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() Die Jamaika-Verbindung scheint zu halten
Die Jamaika-WG

FDP und Grüne rangeln um die Bedeutung als Königsmacher in der deutschen Politik. Fernab in Brüssel testen ein Deutsch-Türke und ein Deutsch-Grieche das gedeihliche Miteinander – in einer gemeinsamen Wohnung. Ein Besuch

Lesen Sie auch: Cicero-Dossier: Die EU der 27 Ruth Reichstein: "Ich bin keine Buchhalterin" Am Montagmorgen gehört Brüssel Menschen mit Rollkoffern. Ganze Scharen davon steigen aus Taxis und Flughafenbussen und ziehen ratternd zum Europäischen Parlament. Das Wesen dieser Institution bringt den parlamentarischen Wochenendpendler hervor, dessen Familie in Warschau oder Berlin, in Paris oder Lissabon lebt. Dazu gehören auch die Europa-Abgeordneten Jorgo Chatzimarkakis (42) und Cem Özdemir (43). Sie reisen allerdings nicht aus Athen oder Istanbul an, sondern aus Perl an der Mosel und Berlin-Kreuzberg. Beide vertreten Deutschland. Ansonsten geht’s kaum unterschiedlicher: Der eine besitzt die deutsche und die griechische Staatsbürgerschaft, der andere ist türkischstämmig. Der eine vertritt die FDP, der andere die Grünen. Angesichts dieser Biografien erhebt sich die bange Frage: Wie schaffen die es, sich aus dem Wege zu gehen? Gibt es eine griechisch-türkische Demarkationslinie à la Zypern? Und zusätzlich eine Lichterkette, um die parteipolitischen Erbfeinde friedlich zu stimmen? Chatzimarkakis und Özdemir haben sich für eine gewaltfreie und die Ressourcen schonende Lösung entschieden: Sie bilden eine Wohngemeinschaft. Die Männer-WG residiert in einem Hinterhaus, einen Steinwurf vom Europäischen Parlament und dem Place du Luxembourg entfernt. Über eine steile Treppe geht es hinauf unters Dach. Vor der Tür werden brav die Schuhe abgestellt, und drinnen steht doch tatsächlich ein WG-Tisch mit hölzerner Platte. Für die schmutzige Wäsche ist die FDP zuständig. „Ich bin Scheidungskind und musste mich ab dem zehnten Lebensjahr um vieles selbst kümmern“, erläutert Chatzimarkakis seine Kenntnisse in praktischer Haushaltsführung: „Cem hatte eine Mama und kann das einfach nicht, Kochen und Wäschewaschen macht mir nichts aus.“ Özdemir sitze ohnehin meist bis spät nachts in seinem Büro: „Da schlägt sein schwäbischer Pietismus durch.“ Zum Mittagessen treffen wir uns im Parlamentsrestaurant. Der Tisch steht am Fenster, und der Blick fällt auf ein riesiges und beinahe surreales Château gleich nebenan. Es könnte sich aus einem Walt-Disney-Film hierher verirrt haben. „Das ist die Bayerische Landesvertretung“, sagt die Wohngemeinschaft und grinst. Dann wird kurz die Nachrichtenlage erörtert: Der grüne Wirtschaftsrealo Oswald Metzger hat an diesem Morgen seinen Wechsel zur CDU angekündigt. Chatzimarkakis ist enttäuscht. Er sitzt im FDP-Bundesvorstand, ist Generalsekretär des Landesverbandes Saar und hatte sich persönlich um Metzger bemüht. Cem Özdemir, der dem Ex-Grünen Metzger als anatolischer Schwabe landsmannschaftlich verbunden ist, sagt zum Fortgang des ehemaligen Weggefährten auch etwas: nämlich gar nichts. Für den Abend ist im deutschen Fernsehen ein Film über Joschka Fischer angekündigt, aus Anlass von dessen 60. Geburtstag. Soll man das gemeinsam anschauen? Geht leider nicht: „Der Fernseher ist doch kaputt.“ Jorgo Chatzimarkakis bestellt ein Filetsteak, Cem Özdemir vegetarische Gemüse-Gnocchi. Der Karnivore und der Vegetarier kennen sich noch aus Bonner Zeiten. Der Deutsch-Grieche, inzwischen Vater zweier Töchter von fünf und acht Jahren, wollte damals heiraten. Bedauerlicherweise hatte die Standesbeamtin gerade ein Seminar besucht. Und sie fragte: „Wo ist denn Ihre Einbürgerungsurkunde?