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Doppeltes Prism - Die gefährliche Hybris von Kanzlerin Merkel

Es gab zwei amerikanische Prism-Programme, lässt Angela Merkel mitteilen und stößt bei ihren Rechtfertigungen im US-Abhörskandal in clintoneske Regionen vor. Dabei stellt sich längst die Frage: Hat die Kanzlerin gelogen?

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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Der bisherige Weltmeister der Ausflüchte ist der frühere amerikanische Präsident Bill Clinton. Als er in Verdacht geriet, als junger Mann ab und zu mal einen Joint durchgezogen zu haben, ließ er die Öffentlichkeit wissen: „I did not inhale.“ Es war kein Lungenzug. Später war er dann wegen der Affäre mit einer Praktikantin einem Amtsenthebungsverfahren ausgesetzt. Das befasste sich mit befleckten Kleidern und dem fantasievollen Einsatz dicker Zigarren vor dem Entzünden. Und auf eine kitzelige Frage, in der ein unschuldiges Hilfsverb vorkam, antwortete der schlüpfrige Bill einmal mit den Worten: „It depends on what the meaning of the word is is.“ Kommt drauf an, was die Bedeutung des Wörtchen ist ist.

Die Bundesregierung und Bundeskanzlerin Angela Merkel stoßen bei ihren Abwehrversuchen im Prism-Skandal langsam in clintoneske Regionen des ungewollt Komischen vor. Seit Tagen geht Merkel persönlich mit der Aussage spazieren, sie sei sicher, dass sie sich nicht abgehört worden sei. Sie vertraue auf ihre IT-Experten. Die schafften ihr sichere und geschützte Bedingungen für ihre Amtsgespräche. Zudem sei ihr auch nichts bekannt dazu, obschon ihre Verbraucherministerin Ilse Aigner gesagt hatte, das Abhören der US-amerikanischen Geheimdienste habe bis in höchste deutsche Regierungskreise stattgefunden.

Die erste Begründung von Merkel kündet von einer gewissen Hybris und Volksferne. Schließlich verfügt leider nicht jeder deutsche Staatsbürger über so viele und tolle Sicherheitsexperten, um den eigenen Computer und das Handy abhörsicher zu machen. Die zweite Einlassung verströmt eine gewisse Naivität, die gar nicht zur sonst so misstrauischen Merkel passt. Ich weiß nichts, also war nichts?

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Das war alles schon mäßig überzeugend. Jetzt aber droht der geknöpfte Hosenanzug der Kanzlerin wirklich Feuer zu fangen. Es riecht schon richtig brenzlig. Die Enthüllung eines Bundeswehr-Dokuments aus Afghanistan aus dem Jahre 2011 hat die Lage verschärft. Darin wird ein Geheimprojekt namens Prism genannt, dem die Deutschen zuliefern sollten.

Nun lässt Merkel allen Ernstes auf kritische Fragen ausrichten, es gebe zwei Prism-Programme der amerikanischen Sicherheitsbehörden. Das nun kommt auf der I-did-not-inhale-Skala ganz nah an den Top-Scorer Bill Clinton heran.

Wer bitte soll das glauben? Wenn man weiß, wie sorgfältig beispielsweise die Namen von Auslandseinsätzen ausgesucht werden, da kann und mag man nicht an diesen Zufall glauben. Es sieht, man kann es leider nicht vornehmer formulieren, sehr nach dem Versuch einer Volksverarschung aus.

Das Dokument, das die Bild-Zeitung da zutage gefördert hat, kann der Kanzlerin zum Verhängnis werden. Denn wenn es sich bewahrheiten würde, dass es sich bei diesem Prism um das in Rede stehende Prism handelt, dann hat sie gelogen. Dann wusste die Regierung von Prism oder hätte jedenfalls davon wissen müssen. Dann wäre es auch völlig unerheblich, ob die rot-grüne Vorgängerregierung mit einem Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier auch schon was hätte wissen müssen oder können. Dann hätte die Opposition im Wahlkampf freies Schussfeld auf die Kanzlerin.

Die nächsten Tage werden spannend. Merkel wird überzeugendere Erklärungen finden müssen. Sonst gerät ihre dritte Kanzlerschaft am 22. September doch noch ernsthaft in Gefahr.       

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