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KiÊn HoÀng LÊ

CDU-Mann gegen Erdgasindustrie - Der AbFracker

Die Bundesregierung hat am Mittwoch Regeln für Fracking beschlossen. Im Bundestag will sie ein CDU-Mann verschärfen, er ist schon jetzt der Schrecken der Gastindustrie. Geschichte über die Macht eines einzelnen Abgeordneten

Autoreninfo

Georg Löwisch war bis 2015 Textchef bei Cicero. Am liebsten schreibt er Reportagen und Porträts. Zu Cicero kam er von der taz, wo er das Wochenendmagazin sonntaz gründete. Dort kehrte er im Herbst 2015 als Chefredakteur zurück.

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Gasbohren in Schiefer- und Kohleflözgestein soll in Deutschland in den nächsten Jahren nur probeweise möglich sein - das hat das Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen. Für das herkömmliche Fracking, mit dem bisher schon in Niedersachsen Gas aus tieferen Schichten gefördert wird, werden die Regeln verschärft. Nun muss das Gesetz in den Bundestag, dort könnte es nochmal heftiger für die Gasindustrie kommen, denn in den Regierungsfraktionen von Union und SPD werden Verschärfungen verlangt. Vor allem in der CDU prallen die Auffassungen aufeinander. Den Anführer der Frackinggegner in der Union und den Kampf um Gasbohren hat Cicero im August 2014 beschrieben, die Reportage war für den Medienpreis des Bundestags nominiert.

Am Donnerstagnachmittag um 14.37 Uhr, die Sonne scheint ihm in den Nacken, lässt Sigmar Gabriel Dampf ab. Er war eine halbe Stunde artig, eingezwängt zwischen Sessel und Sitzungstisch, das Sakko über der Lehne. Er hat leise gesprochen, kurze Antworten, sonore Vizekanzlerstimme. Aber jetzt reicht es, jetzt muss sie raus, seine „ganz persönliche Einschätzung“, die dürfen der Mann mit der roten Krawatte links neben ihm und die anderen am Tisch schon noch hören. Es gehe nicht, die Förderung von Schiefergas auf ewig auszuschließen. „In diesem Land ist es inzwischen so, dass Menschen davor Angst haben, dass sie Krebs kriegen, wenn eine Stromleitung in Sicht ist.“

Der SPD-Chef schaut in den kühl klimatisierten Raum im Paul-Löbe-Haus des Bundestags. Er hat gerade einen CDU-Spruch rausgehauen, so reden Unionspolitiker über Ökos. Aber an dem großen runden Tisch sitzt kein einziger Grüner. Der Wirtschaftsminister hat Abgeordnete des Koalitionspartners vor sich, 30 Politiker von CDU und CSU. Sie sind ein wichtiger Grund dafür, dass Fracking, jene umstrittene Technik der Erdgasförderung, in Deutschland gerade ziemlich tot ist. Und dass es nach der Sommerpause einen Gesetzentwurf geben wird, der den Erdgasunternehmen das Leben auch künftig schwer machen wird.

Gabriel hat wenig zu gewinnen mit dem Fracking. Er hat auch wenig zu gewinnen gegen den Mann mit der roten Krawatte, der links neben ihm sitzt: Andreas Mattfeldt, 44 Jahre alt, CDU-Abgeordneter aus Niedersachsen. Er hat um sich mehre dutzend Unionsabgeordnete geschart, die etwas gegen Fracking haben. Die „Mattfeldt-Gruppe“ heißt der Zusammenschluss im Bundestag. Es klingt unglaublich, doch letztlich hat dieser eine Abgeordnete die Erdgasunternehmen in Deutschland unterworfen. Der CDU hat er in einer Zukunftsfrage seine Linie aufgedrückt.

[[{"fid":"65181","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":1050,"width":750,"style":"width: 200px; height: 280px; float: left; margin: 5px;","class":"media-element file-full"}}]]Mattfeldt hat ein weiches Gesicht, mit einem lustigen Zug im linken Mundwinkel. Das Gesicht sagt: Tu mir nichts, dann tu ich dir nichts. Nur sein gerader Blick kann Härte erzeugen, er sticht dann beinahe drohend geradeaus.

