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(picture alliance) Der Bundespräsident geht, der Schaden bleibt

Beschädigtes Präsidentenamt - Ein schwerer Schlag für die Demokratie

Mit dem Finale in der Causa Wulff ist nicht nur das Amt des Bundespräsidenten schwer beschädigt, sondern auch die gesamte politische Klasse. Die Recherchearbeit der Medien und die Tätigkeit der Justiz waren ein notwendiges Korrektiv

Eine Gegenrede zu Michael Naumann

Es gibt drei Formen von Herrschaft, sagte Max Weber, der oft als Gründungsvater der deutschen Soziologie bezeichnet wird, einmal. Da wäre die traditionale Herrschaft, wie sie etwa die alten Fürsten durch Gottes Gnaden ausübten. Der zweite Typus, die charismatische Herrschaft, begründet sich durch die Person des Politikers; seine Leidenschaft und berufliche Hingabe verleihen ihm aus Sicht seiner Anhänger die Würde für die höchsten Ämter. Schließlich – und diese Form liegt dem demokratischen Staatswesen zugrunde – gibt es die durch Satzungen und Regeln begründete Herrschaft kraft Legalität.

Nun ist es aber nicht so, dass die drei Herrschaftstypen immer nur in Reinform vorkommen. Auch in modernen, legalen Demokratien mischen sich Züge des Traditionalen – wenn man etwa an ganze Politikerfamilien und –dynastien denkt, wie in den USA die Kennedys oder Bushs. Wenn sich legale gar mit charismatischer Herrschaft paart,  wie dies etwa bei Obamas Wahlkampf der Fall war, bietet diese Konstellation sogar regelmäßig die Gelegenheit, Politikmüdigkeit und Parteienverdrossenheit Einhalt zu gebieten und die Menschen scharenweise an die Urnen zu locken. [gallery:Wer ist im Rennen um die Wulff-Nachfolge? Eine Kandidatenschau]

Christian Wulff hatte weder mächtige Verwandte, die ihn gestützt hatten, noch war er durch besonderes Charisma in sein Amt gekommen. Die Herzen waren im Sommer 2010 viel mehr seinem Gegenspieler Joachim Gauck zugeflogen. Vielmehr war es der dritte, legale Herrschaftstypus – die qua Grundgesetz vorgeschriebene Mehrheitswahl durch die Bundesversammlung – der Wulff zum Staatsoberhaupt machte.

Nun ist das Bundespräsidentenamt keines, was im Weber’schen Sinne Machtausübung – das heißt, ein Recht auf staatliche Gewaltsamkeit – begründet; das hatten die Väter des Grundgesetzes mit den Erfahrungen der Weimarer Republik bewusst vermieden. Paradoxerweise erfordert gerade dieses Amt Teile der zweiten Herrschaftsform, des Charisma, der Repräsentation, der „Würde des Amtes“. Doch Wulff wollte es nie gelingen, zum geliebten Bundespräsidenten der Deutschen zu werden. In den vergangenen Tagen hielten 77 Prozent der Deutschen sein Ansehen für dauerhaft beschädigt. Mehr noch: Wulff gelang, was keinem seiner Vorgänger je gelang – dass die legale Basis seiner Herrschaft in Frage gestellt wird.

Zuletzt hatte nicht einmal mehr ein Drittel der Deutschen Vertrauen in das Amt des Bundespräsidenten. Wulff sagte bei seiner Rücktrittsrede, er habe „stets rechtlich korrekt gehandelt“. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zur „vollständigen Entlastung“ führen würden. Doch tatsächlich hatte Wulff als Ministerpräsident Niedersachsens mindestens in einer Grauzone agiert. Noch nie zuvor war für ein Staatsoberhaupt die Aufhebung der Immunität beantragt worden. Natürlich gilt nach wie vor der Unschuldsverdacht, doch Fakt ist: Wulffs Herrschaft war weder traditional, charismatisch – und vielleicht auch nicht so ganz legal. Es ist dieses drohende „Vielleicht“, das der Demokratie einen so schweren Schlag versetzt hat.

