Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Rainer Brüderle (FDP) wettert gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz der Grünen

Rainer Brüderle - „Die kleine Oma subventioniert den Schickimicki“

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle über das Absacken seiner Partei, Solarstrom und Ampel, Rösler und Steinbrück und über seine Auszeiten auf einer inneren Insel

Herr Brüderle: Vor oder nach Niedersachsen?
Was meinen Sie?

Wann lösen Sie Ihren Parteivorsitzenden Philipp Rösler ab?
Wir haben einen Vorsitzenden, der meine volle Unterstützung hat.

Sie tun, als hätte die FDP mit ihren 4,5 Umfragenprozent alle Zeit der Welt.
Die FDP muss die Zeit bis zur Bundestagswahl gut nutzen, indem sie solide arbeitet. Und ich führe jetzt keine Personaldiskussion, da können Sie sich fünf Mal anschleichen.

Wir schleichen doch gar nicht. Wir fragen ganz offen, wie lange die FDP ihren Parteivorsitzenden behalten will.
Noch mal: Wir haben einen gewählten Parteivorsitzenden, der meine volle Unterstützung hat. Punkt.

Unser Eindruck ist: Sie spielen im Moment politisch auf Ballhalten. Wir können kein Thema sehen, wo die FDP ein Tor schießt.
Nur ein Beispiel: Wir haben dafür gesorgt, dass sich so manch eine Verklärung der grünen Ökostrompolitik aufgelöst hat – zum Beispiel die Vorstellung, die Energiewende, die wir alle wollen, gäbe es zum Nulltarif oder ohne neue Leitungen. Wir haben erreicht, dass die Überförderung der Solarenergie im sonnenarmen Deutschland endlich reduziert wird. Diesen Weg werden wir weitergehen, denn die derzeitige Fehlsteuerung im Bereich der erneuerbaren Energien muss schnellstmöglich beendet werden.

Sie wollen vor der Bundestagswahl das Erneuerbare-Energien-Gesetz knacken?
Das Gesetz muss gründlich überarbeitet werden. Möglichst schnell. Wir brauchen ein Mengenmodell im Rahmen eines europäischen Binnenmarkts: Energieerzeuger oder Stromhändler werden verpflichtet, einen bestimmten Anteil des Stromes aus erneuerbaren Energien zu erzeugen oder zu verkaufen. Egal ob Wind, Wasser oder Sonne. So wird die Energiewende technologieoffen. Bisher fördert das Gesetz einseitig die Fotovoltaik. Das sind Traumverträge mit einem Garantiepreis über 20 Jahre.

Und?
Drastisch ausgedrückt, subventioniert die kleine Oma in der Sozialwohnung den Schickimicki, der mit der Solaranlage seinen Swimmingpool heizt und seinen teuren Solarstrom zum hohen Fixpreis über Jahrzehnte garantiert verkauft. Mit Marktwirtschaft hat dieses Gesetz der Grünen wirklich nichts zu tun.

Sie spielen die Oma gegen die Energiewende aus, die Ihnen zu schnell geht.
Nein! Wir haben die Energiewende gemeinsam beschlossen und wollen sie. Das stellt überhaupt niemand infrage. Aber man muss die Probleme dieser komplexen Materie so beschreiben, dass die Menschen es auch verstehen. Die Energiewende soll es schnell geben, aber man muss sie technologieoffen machen, damit sie funktioniert. Und außerdem fehlen in Deutschland bisher etwa 4000 Kilometer Hochspannungsleitungen und regionale Verteilnetze. Hier erwarte ich, dass gerade die Grünen ganz vorne dabei sind, den Menschen vor Ort zu erklären, warum wir diese Stromleitungen benötigen. Immer nur nach erneuerbaren Energien zu rufen, ist zu wenig. Man muss auch redlich die Konsequenzen benennen. Das vermisse ich bei den Grünen.

Sie hören sich an wie ein Oppositionspolitiker. Sie regieren doch, oder nicht?
Wir müssen die Probleme lösen, die die Umweltminister Trittin und Gabriel uns hinterlassen haben: hohe Dauersubventionen und fehlende Leitungen. Die Energiewende kann nur wirklich gelingen, wenn auch die Länder mitziehen. Und da liegt einiges im Argen. Wir müssen weg von der Bevorzugung einzelner Technologien. Auch bei der Windenergie. Ja, sie ist effizient, aber nur, wenn wir es auch schaffen, sie von Nord- und Ostsee nach Süddeutschland zu bringen, wo die vielen Kernkraftwerke bisher waren und die Industrie auf eine sichere Energieversorgung angewiesen ist.

