Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Freunde trotz Karriere - Egon Bahr schreibt über Willy Brandt

Wer erfolgreich ist, dem zerrinnen echte Freundschaften zwischen den Fingern. Eigentlich. Bei Willy Brandt und Egon Bahr war das anders. Bahr hat die Erinnerungen an seinen Freund nun aufgeschrieben

Autoreninfo

Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

So erreichen Sie Wulf Schmiese:

Freund – Feind - Parteifreund. Leicht gesagt ist diese Steigerung, die eines deutlich macht: In der Politik sind Freundschaften selten. Je höher es geht, desto weniger Freunde gibt es. Die Zahl der Feinde wächst, wobei besonders ernüchternd ist, dass aus vermeintlichen Freunden am Ende Feinde werden.

Unten ist an Freundschaften noch kein Mangel – auf jedem Parteitag werden Delegierte das bestätigen. Doch mit dem Aufstieg nimmt die Zahl derer rapide ab, die sich wirklich aufeinander verlassen können. Diese Entwicklung nicht zulassen wollte der berühmte Andenpakt. Den schlossen die jungen westdeutschen CDU-Politiker Koch, Merz, Müller, Wulff, Beust, Oettinger und einige mehr, die von sich annahmen, eines Tages Fraktionen zu führen und Länder zu regieren. Sie hatten sich gegenseitig versprochen, niemals Gegner zu werden. Dazu kam es auch wirklich nicht. Doch wie wäre es gewesen auf der letzten Etappe nach ganz oben, die keiner von ihnen mehr erreichte - ins Kanzleramt?

Auf dem Achttausender ist die Luft so dünn, dass nur besondere Charaktere es dorthin schaffen. Das sagte einst sinngemäß Außenminister Fischer mit Blick auf Kanzler Schröder. Auf dem Gipfel lassen sich keine wahren Freunde mehr finden. Wer dort ankommt, hat nur noch Sherpas um sich. Es sei denn, er hatte zuvor verlässliche Freunde so ins Seil gehakt, dass sie sich bis nach oben gut behandelt fühlten – eben wie Freunde auf Augenhöhe.

Dieses Glück hatte Willy Brandt, der in diesem Jahr 100 Jahre alt werden würde. Als er vor 20 Jahren starb, fragte ihn sein Sohn Lars: „Wer waren deine Freunde?“ Der sterbende Kanzler antwortete: „Egon“. Lars Brandt schrieb das damals dem längsten, engsten und wohl letzten Freund seines Vaters: Egon Bahr.

Dieser Freund hat nun ein Buch geschrieben über seine seltene Freundschaft: „Das musst du erzählen“, heißen seine Erinnerungen an Willy Brandt. Es ist ein Zitat Brandts mit der Betonung auf „du“; eine Mischung aus selbst nicht wollen und zugleich doch wünschen, dass noch etwas mehr über die Ostpolitik berichtet wird, als es Brandt in den eigenen Büchern über seine fünf Kanzlerjahre tat.

Bahr begleitete Brandts politisches Leben seit Anbeginn der Bundesrepublik. An das erste Treffen kann sich Bahr nicht mehr erinnern. Von Bonn aus, wo Bahr als Radiokorrespondent akkreditiert war und mit Adenauer wie Schumacher journalistisch zu tun hatte, wurde Brandt für ihn jedoch bald „Mister Berlin“. Allein dessen Sprache unterschied ihn für den jungen Bahr von allen anderen Politikern der Zeit, denn sie klang „nicht nach Parteichinesisch“. Bahr beendete eine steile Medienkarriere als RIAS-Chefredakteur, der von anderen Medien umworben war, um1960 Pressechef des Regierenden Bürgermeisters Brandt zu werden.

Da war es noch keine Freundschaft. Obgleich beide SPD-Genossen waren und außenpolitisch gleich tickten, waren sie damals noch beim „Sie“. Diese Anrede behielten sie öffentlich während der Außenminister- und Kanzlerjahre bei, auch wenn sie sich da intern längst duzten. Vertrauen konnte Bahr beim verschlossenen Brandt offenbar nur behutsam gewinnen: „Näher konnte man ihm nur kommen, wenn man ihm nicht zu nahe kommen wollte.“ Mit diesem Schlüsselsatz berichtet Bahr über das frühe Miteinander. „Ich fragte ihn nie nach Persönlichem“, erinnert sich Bahr. „Auch Gerüchte, die in der Presse berichtet wurden, blieben tabu.“

Nächste Seite: Nixon über Brandt: „Er sei ihm unsympathisch, außerdem ein Trinker.“