Im Haushaltsausschuss beaufsichtigt Mattfeldt das Budget des Wirtschaftsministeriums. Wenn Gabriel Geld braucht, neue Stellen in irgendeinem Referat, führt der Weg über Mattfeldt. Dieser Umstand dürfte dazu beigetragen haben, dass sich der Minister an diesem Nachmittag Zeit genommen hat. In der vergangenen halben Stunde hat er ein Zugeständnis nach dem anderen gemacht. Eine Prüfung der Umweltverträglichkeit für alle Erdgasbohrungen. Ein Vetorecht der Landratsämter. Und wenn es Schäden gibt, muss das Energieunternehmen nachweisen, dass es nicht schuld daran ist. Nur am Schluss gestattet sich Gabriel den kleinen Ausbruch zur Technologiefeindlichkeit: „Da habe ich einen prinzipiellen Widerstand.“

Mattfeldt richtet sich im Sessel auf. „Zunächst einmal herzlichen Dank für Ihre Ausführungen, Herr Minister.“ Blick auf Gabriel. Es hätten sich mehr als 60 Kollegen von CDU und CSU für diese Sitzung angemeldet, über 100 machten sich ernste Gedanken über die Erdgasförderung. Technologiefeindlich? Blick in die Runde. „Es ist hier niemand gegen eine sichere Erdgasförderung.“ Blick zu Gabriel. „Ich bin allerdings nicht so gutgläubig der Industrie gegenüber, wie ich das vielleicht vor 15 Jahren war.“ Blick in die Runde. „Das darf ich auch in aller Deutlichkeit sagen!“

Fracking ist nicht eben erst aus den USA nach Deutschland gekommen. In der Bundesrepublik wird schon seit Jahrzehnten gebohrt – und gefrackt. In Niedersachsen begannen Geologen in den fünfziger Jahren damit, systematisch nach Erdgas zu suchen. Wo sie fündig wurden, brachen Ingenieure mit ihren Maschinen tief ins Gestein hinein. Erdgas hat sich über Millionen von Jahren aus organischen Ablagerungen gebildet, aus Pflanzen, aus Algen. Die Ablagerungen haben sich in der Tiefe verändert. Unter Druck und bestimmten Temperaturen entstand das sogenannte Muttergestein, in dessen Poren sich das Gas befand. Weil es leicht war, strömte es von dort nach oben und wurde erst von undurchlässigen Steinschichten gestoppt, sodass Lagerstätten entstanden. Das Gestein bohrten die Ingenieure an, sie gingen bis auf 5000 Meter unter die Erde und bahnten dem Rohstoff einen Weg.

Das Gas strömte, die Firmen kassierten. War das Gestein zu dicht, pumpten die Ingenieure unter hohem Druck Wasser und Chemikalien in die Erde. Sie erzeugten Risse, in die sie Sand oder Keramikkügelchen nachschossen, um den Weg für das Gas offen zu halten. Die Methode wurde 1961 in Niedersachsen das erste Mal eingesetzt, sie kam aus den USA und hieß Hydraulic Fracturing, oder: Fracking.

Der Bedarf nach Erdgas stieg. Nach der Ölkrise setzte Deutschland in den Siebzigern mehr und mehr auf Gas. Die Gasheizung galt schnell als modern, sauber und günstig. Die Heizöllaster hielten vor immer weniger Häusern, die Öltanks wurden herausgerissen, um Platz im Haus zu schaffen, Familienväter richteten sich einen Hobbykeller ein. Deutschland importierte den Brennstoff, aber rund 10 Prozent des Verbrauchs wurden im Land gefördert. Die Bergämter vergaben Konzessionen, der Staat kassierte einen Förderzins, vor allem in Niedersachsen, denn 95 Prozent des deutschen Erdgases kommen von dort.

1996 bekam auch Andreas Mattfeldt im niedersächsischen Langwedel einen Gasanschluss. Er hat ein stattliches Haus, es ist Sommer, 20 Grad. Eine Woche nach dem Termin mit Gabriel spaziert Mattfeldt um den Klinkerbau und zeigt seinen Garten. Im Winter an Sonntagnachmittagen sitzt er mit seiner Frau und den zwei Töchtern im warmen Wohnzimmer bei Kaffee und Butterkuchen. Er habe sich lange nicht darum gekümmert, wo das Gas herkommt, sagt er. „Hauptsache ein warmer Arsch.“

Mattfeldt ist eigentlich Industriekaufmann für Fleischwaren. Wurst, Schinken, Brotaufstriche. Nachdem er sich dafür engagiert hatte, das heruntergekommene Freibad zu retten, wählte ihn Langwedel zum Bürgermeister. Wenn er abends an einer Bohrstelle der RWE Dea vorbeifuhr und in der Dunkelheit eine Gasfackel lodern sah, war er stolz. Die sauberste Energiequelle, die es gibt, dachte er. Als Bürgermeister wurde er zu Festen der Gasfirmen eingeladen. Die Ingenieure und die Männer vom Bergamt saßen beim Bier.