Die würden Sie am liebsten wieder anschalten, nicht wahr?
Nein, das ist abgehakt. Ich kenne niemanden in Deutschland, der wieder auf Kernkraft setzen möchte. Aber wir brauchen nachhaltige, stetige Energieversorgung in leistungsfähigen Netzen, sonst machen wir sie instabil. Und diese Probleme gehen wir an.

Auch in anderen Politikfeldern sind Sie beim Neinsagen gut: beim Betreuungsgeld oder bei der Vorratsdatenspeicherung. Was bauen Sie denn auf?
Dass wir einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung nicht zustimmen, ist sehr positiv. Wir schützen die Bürgerrechte. Wir sind nicht der Wohlfahrtsausschuss der Jakobiner, die bestimmen, was wir dürfen und wie wir zu leben haben. Wir machen liberale Politik, die auf Freiheit zur Verantwortung setzt.

Seite 2: Warum Rainer Brüderle keinen Wert auf Ämter legt

In Ihrer politischen Karriere ist etwas auffällig: Wenn die FDP absackt, steigt Rainer Brüderle auf.
Diese Korrelation sehe ich nicht.

Als es der FDP schlecht ging 2011, sind Sie vom Job des Wirtschaftsministers auf den des Fraktionsvorsitzenden gewechselt, mit dem Sie viel besser klarkamen.
Ich war gern Wirtschaftsminister. Der Fraktionsvorsitz war nie mein Ziel. Aber ich bin Teil des liberalen Teams und gestalte gern. Deswegen arbeite ich in der neuen Struktur gerne mit. Der Job des Fraktionsvorsitzenden macht mir viel Freude, auch wenn es keine einfache Zeit ist, weil wir gerade bei der Eurorettung viele wichtige Entscheidungen treffen müssen.

1983 in Rheinland-Pfalz lag die FDP mit 3,5 Prozent am Boden – und Sie konnten Landesvorsitzender werden. Warten Sie, bis die Partei reif ist, und rücken dann ins Zentrum?
So primitiv ist Politik nicht. Dass man alles kräftig an die Wand fährt, damit ein Platz frei wird. Ich möchte, dass die FDP bei den nächsten Wahlen erfolgreich ist. Deswegen führe ich auch keine Personaldebatten. Damals in Mainz war die FDP aus dem Landtag geflogen. Es war für uns alle schmerzlich. Ich wurde gebeten, den Vorsitz zu übernehmen, und habe mich in die Pflicht nehmen lassen.

Rainer Brüderle ist kein Mann, der in Ämter drängt?
Nein.

Haben Sie Angst zu scheitern, wenn Ihr Wunsch abgelehnt würde?
Weder hebe ich den Finger noch habe ich einen Amtswunsch. Und zur Angst nur so viel: Nach 40 Jahren Politik in verschiedenen Etagen haben Sie Respekt vor manchen Aufgaben und Ämtern, aber keine Angst. Wir brauchen jetzt keine neue Personaldebatte. Genscher sagt immer, entscheidend sind Inhalt, Person und Stil. Daran sollten wir uns halten.

In Rheinland-Pfalz haben Sie die Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten schätzen gelernt. Sie haben jahrelang in einer sozialliberalen Koalition regiert. Würden Sie das im Bund gern wiederholen?
Die SPD war in Mainz vernünftig, und wir haben sie zur Mitte zentriert.

„Eine konsequent reformorientierte SPD könnte bei der nächsten Bundestagswahl der bessere Koalitionspartner sein, als es eine sich immer stärker sozialdemokratisierende Union wäre.“ Kennen Sie den Satz?
Der ist von mir. Aber das habe ich 2005 gesagt. Jetzt haben wir eine andere Situation: eine christlich-liberale Koalition, die per Saldo gut regiert. Wir wollen diese Koalition fortsetzen. Alle Spekulationen über die Ampel sind abwegig.

Ihr Parteifreund Wolfgang Kubicki kann sich ein Ampelbündnis unter Peer Steinbrück sehr gut vorstellen.
Deswegen bin ich in der FDP, weil bei uns jeder seine Meinung sagen kann. Meine Meinung ist, dass wir unsere Kraft nicht für irgendwelche Farbspielchen verwenden sollten. Wir haben eine erfolgreiche Regierung und wollen die fortsetzen. Punkt.