Seite 2: Der  fatale Eindruck, dass man sich um der Rentenbezüge Willen ans Amt klammert

Max Weber sagte: „Es gibt zwei Arten, aus der Politik seinen Beruf zu machen. Entweder: man lebt ‚für‘ die Politik – oder aber: ‚von‘ der Politik.“

Es ist dieser fatale Eindruck, der nach Wulffs Rücktritt bleibt: dass jemand im Politikberuf nur den ökonomischen Sinn erblickt, dass er sich im Amt alles nimmt, dass er einsteckt, was ihm geboten wird. Es ist dieser Eindruck, der auch von einem Politiker wie Adolf Sauerland in Duisburg hinterlassen wird, dass man sich um der Rentenbezüge Willen ans Amt klammert, der der Demokratie einen solchen Schaden bereitet. Natürlich – es sind nicht nur Politiker, sondern Menschen. Es sind auch Journalisten, die immer wieder Gefälligkeiten annehmen, denen Korrumpierbarkeit vorgeworfen werden kann. So erhalten sie Rabatte bei der Deutschen Bahn, bei Air Berlin; ganze Webseiten im Internet listen die Vorteile für Medienvertreter auf. [gallery:Die Bilder der Wulff-Skandale]

Wulff sagte, die Medienberichterstattung in den vergangenen zwei Monaten habe ihn und seine Frau verletzt. Kurz nach seiner Erklärung im Kurznachrichtendienst Twitter bat er die Journalisten sogar: „Bitte bleiben Sie fair“. Dabei war es nicht unfair, was da aufgedeckt wurde. Es war redlich, wichtig, und genügte den demokratischen Spielregeln einer kritischen Kontrolle der legalen „Herrscher“ – wenngleich sich der eine oder andere Kollege auch mal im Ton vergriffen haben könnte.

Vielmehr ist Wulff nur das sichtbarste und prominenteste Symptom eines Habitus, der das Vertrauen in die Amtsträger nachhaltig beschädigt. Viel größer und schlimmer ist der Filz auf anderen Demokratieebenen, in Bundesländern oder Kommunen, weit unterhalb der Wahrnehmungsschwellen. So fragte der Tagesspiegel „Wie verfilzt ist Brandenburg?“, weil sich in jenem Land jüngst Behördenwillkür, Subventionsbetrug und Spitzelaffären häuften. Nur in den seltensten Fällen gelangen diese Fälle jedoch an die Öffentlichkeit. Die Menschen müssen sich zurecht fragen, wo und wie häufig Politiker noch nur „von“ der Politik leben und legale Basis ihrer Herrschaft ignorieren. Deswegen ist es für die Demokratie ein Glück, dass die Medien im Fall Wulff hartnäckig recherchierten und bis zuletzt nicht lockerließen.

Bundeskanzlerin Merkel sagte zu Wulffs Rücktritt, es sei eine „Stärke unseres Rechtsstaats, dass er jeden gleich behandelt, welche Stellung er immer auch einnimmt“. Die viel größere Stärke unseres Rechtsstaats ist es jedoch, dass Justiz und Medien als beobachtendes Korrektiv noch funktionieren.

Merkel sagte auch, sie wolle mit der Opposition „einen gemeinsamen Kandidaten für das Bundespräsidentenamt“ finden. Es ist ein Signal, einen für alle Deutschen annehmbaren Nachfolger zu finden. Doch so gut dieser Vorschlag gemeint ist, ist er doch einer für einen „charismatischen Herrscher“. Ist es das, was es jetzt braucht, um die Empörung und Politikverdrossenheit im Lande zu stoppen? Es wäre traurig, wenn dem Ansehen des Amtes – und dem Ansehen der Demokratie – nichts anderes mehr helfen könnte. Denn das hieße, dass das Vertrauen in die legale Herrschaftsform ins Wanken gekommen ist.

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