Im Oktober 2004 machte Mattfeldt Urlaub auf Sylt, als er aufgeregte Anrufe bekam. „Andreas, ein Erdbeben, hier hat es gerumst.“ Eine Magnitude von 4,5 auf der Richter-Skala. Er dachte an die Bohrungen, er rief bei der RWE Dea an, beim Bergamt in Hannover. „Die haben mich als Vollpfosten abgetan, als Dussel.“

Vielleicht war das der größte Fehler, den die Industrie machen konnte.

In den USA beschlossen die Firmen in dieser Zeit, Fracking verstärkt einzusetzen. Das Gas sollte direkt aus dem Muttergestein geholt werden, dort wo es entstanden war. Die Ingenieure bohrten ins Schiefergestein, sie nannten die neuen Methoden Superfracking, und die lohnten sich, denn die Energiepreise waren hoch.

Die Branche boomte, die USA konnten ihre Gasimporte drastisch reduzieren. Aber es gab bald Streit. Das Wasser, das auf den Bohrplätzen nach oben kam, war giftig, manchmal radioaktiv. Die Firmen entsorgten es nicht immer sauber. Eine Studie der Duke University fand Hinweise, dass das Trinkwasser in der Nähe von Bohrstellen mit Gas kontaminiert ist. „Don’t frack my mother“, sangen Sean Lennon und Yoko Ono. Das Dilemma zwischen Energiehoffnung und Umweltangst war ein Stoff für Hollywood. „Promised Land“ handelte davon, wie Fracking die USA spaltet, Matt Damon stellte den Film auf der Berlinale vor.

Als im Münsterland und am Bodensee bekannt wurde, dass Gasfirmen die Gegend erkundeten, um dort die neuartigen Fracking-Methoden aus den USA einzusetzen, waren die Menschen beunruhigt. Die Ablehnung baute auf Kindheitswissen auf: Gas ist gefährlich. Explosiv, giftig, unsichtbar.

Im August 2011, Mattfeldt saß inzwischen im Bundestag, suppte aus einem Rohr der RWE Dea Benzol, der Stoff ist krebserregend. Das Benzol war auf mehreren Kilometern durch die Leitung diffundiert.

Im November 2012 saß Mattfeldt beim Essen in Berlin. Das Handy klingelte: „Andreas, hier haben die Wände gewackelt.“ Nur eine Magnitude von 2,8, aber in 2000 bis 4000 Metern Tiefe, das Epizentrum am Rande des Erdgasfelds in Mattfeldts Nachbarschaft.

Er geht von seinem Garten ums Haus und durch einen Seiteneingang in die Waschküche. Er zeigt eine zackige Linie, sie führt von der einen Wand übers Eck zur anderen. Ein Riss. Vom Rums. „Da fällt das Haus nicht zusammen“, sagt Mattfeldt. Aber bisher muss ein Geschädigter der Erdgasfirma nachweisen, dass sie schuld ist. „Die Eigentümer wollen das ersetzt wissen.“

Das Bundesumweltamt warnte vor unwägbaren Gefahren des Fracking. Im Gesetz stand nichts, was die Technik verbot. Es gab jedoch auch keine Regelungen, auf die sich Industrie und Bergämter berufen konnten. Die Leute in den Gasfirmen und in den Bergämtern hielten lieber still, bis ein Gesetz die Dinge klären würde. Sie hofften auf die FDP, deren Chef ­Philipp Rösler ein passendes Gesetz versprach. Und auf die CDU, die für Technologiefreundlichkeit stand. Sie hofften auf Männer wie Michael Fuchs.

