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Ford Madox Brown

Die neue Völkerwanderung - Es geht erst los

In der Oktober-Ausgabe des Magazins Cicero geht es um eine Migrationswelle, die bereits vor fast zwei Jahrtausenden zum Niedergang eines Imperiums führte. Chefredakteur Christoph Schwennicke stellt das neue Heft vor

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Neulich sind meine Frau und ich auf einer spätsommerlichen Radtour am Scharmützelsee an Boston und Philadelphia vorbeigekommen. Eine Erklärung für die Namen der beiden Dörfer lautet, dass hier im Sand der Mark Brandenburg einst Auswanderer auf dem Weg zur Küste hängen blieben. Ihre Siedlungen benannten sie nach den Sehnsuchtsorten, an denen sie nie ankamen. Das meinte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in seiner flammenden Rede, als er daran erinnerte, dass in Europa „jeder einmal ein Flüchtling war“.

Die Sehnsuchtsorte der heutigen Auswanderer heißen nicht mehr Boston und Philadelphia, sondern Berlin und München. Um die zu erreichen, lassen sie sich von nichts und niemandem aufhalten. Eine neue Völkerwanderung ist im Gange. Unter den weltweit etwa 540 Millionen Wanderungswilligen träumen viele von Deutschland, dem Land, dessen Kanzlerin noch vor kurzem einem palästinensischen Mädchen sagte, man könne nicht alle aufnehmen, und bald darauf dekretierte: „Wir schaffen das.“

Schaffen wir das wirklich?
 

Seither ist der Strom noch breiter geworden, und die Hilfsbereitschaft größer. Aber schaffen wir das wirklich? Es geht ja erst los. Der Soziologe und Ökonom Gunnar Heinsohn rechnet hoch, dass bis zur Mitte dieses Jahrhunderts eine Milliarde Menschen sich auf den Weg machen. Die Freude an der eigenen Hilfsbereitschaft werde bald den Sorgen weichen, prophezeit er.

Der Historiker Christoph Stölzl nimmt den Begriff der Völkerwanderung zum Anlass, auf unsere eigene Geschichte und die Hochphasen der Völkerwanderungszeit zu blicken. Mit erstaunlichen Parallelen, etwa als die flüchtenden Germanen das Römische Reich an den Rand seiner Kräfte und schließlich dem Historiker Alexander Demandt zufolge zu Fall brachten: „Denn die Integrationsfähigkeit eines zivilisatorisch noch so liberalen Systems findet irgendwo eine Grenze“.

Klingt wie ein Kommentar zur aktuellen Lage in Europa, einem Europa, dem der Oxford-Gelehrte Paul Collier „moralische Verwirrung“ attestiert. Müssen wir zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen unterteilen? Am Ende ja, sagt Christine Langenfeld, Vorsitzende des Sachver­ständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration. „Die Unterscheidung ist fundamental und für die Akzeptanz in der Bevölkerung essenziell“.

Die Oktober-Ausgabe des Magazins Cicero erhalten Sie ab sofort am Kiosk oder in unserem Onlineshop.

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