“ Ein deutscher Vater und eine griechische Mutter hätten eine solche Urkunde überflüssig gemacht. Doch Chatzimarkakis hatte nur einen griechischen Vater und eine deutsche Mutter zu bieten. Und das reichte damals blutsmäßig nicht aus. Statt eines Termins beim Standesamt erhielt er deshalb eine Aufforderung, doch bitte seinen deutschen Pass abzugeben. „Trotz Geburtsort Duisburg, trotz geleistetem Zivildienst“, erinnert er sich. Der Fall machte Schlagzeilen, und der aufstrebende Jungliberale landete so auf Podien und in Talkshows, in denen über Ausländerfragen gestritten wurde. Dort traf der nette Grieche von der FDP auf den netten Türken von den Grünen, den jungen Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir. Der ist in Bad Urach geboren, inzwischen ebenfalls verheiratet und Vater einer zweieinhalbjährigen Tochter. „Ich habe immer gedacht mit so einer Vita wie der von Jorgo kann man unmöglich in der FDP landen“, wundert sich Özdemir noch heute, „der stammt aus einer Arbeiterfamilie, hat das wahre Leben kennengelernt und außerdem Fußball gespielt.“ Jorgo, den er auch mal auf gut Schwäbisch „Schorsch“ nennt, mache lauter Sachen, die man in der FDP nicht mache. „Die Grünen sind die Fußballpartei, die FDP ist die Beach-Volleyball-Partei, der richtige Sport als Vorbereitung für Guido Westerwelles nächste Lebensphase.“ Chatzimarkakis guckt wie ein Vorstopper, hebt dann aber nur kurz die Augenbrauen: „Fußballpartei? Ausgerechnet Ihr?“ Für einen Moment könnte man glatt vergessen, das beide Parteien um die Besserverdienenden konkurrieren. Das Zusammenleben der Entente rationale wird sicherlich dadurch erleichtert, dass die beiden im Europaparlament sehr unterschiedliche Schwerpunkte haben. Özdemir gehört dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten an, Chatzimarkakis denen für Industrie, Forschung und Energie sowie Wirtschaft und Währung und internationaler Handel. Gentechnik oder Atomenergie sind für ihn nicht des Teufels, sondern mögliche Lösungen für Probleme, die auch von den Grünen benannt werden. Er wurde unlängst in der Kategorie „Forschung und Technologie“ zum „Europaabgeordneten des Jahres“ ausgezeichnet. „In Sachen Pharma und Klima bemüht er sich derzeit sehr, den guten Eindruck, den ich von ihm habe, kaputt zu machen“, sagt Özdemir. Chatzimarkakis erwidert: „Ich setze mich stark für Umweltschutz und Tierschutz ein, aber ich habe keine Lust auf diese Moraletikette. Die führt nur zu bauchgesteuerten schwachsinnigen Entscheidungen.“ Das griechisch-türkische Verhältnis darf bei dem Duo hingegen als entspannt gelten. Beide sind für faire Beitrittsverhandlungen der Türkei. Bei gemeinsamen Veranstaltungen stellt Özdemir seinen Kollegen ganz gerne mit folgendem Scherz vor: „Er hat eigentlich nur einen Fehler, er ist mir ein bisschen zu pro-türkisch.“ Auch in Sachen der Bürgerrechte und Ausländerintegration passt zwischen die saarländisch-griechischen und anatolisch-schwäbischen „Bindestrich-Mentalitäten“ (Özdemir) kaum ein Blatt Umweltschutzpapier. Das sieht man schon an der Ausstattung ihrer Büros, die sich orginell ergänzen: Bei „Schorsch“ hängt der Bundespräsident und eine Deutschlandfahne, bei „Cem“ Martin Luther King und das Ortsschild von Bad Urach. „Ich habe ein republikanisches Verfassungsverständnis“, sagt Özdemir, „aber mit Deutschtümelei kann ich nicht viel anfangen.“ Und er fügt hinzu: „Und auch nicht mit einer wehleidigen Opfermentalität von Einwanderern.“ Er und sein WG-Genosse hätten versucht, in der deutschen Gesellschaft einen Platz zu finden, an unterschiedlichen Stellen und in unterschiedlichen Parteien, und diese habe das auch zugelassen. „10 der 99 deutschen Europaparlamentarier haben einen Migrationshintergund“, ergänzt Chatzimarkakis, „das ist weit überdurchschnittlich, da können andere Länder sich eine Scheibe abschneiden.