Von den Bundestagsbüros in Berlin hat Fuchs eines der feinsten. Blick auf die Reichstagskuppel, Blick auf die Spree, Montagmorgen, 8.20 Uhr, ein herrlicher Tag, die Woche kann beginnen. Fuchs, 65 Jahre alt, sitzt am Tisch, zwei Referenten schauen ihm beim Reden zu. Er ist einer der Vizechefs der Unionsfraktion, zuständig für Energie und Wirtschaft. Klar, er hat sich mit Fracking beschäftigt, Technik ist für ihn etwas Tolles. Sein erstes Geld als Unternehmer verdiente er mit einem speziellen Schlüsselanhänger. Statt ihn zu suchen, pfeift man einfach, und er macht sich durch ein Piepsen bemerkbar. Im Bundestag hat er für die Kernenergie gestritten, er war der „Atom-Fuchs“. Heute muss er Angela Merkels Atomausstieg mittragen. Aber alles macht er nicht mit. „Nur mit Sonne und Wind – wer glaubt, nur dadurch könnten wir die Energiewende schaffen, der liegt falsch. Es darf bei neuen Energiequellen einfach keine Denkverbote geben.“

Ein wenig ist es wie früher. Es gibt die Bürger­initiativen, die Umweltverbände, die Grünen. Und Michael Fuchs von der CDU steht auf der anderen Seite. „Wir sollten schon genau unterscheiden: Was sind Sorgen, die wir ernst nehmen müssen; und was ist nur ein neues Betätigungsfeld für NGOs, die sich nicht mehr an der Kernkraft abarbeiten können.“ Wir gegen die, Grün gegen Schwarz.

Andreas Mattfeldt sitzt im Wintergarten von Sigrid Meyer-Klein in Langwedel. Vertreter der Bürgerinitiativen der Gegend sind zu Besuch. Aus Thedinghausen ist Dettmar Frese da, CDU-Mitglied, Rentner und bis vor kurzem noch Geschäftsführer von Masterrind, ­einem Versand von Bullensamen. Natürlich ist das jetzt nicht das Thema. Im Wintergarten geht es um grundwasserführende Schichten, um porösen Beton in Bohrleitungen, um das unbekannte Gebiet im Innern der Erde. „Keiner weiß, wie die Dinge dort unten sind“, gruselt sich Sigrid Meyer-Klein.

Draußen summt ein Rasenmäher, im Wintergarten ist es heimelig. Ein Farn, ein getöpferter Leuchtturm, an einer Fensterfront hängt eine Lichterkette mit Sonnen, Monden und Sternen. Auf der Tischdecke mit dem Herzmuster stehen Kekse und Ferrero Küsschen bereit. Wenn RWE Dea auf die Idee kommt, sich neue Bohrstellen zu suchen, würde die Initiative sofort ihre roten Holzkreuze aufstellen. Gerade erklärt Mattfeldt: „Ich hab zum Sigmar Gabriel gesagt: ‚Die ketten sich an bei mir im Wahlkreis.‘“

Je konkreter in Berlin 2012 über das Frackinggesetz gesprochen wurde, desto aktiver wurde Andreas Mattfeldt. Er verschmolz die Interessen: Die CDU-Abgeordneten aus Niedersachsen, in deren Wahlkreisen schon gebohrt wird, brachte er mit Kollegen aus Wahlkreisen zusammen, in denen Energieunternehmen die Suche nach Schiefergas planten. Andreas Jung, ein Umweltpolitiker vom Bodensee, alarmierte die baden-württembergischen Abgeordneten. Die Gruppe wuchs.

Mit einem Bekannten vom Brauerbund überlegte Mattfeldt, was man noch tun könnte. Irgendwann stand auf Seite eins der Bild, die Bierbrauer fürchteten um das Trinkwasser. „Reinheitsgebot in Gefahr!“ Umgehend war die Mattfeldt-Gruppe um ein paar Kollegen der CSU stärker. Sie war nicht mehr zu ignorieren.

In Mattfeldts Welt werden die Wichtigen und Mächtigen von Berlin Kumpels und Nachbarn, als kämen sie aus dem Flecken Langwedel. Spricht er von anderen Politikern, nennt er sie beim Vornamen, egal, ob er sie wirklich duzt oder nicht. Der Peter, der Sigmar. Die hierarchische Sortierung in Minister und Staatssekretäre, in Vizes und Sprecher verwischt in dieser Welt, als wäre der Bundestag ein Gemeinderat und Peter Altmaier der Vorzimmerchef der Landrätin.

