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Friedrich und die Pressefreiheit - Die Mär vom obersten Zensor

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich als Totengräber der Pressefreiheit: Dieses knackige Bild verbreiteten die Medien in den vergangenen Tagen allerorten. Doch dieser Annahme unterliegt eine verhängnisvolle Fehleinschätzung behördlicher Zuständigkeiten

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Dass „Schlagzeile“ nicht von „streicheln“, sondern von „schlagen“ kommt, ist klar. Unschön wird es aber, wenn es im medialen Boxkampf einmal den Falschen trifft. Dieser Tage geschah das einem, der qua Amt sowieso schon einiges aushalten muss: Innenminister Hans-Peter Friedrich.

Und der Schlag gegen den CSU-Politiker ging tief: „Innenminister Friedrich will die Pressefreiheit einschränken“, titelte etwa die WAZ. „Pressefreiheit vor Gericht: Regierung will Auskunftsrecht einschränken“ hieß es ähnlich bei Spiegel Online, darunter: das Foto von Friedrich.

Der Verfassungsminister, ein Zensor, der zackigen preußischen Zeilenzählern in nichts nachsteht: Was für eine Schlagzeile!

Und irgendwie fügte sie sich ja auch ein in die Kritik gegen die tolpatschigen Bemühungen des stämmigen Ministers, seine Verwaltung gläserner zu machen. Hatten nicht erst Netzaktivisten gespottet, Friedrichs am Dienstag gestartete Plattform zur Verwaltungstransparenz „GovData“ sei „weder offen im Sinne der weltweit anerkannten Standards“ noch „zeitgemäß oder effektiv“?

Man kann dem Innen- und zugleich auch Verfassungsminister sicher Vieles vorwerfen, nicht aber, dass er Totengräber der Pressefreiheit sei.

Aber genau darum ging es in dem Fall, der am Mittwoch vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt wurde.

Ein Reporter der Bild-Zeitung hatte wissen wollen, wie viele Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes zwischen 1950 und 1980 eine Nazi-Vergangenheit hatten, also einst für die NSDAP, die SS oder die Gestapo tätig waren. Der BND lehnte die Auskunft ab: Denn der Nachrichtendienst müsste für eine ausführliche Antwort alle bisher ungesichteten Akten prüfen. Eine solche Frage beschäftigt gerade die Historikerkommission - ein bisschen viel verlangt für einen einzelnen Pressesprecher.

Die Bild-Zeitung aber klagte. Ein Prozess gegen den BND, das würde tolle Schlagzeilen sichern, das ahnten auch die Strategen bei Axel Springer.

Bis hierher hatte Friedrichs Innenministerium nichts mit dem Fall zu tun - denn der Bundesnachrichtendienst ist dem Kanzleramt angegliedert. Also bei Angela Merkel.

Was ein Rechtsstreit zwischen zwei Parteien hätte bleiben können, wucherte aber zu einer nationalen Affäre aus. Denn plötzlich schaltete sich eine kleine Behörde ein, von der bislang noch niemand gehört hatte: der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht (VBI), Joachim Bohm.

Der Ministerialrat wollte eine schwierige kompetenzrechtliche Frage klären lassen, die eher etwas für Föderalismus-Experten ist: Dürfen sich Journalisten, wenn sie Bundesbehörden um Auskunft bitten, auf die Landespressegesetze berufen? Ein entsprechendes Bundesgesetz nämlich gibt es nicht.

Das Verwaltungsgericht beantwortete die Frage mit nein: Landesrecht könne nicht für den Bund gelten. Aber Artikel 5 des Grundgesetzes gebe einen „Minimalstandard“ an Pressefreiheit vor - der auch einen Auskunftsanspruch umfasse.

Bohms Amt ist im Innenministerium eingerichtet, sogar die E-Mail-Adressen tragen den Zusatz „bmi.bund.de“. Klar, dachten sich viele Journalisten, und wer ist der Chef des Innenministeriums? Friedrich! Damit hatten sie ihr Opfer gefunden.

Ein verhängnisvoller Irrtum.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie das Verwirrspiel mit einem Verdi-Brief begann

Die Berichte suggerierten, der VBI sei komplett in der Hand des Ministeriums. Bohm aber betont, er habe sich selbstständig an dem Verfahren beteiligt, es habe nie eine „Dienstanweisung“ von Friedrich gegeben. Der VBI ist eine eigenständige Behörde, und nur, weil es eine Nachfolgeeinrichtung des Oberbundesanwalts ist, beim Innenministerium angesiedelt.