Brandt wirkte auf Bahr verletzlich. „Brandt alias Frahm“. Mit diesen drei Worten im Bundestagswahlkampf 1961, und zwar am Tag nach dem Mauerbau, hatte Adenauer seinen Gegner Brandt fast matt gesetzt. Es war die infame Anspielung auf Brandts uneheliche Geburt, die zugleich den Argwohn vieler Deutscher gegenüber Emigranten bedienen sollte. Brandt erschien in seinem Zorn hilflos und reagierte auf den Rat Bahrs erst recht wütend, solchen Dreck doch einfach egal sein zu lassen. „Einen wirksamen Gegenangriff gab es nicht, und eine bloße Verteidigung wäre würdelos gewesen“ für Brandt, schreibt Bahr. Nach der abermals verlorenen Bundestagswahl 1965 habe Brandt erwogen, wieder zurückzukehren in seine Exilheimat Norwegen – diesmal für immer. „Er war kein robuster Typ, der die Tiefschläge des politischen Alltags und die offenen oder versteckten Hasskampagnen ungerührt wegsteckte.“

Als Brandt 1969 endlich angekommen ist im Amt des Bundeskanzlers, erfüllt er seine buchstäblich kindliche Sehnsucht, so wahrgenommen zu werden wie die anderen. Im Palais Schaumburg will er den Status seiner drei CDU-Vorgänger auf sich übertragen. „Auch Brandt ändert im Kanzlerbüro nichts. Er sitzt am Schreibtisch Adenauers, mit derselben Einrichtung einschließlich der Bilder. Er will in dieser Tradition wahrgenommen werden.“

Politisch jedoch wagt er neue Wege, die Bahr ihm schon zur Berliner Zeit gezeichnet hatte unter der Überschrift: Wandel durch Annäherung. Einer dieser Wege führt so schnurstracks in den Kreml, dass Bahr sich noch heute wundert. Der sowjetische Machthaber Leonid Breschnew interessierte sich für die neue Führung der Bundesrepublik. Brandt war der erste westliche Staatsmann, dem Breschnew persönlich begegnete. „Die Chemie zwischen beiden stimmte. Sie liebten Wein, Weib, Gesang, und auf Mahnungen der Ärzte, kürzer zu treten, hätten beide bestimmt beschlossen, das Singen einzustellen.“

Fast liebevoll erinnert sich Bahr an den Sowjet-Herrscher und rechtfertigt seinen kritiklosen Rückblick damit, dass man bei allem Wissen über „alles Schlimme“ der Moskauer Führung mit den vorhandenen Verhandlungspartnern halt habe auskommen müssen im Kalten Krieg. Jedenfalls war der Draht Brandts und Bahrs zu Breschnew so kurz, dass darüber weder der sowjetische Außenminister noch die DDR-Führung Bescheid gewusst hätten. Diese außergewöhnliche Leitung nutzte Bahr noch weiter für Brandts Nachfolger Schmidt und Kohl.

„Brandt empfand Sympathie für Breschnew, die er für Nixon nie entwickelte“, schreibt Bahr und berichtet vom ersten Besuch des SPD-Kanzlers in Washington: „Endlich allein, fing Willy an, über Nixons Charakter zu lästern und mir zu sagen, wie unsympathisch der Mann sei.“ Bahrs Warnung, im Washingtoner Gästehaus werde bestimmt alles abgehört, schlug Brandt in den Wind. Bahr erfuhr viel später von Nixons damaligem Sicherheitsberater und späterem Außenminister Henry Kissinger, dass sein Verdacht berechtigt war. Nixon hatte sie abhören lassen mit der Erkenntnis: „Brandt sei ihm unsympathisch, außerdem ein Trinker.“

Ob Brandt trank, will Bahr so nicht bestätigen. Er habe ihn jedenfalls nie besoffen gesehen, sagt er im Gespräch, schreibt allerdings in seinem Buch über den todkranken Brandt: „Die Leidenschaften dieser Welt hatte er hinter sich gelassen, Triumph und Verletzungen erreichten ihn schon nicht mehr.“ Wohl aber erinnerte sich der erste Bundeskanzler der SPD in diesem Zustand noch an seinen engsten Weggefährten.

Es ist sehr fraglich, ob die anderen sieben, die vor und nach Willy Brandt die Bundesrepublik Deutschland regierten, jemanden hatten oder haben, der so selbstbewusst und glaubwürdig wie Egon Bahr behaupten kann, ein echter Freund gewesen zu sein.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.