Mattfeldt ist wichtig, weil er sich wichtig macht. Dabei agiert er so, dass ihm niemand böse sein kann. Missbilligt er etwas, sagt er bloß: „Mein lieber Schneeschieber!“ Er verteilt Broschüren seiner alten Firma, Weißwürste, Kochschinken, Landschinken, alles bio, abends schmaust er mit Kollegen.

Er ist in Langwedel nur mit der Mutter aufgewachsen. Der Vater, ein Austauschschüler, hatte sich nach einem Abenteuer zu Silvester 1968 wieder nach Frankreich verzogen. In der Provinz der siebziger Jahre musste man ohne Vater Vorurteile überwinden. Der Junge machte das Dorf zu seiner Familie. Heute verteidigt er es.

2013, Schwarz-Gelb regierte noch, legte Philipp Röslers Wirtschaftsministerium Entwürfe für ein Frackinggesetz vor. Darin gab es Regeln, aber sie hatten Hintertürchen. Das neuartige Fracking sollte verboten werden, solange nicht alle Risiken geklärt sind. Das hieß: Sobald sie als geklärt angesehen werden, ist es erlaubt. Mattfeldts Kollege Andreas Jung ist Rechtsanwalt. Er schaute sich die Halbsätze an, die aus dem Ministerium kamen und suchte harte Formulierungen. Mattfeldt wirbelte, Jung schloss die Hintertürchen.

Kurz vor der Bundestagswahl brach die Regierung das Projekt ab. Nach der Wahl verhandelten Union und SPD. Andreas Mattfeldt hatte den Eindruck, dass die SPD-Länder gegen harte Regeln arbeiteten, „mein lieber Schneeschieber!“ In Nordrhein-Westfalen sind Kommunen an RWE beteiligt. In Niedersachsen kassiert das Land im Jahr 600 Millionen Euro Förderzins von den Erdgasunternehmen. In die Koalitionsvereinbarung wurde geschrieben, Fracking habe ein erhebliches Risikopotenzial. Doch die Formulierungen klangen weich. „Wissensdefizite“, „Dialog mit allen Beteiligten“. Es waren Hintertürchen.

Die Gasunternehmen kämpfen. Sie haben im Februar eine Hauptstadtrepräsentanz aufgemacht. Die Leiterin Susanne Funk hat bis 2013 für die CDU gearbeitet. Sie war die Mitarbeiterin eines Abgeordneten, der im Umweltausschuss das Frackinggesetz bearbeitete. Sie kennt sich mit Hintertürchen aus.

Michael Fuchs hat ein Dutzend Kaffeebecher in seinem Regal, sie tragen Logos von ARD und ZDF. Die Sender laden ihn ein, weil sie hoffen, dass der Atom-Fuchs doch noch mal zuschlägt. Weil er die Augenbrauen so schön hochzieht, dass sie spitz werden wie Dachgiebel. Und weil er Politik in Geschichten verpacken kann.

Fuchs war vor ein paar Jahren in Nowy Urengoi, 50 Kilometer westlich vom Polarkreis. Im Winter 50 Grad Minus, im Sommer die Mücken. 100 000 Menschen, die sibirisches Gas fördern. „Große Mengen des russischen Gases kommen daher, fast 40 Prozent des gesamten deutschen Gasverbrauchs werden aus Russland gedeckt.“ Fuchs erzählt ganz ruhig, gerade so, als ob sie noch schliefen in Nowy Urengoi. Die Fördertechnik dort machte keinen guten Eindruck auf ihn. Verrostet, verrottet, schmutzig. Die Referenten merken auf, gleich kommt’s. „Dann wird ihnen bewusst, wie verwundbar solche Infrastrukturen auch sind. Von der Abhängigkeit von Putin ganz zu schweigen.“ Die Referenten sehen besorgt aus, fast als wäre Nowy Urengoi gerade in die Luft geflogen. Das gefällt ihnen nicht. „Das kann uns nicht gefallen“, ruft Fuchs. „Wir brauchen andere Varianten für die Gasversorgung!“

Während der Sommerpause werden Wirtschafts- und Umweltministerium Gesetzestexte schreiben. Gabriel hat nun angekündigt, das Fracking in Schiefergas bis 2021 zu verbieten. Soll er vielleicht gegen Hollywood antreten? Sich mit Mattfeldt herumärgern? Nur Erprobungsprojekte ohne wassergefährdende Stoffe will der Minister ermöglichen. Fracking wie bisher, also in tieferen Schichten, soll erlaubt bleiben, doch die Regeln werden scharf sein. Umkehrung der Beweislast bei Schäden. Vetorecht der Landratsämter. Verbot im Einzugsbereich von Seen, aus denen Trinkwasser entnommen wird. Mattfeldt hätte obendrein noch gern, dass das Wasser aus den Lagerstätten nicht wieder in die Erde gepresst werden darf, sondern gefiltert und aufbereitet wird. Das wäre teuer für die Industrie.