“ Seine Karriere verdanke er der Durchlässigkeit der deutschen Gesellschaft und einer Einrichtung wie dem BAföG: „In Griechenland hätte ich mit meiner Herkunft niemals studieren können.“ Wenn er von einem Besuch im heimischen Kreta nach Deutschland zurückkehrt, freut er sich schon am Flughafen über die multikulturelle Belegschaft, „ohne die doch gar nichts mehr laufen würde“. Er ist stolz auf „unseren Rechtsstaat, unsere leistungsfähige, exportorientierte Arbeitsgesellschaft und“ – mit einem Seitenblick auf den Kollegen – „auch auf Audi, BMW & Co“. Özdemir ist stolz auf ein Land, „das so mit seiner eigenen Vergangenheit umgeht und das sich einen Bundespräsidenten wie Gustav Heinemann geleistet hat“. Der Kniefall von Willy Brandt hat ihn tief beeindruckt: „Fehler zugeben, sich entschuldigen, das wäre in anderen Ländern noch immer so etwas wie ein gesellschaftliches Todesurteil.“ Dieses Deutschland sei ihm sehr sympathisch. Umso mehr habe ihn die Jagd auf Ausländer wie in Lichtenhagen oder Hoyerswerda erschreckt: „Das war ein Deutschland, das ich so nicht kannte.“ Die einzige politische Persönlichkeit von Rang, von der er sich damals vertreten gefühlt habe, sei das FDP-Mitglied Ignatz Bubis gewesen. Der aktuelle Blick aus der Brüsseler Zweckwohngemeinschaft nach Deutschland, das sich wohl auf ein Fünfparteien-System einstellen muss, bleibt gelassen. „Flexibilität und Beweglichkeit ist hier Alltag, das geht in einem Parlament aus 27 Nationen und acht Fraktionen gar nicht anders“, sagt Chatzimarkakis, „wir sind hier schlichtweg den deutschen Verhältnissen voraus.“ Ohne auf die Kollegen zuzugehen und wechselnde Bündnisse zu schmieden, könne man im Europaparlament keine Mehrheiten organisieren, meint auch Özdemir (der in Deutschland wieder für den Bundestag kandidieren will). Beispiel: In der Ablehnung von Guantanamo habe sich eine Koalition aus Liberalen, Grünen, Sozialisten und Linken gegen die Konservativen durchgesetzt. „Nun gibt es um Guantanamo herum noch eine Insel, die heißt Kuba“, erinnert sich Özdemir, „und da sollen ja auch Menschenrechtsverletzungen vorkommen.“ Doch als es um Genosse Fidel ging, da seien manche Sozialisten und die Linken nicht mehr gesehen worden. „Wir hatten dann keinerlei Skrupel, mit den Konservativen eine andere Mehrheit zu organisieren.“ Das Abstimmungsverhalten im Europäischen Parlament entspreche wesentlich mehr der Lebenswirklichkeit der Menschen, als dies meist in nationalen Parlamenten der Fall sei, meint er, „das wirkliche Leben ist doch nicht so, dass die eigenen Leute immer recht haben und die anderen unrecht.“ Diese Einsicht muss wiederum Chatzimarkakis im vergangenen Jahr zu einem ganz besonderen Vorschlag hingerissen haben. In der Illustrierten Stern forderte er „die Etablierung eines nachhaltigen Liberalismus“ und „die Fusion von FDP und Grünen“. Die Verbindung des „blau-gelben Altbürgertums“ mit dem „grünen Neubürgertum“ bedeute nichts anderes als die „Wiedervereinigung des deutschen Bürgertums“. Zwischen jungen Liberalen und jungen Grünen scheine „enge, ja sogar engste Zusammenarbeit“ kein Problem zu sein. Es wurde daraufhin gemutmaßt, er lebe in einem anderen Universum, was in gewisser Weise ja auch stimmt. Dass es sich dabei um eine Wohngemeinschaft handelt, ahnte ja niemand. Dirk Maxeiner ist Autor und Publizist. Zuletzt erschien von ihm „Hurra, wir retten die Welt“ im wjs Verlag Berlin (Foto: Picture Alliance)

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