer jener Pastoren ins Schloss Bellevue, die im Herbst 1989 couragiert dem Ancien Régime namens SED ein Ende bereiten halfen. Gut so. Aber wirklich wiedergutmachen lässt sich dieses Defizit nach über zwei Dekaden nicht – und so war die Nominierung auch nicht gedacht.

Das ist aber nicht die ganze Geschichte. Rückwirkungen auf die Politik in Berlin wird diese Entscheidung dennoch haben: Die Kräfte werden sich neu ausbalancieren, die Verhältnisse werden etwas normalisiert. Gerade in den letzten Monaten trat die Kanzlerin zunehmend als eine de-facto-Präsidentin auf, der CDU und – unglaublich, aber amtlich – auch die bayrische CSU fast auf devote Weise folgten, weil sie so gute Noten bekam. Und weil sie folgten, bekam sie erneut gute Noten. So geht es zu im selbstreferentiellen Berlin. Der SPD verschlug das die Sprache und sie gab irgendwie heimlich das Rennen auf. Die Grünen kuschten, weil vielleicht doch nach einem Dahinscheiden der Liberalen ein Platz an der Sonne freiwerden könnte . . .

Und über diese Liberalen sah Angela Merkel doch bereits glatt hinweg, als wären sie Luft. Sie ersetzte zudem noch Christian Wulff, sie bemutterte Nicolas Sarkozy (wozu zwei gehören), und schon schwärmte ein amerikanischer Autor, die deutsche Kanzlerin und Barack Obama, dieses „seltsame Paar“, verstehe sich zwar nicht sonderlich gut, aber sie ragten als einsame Führungsfiguren heraus – und das sei vielleicht sogar besser als enge Freundschaft. Kurzum, was sie auch machte, sie musste nur die Schürze aufhalten wie Goldmarie im Märchen, es regneten Sterntaler hinein.

Ich behaupte nicht, das gehe nun zu Ende, und man habe mit Angela Merkel plötzlich einen tönernen Riesen vor Augen. Aber „Normalisierung“ heißt: Das Hyper-Präsidentielle wird ein Ende haben. Joachim Gauck bringt Selbstbewusstsein mit und wird mitreden. Kann sein, dass das bürgerlich-konservativer, anti-moderner, europa-ferner, Sarrazin-freundlicher klingt, als es unsereins lieb wäre – obwohl er ein lernfähiges System ist. Aber prinzipiell kann es nicht schaden, nein, wäre es sogar hilfreich, wenn ein paar hundert Meter vom Kanzleramt entfernt jemand säße,  dem man ernsthaft zuhört. Helmut Kohl hatte mit Richard von Weizsäcker einen starken, auch sehr politischen Präsidenten als Nachbarn in der Villa Hammerschmidt. Kurzsichtig war es von ihm, die Chance nicht zu nutzen. Ein starker Kanzler und ein Kopf mit eigener Autorität im Präsidialamt – das muss sich nicht wechselseitig schwächen, sondern kann auch der jeweils anderen Seite helfen.

Das gilt übrigens auch für die Koalitionsarithmetik. Angela Merkel hatte sich so an die halbe Portion namens FDP gewöhnt! Mit diesem einen Coup, der Auslobung Gaucks, haben die Freidemokraten ihr vorgeführt, wie es unter Normalbedingungen zugeht in einer Koalition. Sie mag entgeistert darüber gewesen sein, vorgeführt wurde ihr damit aber nur sehr drastisch, dass es im Prinzip normal ist, wenn Partner mitreden. Helmut Kohl war, mit Verlaub, noch einen Dreh machtbewusster als die Amtsinhaberin. Aber auch er musste sich gefallen lassen, dass sein Vizekanzler, der FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher, ihn 1987 wissen ließ, wenn er auf amerikanischen Wunsch eine neue Generation amerikanischer Kurzstreckenraketen zu stationieren erlaube, sei damit die Koalition am Ende. Und: Nicht nur einmal in dieser Koalitionsehe machte  Genscher ihm klar, dass der Pakt auslaufe, wenn die FDP nicht als Partner auf Augenhöhe in politischen Schlüsselfragen akzeptiert werde. Genscher hat denn auch immer betont, er sei nicht „unter“ Brandt, Schmidt oder Kohl Minister, sondern an deren Seite.

Das Gewicht wird die FDP nicht mehr gewinnen, ein kleiner Aufstand macht noch keinen Sommer. Auch die SPD und die Grünen, ursprünglich die Gauck-Erfinder, wirken beileibe nicht so, als wollten sie selber den Zeitgeist definieren und ein „Stück Machtwechsel“ intellektuell plausibel und attraktiv machen. Man muss ja nicht gleich an einen Abschied vom präsidentiellen System Angela Merkels denken. Aber wenn mit Gauck ein neues Austarieren begönne, ein „Stück Normalisierung“, wäre das ein Gewinn. 

 

       

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.