Kurz nach 17 Uhr, Mattfeldts BMW 530d tuckert durch einen Stau auf der A 27. Er hat ein neues rotes Holzkreuz von Sigrid Meyer-Klein im Kofferraum. Er hat in Bremen am Bahnhof gerade einen Referatsleiter aus Gabriels Wirtschaftsministerium abgesetzt. Mattfeldt hat ihn zu einer Ortsbegehung eingeladen, es ist der Beamte, der den Sommer über am Gesetzestext arbeiten wird, und der Abgeordnete hat ihm vorsorglich noch einmal aufgedröselt, wie genau er sich im Stellenplan des Ministeriums auskennt.

Jetzt klingelt das Handy. Freisprechanlage. „Mensch Andreas, du stehst bestimmt gerade auf einem Bohrfeld.“ Eine Ex-Politikerin aus Berlin ist dran, sie ist auch in der CDU, nun arbeitet sie für eine Lobbyagentur. Sie bietet eine Information über Gabriels Haltung an. Wenn sie wüsste. Im Gegenzug bittet sie darum, dass Mattfeldt ihr den ersten Gesetzentwurf schickt, sobald er da ist. Es geht um Informationsvorsprünge, darum, die neueste Formulierung zu kennen, nur dann kann man rechtzeitig Hintertürchen suchen. „Du bist ein Traum“, sagt er. Doch er verspricht nichts.

Er ist durch den Stau durch. Der BMW schießt über die Autobahn.

In Verden an der Aller wartet Gernot Kalkoffen, Deutschlandchef von Exxon Mobil, größter Erdgasförderer im Land, den Branchenverband führt er auch an. Er steht in der Kantine eines Mittelständlers, Neonlicht, Pokale vom Betriebssport in den Regalen. Der CDU Wirtschaftsrat, Sektion Elbe-Weser, hat Kalkoffen eingeladen. Er ist eine elegante Erscheinung. Silberner Schnauzer, dunkelblaue Krawatte, dunkelblaues Jackett. Er verantwortet 13 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, aber die CDU ist wichtig für ihn, da kommt er auch in eine Kantine in Verden an der Aller.

„Ich freue mich auf die Diskussion mit Herrn Mattfeldt“, sagt Kalkoffen. „Ich freue mich, dass wir versuchen weiterzukommen, konstruktiv.“ Seine Stimme klingt angenehm wie aus einer teuren Stereoanlage. Mit einer Fernbedienung klickt er sich durch seine Präsentation: Die Tradition der Erdgasindustrie. Ihre wichtige Rolle im Energiemix. Eine Grafik zeigt, wie in den Neunzigern Fracking die deutsche Gasförderung ansteigen ließ – und wie sie seit kurzem zurückgeht. „2011 haben wir den letzten Frac gemacht“, klagt Kalkoffen. „Wir kriegen seit Jahren keine Genehmigung mehr.“ An den Tischen sitzen 30 Gäste. Unternehmer, Wirtschaftsprüfer, Geschäftsführer. Jetzt ist Mattfeldt dran. Er streckt den Rücken durch. „Es hat geknallt, Herr Kalkoffen, es hat gewumst, Herr Kalkoffen, da haben die Wände gewackelt.“ Er hält ein Foto vom Riss in seiner Waschküche hoch, sein Beweisstück. „Ich bin auch Unternehmer“, ruft er. „Ich bin der Schlachter im Parlament. Wurst und Schinken kann ich!“

Etwas weiter hinten sitzt Dettmar Frese von der Bürgerinitiative aus Thedinghausen. CDU, das ist er, und Wirtschaft, das ist er auch, der ehemalige Geschäftsführer von Masterrind.

Bullensamen und Schinken: die neuen Ökos. Und alle in der CDU.

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