Was halten Sie denn von Peer Steinbrück?
Er ist zwar ein fähiger Mann und respektabler Kandidat. Ich kenne ihn schon sehr lange. Aber die Frage ist, ob er die SPD repräsentiert und das Wahlprogramm, das sie jetzt erst schreiben, nachdem sie einen Kandidaten haben. Da habe ich meine Zweifel. Das Schauspiel der SPD war ja schon bezeichnend. Obwohl sie sich offensichtlich schon lange einig waren, wer es macht, haben sie trotzdem drei Kandidaten durch die Landschaft geschoben wie die drei Fragezeichen.

Steinbrück ist wie Sie ein Weintrinker.
Es ist mir als Rheinland-Pfälzer sympathisch, wenn er auch von Wein etwas versteht.

Seite 3: „Ich bin ein Stressesser“

Verzichten Sie im Wahlkampf eigentlich auf Wein?
Ich trinke ohnehin nicht viel. Besonders in der Endphase des Wahlkampfes ist es mitunter so, dass man mehrere Male am Tag reden muss. Da muss jeder für sich entscheiden, wie er damit klarkommt – und ob er Wein oder Wasser trinkt. Wichtiger für einen guten Wahlkampf ist, dass man fit bleibt, regelmäßig Sport macht.

Besteht nicht die Gefahr, dass man sich den Stress wegtrinkt?
Ich bin eher ein Stressesser. Früher hatte ich weit über 100 Kilo, jetzt halte ich mich knapp unter 80. Mir ist aber völlig klar: Im Wahlkampf wird das Jackett enger. Wenn ich mich den Tag über kasteie und dann abends ein Schnitzel sehe, werde ich schwach.

Sie haben 2006 gesagt, ein halber Liter Wein am Tag mache einen Mann gesund. Da gab es gleich Diskussionen, Sie würden zum Saufen aufrufen.
Als ich Weinbauminister in Rheinland- Pfalz war, haben wir an der Uni Freiburg eine Studie in Auftrag gegeben. Es gab ja das sogenannte French Paradox: Dass die Franzosen länger leben, obwohl sie Rotwein trinken. Kardiologen in den USA haben festgestellt, dass Rotweintrinker weniger Plaquebildung in den Herzkranzgefäßen haben und deshalb weniger infarktgefährdet sind. Weil in Rheinland- Pfalz viel mehr Weißwein angebaut wird, wollte ich wissen, ob der auch solche Wirkung haben kann.

Und?
Die Tests in Freiburg haben ergeben, dass Weißwein ähnliche Effekte hat. Soweit ich mich erinnere, liegt die Obergrenze, wo der Weingenuss wieder ins Ungesunde umschlagen kann, bei Frauen bei 0,4 Liter am Tag und bei Männern bei einem halben Liter. Es gab dann Proteste von Medizinern, ich würde dem Drogenkonsum das Wort reden. Das wichtigste Ergebnis der Studie war, dass man alles nur in Maßen genießen sollte.

Hat das Ihrem Image gutgetan?
Es war Teil meines Ministeramts, auch solche Fragen sachlich zu klären. Übrigens: Die Herzkranzgefäße schützt auch Olivenöl. Ein gutes Olivenöl, ein Stück Weißbrot und ein Glas Wein, das hab ich für mein Leben gern. Und noch ein bisschen Schafskäse.

Sind denn die schweren Zeiten der FDP leichter zu ertragen, wenn man mal ein Glas trinkt und nachdenkt?
Wichtig ist, dass man die Fähigkeit hat, sich mal rauslösen zu können aus den schwierigen Zusammenhängen. Ich muss ab und zu auf eine innere Insel gehen. Die Menschen mit den verklemmten, verkniffenen Gesichtern können auch keine vernünftige Politik machen. Politik braucht manchmal auch ein bisschen Fröhlichkeit, Wärme und Humor.

Politische Verhandlungen als gemütliches Beisammensein, das meinen Sie doch nicht im Ernst.
In Verhandlungen muss man klare Kante zeigen. Koalitionen sind zwar keine Liebesheiraten, aber man muss sich mit dem Partner verstehen. Und das geht manchmal leichter, wenn man die eine oder andere politische Frage in einem ansprechenden Rahmen diskutiert.

Was ist Ihre Prognose für die Niedersachsen-Wahl?
Ich glaube, dass die christlich-liberale Regierung ihre Arbeit fortsetzen kann und die FDP unter Stefan Birkner mit einem guten Ergebnis dazu beiträgt. Nach oben gibt es da keine Begrenzung.

Und nach unten?
Jetzt versuchen Sie es schon wieder: Dass ich eine Untergrenze festlege und damit sage, dass Philipp Rösler geht, wenn wir die nicht schaffen. Den Anfängerfehler mach ich aber einfach nicht.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.