„Unabhängigkeit ist ein hohes Gut, da lasse ich mir nicht reinreden“, sagt Bohm, „ich habe mit dem Ministerium auch gar nichts zu tun.“

Laut verwaltungsrechtlichen Statuten ist der VBI nur den Weisungen der Bundesregierung unterworfen, und nicht einzelnen Ministerien. Doch in den 20 Jahren, in dem Bohm diese Funktion ausübt, habe er noch nie eine solche Anweisung vom Kabinett erhalten. „Mich haben die Berichte über den Minister schon sehr geärgert“, sagt Bohm, „die Medien haben einfach nicht verstanden, dass Ministerium und Behörde getrennt sind.“

Auch Philipp Spauschus, Sprecher des Innenministers, versichert gegenüber Cicero Online, dass es „keine Weisung vom Ministerium an den VBI gab“. Nicht einmal das Justizministerium hatte im Vorfeld Kontakt zum Innenministerium. Es gab auch keinen Kabinettsbeschluss der Regierung, den VBI mit der Befassung zu beauftragen.

Hätte der Bundesminister tatsächlich, wie in der Presse dargestellt, den VBI zu dem Verfahren getrieben, wäre dies so, als würde er Bundesdatenschützer Peter Schaar maßregeln, der ja auch im Innenministerium angesiedelt ist. Man möchte sich nicht ausmalen, welch ein Protest da durch die Netz- und Datenschutz-Community gehen würde. Eine absurde Vorstellung.

Das mediale Verwirrspiel aber haben Hans-Peter Friedrich und seine Kommunikationsabteilung zumindest zum Teil mit zu verantworten.

Denn schon am 5. Februar erreichte den Minister ein persönlicher Brief des Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske. Darin äußerte der Gewerkschaftschef seine Sorge, dass das Verfahren am Bundesverwaltungsgericht darauf abziele, „das Recht zur Beschaffung von Informationen durch die Presse generell zu beschneiden“. Wichtig in dem Brief ist vor allem dieser Satz: „Zu besonderer Sorge um die Pressefreiheit gibt uns ein aktueller Vorstoß Ihres Ministeriums beim Bundesverwaltungsgericht Anlass.“

Hier hätte Friedrich deutlicher auf den VBI verweisen und klarstellen müssen, dass er nicht zuständig war. Er hätte die falschen Berichte von Anfang an richtigstellen können. Und nicht einmal im Nachgang des Verfahrens sorgte die Pressemitteilung seines Ministeriums für Klarheit: Darin betont Friedrich lediglich, es sei „nie um eine Einschränkung der Pressefreiheit“ gegangen. Von den Zuständigkeitsfragen ist keine Rede.

Die Nachrichtenagenturen griffen diesen Satz übrigens noch auf. Er wurde verbreitet als Reaktion des Bundesministers auf das Urteil. Nicht aber als Richtigstellung. Fand man sonst irgendwo ein Fehlereingeständnis bei den Medien? Nein.

Zu Recht muss es jetzt in der weiteren Berichterstattung um die Sache gehen. Um die Frage, wie die Pressefreiheit auch in Zukunft geschützt werden kann. Ob es nicht ein Bundesgesetz braucht. Und es muss um die Sorgen der Verdi-Journalistenunion gehen, die in dem Urteil einen „nicht hinnehmbaren Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Pressefreiheit“ sieht. Selbst wenn Friedrich das Verfahren nicht selbst angeschoben habe, fragt sich Vorsitzende Cornelia Haß: „Warum ist sonst niemand früher hellhörig geworden?“

Der Anwalt des Bild-Journalisten kündigte bereits an, möglicherweise das Bundesverfassungsgericht anrufen zu wollen. Es wäre dann an den obersten Verfassungshütern in Karlsruhe, deutlich zu machen, wie der Auskunftsanspruch im Grundgesetz verankert werden kann.

Damit ist übrigens auch die Arbeit von Ministerialrat Bohm beendet - denn er hat seinen Sieg längst davongetragen: „Mein Ziel war, dass die Kompetenzverteilung, die das Grundgesetz vorgibt, geklärt wird. Und da bin ich froh, dass das Bundesverwaltungsgericht meiner Einschätzung gefolgt ist.“ Es sei ihm nie darum gegangen, die Pressefreiheit einzuschränken.

Auch, wenn es leichter wäre, mächtige Feindbilder zu erschaffen: Manchmal ist der hehre Kampf für die Pressefreiheit eben einfach nur ein mühsamer juristischer Kleinkrieg.

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