Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Sebastian Nerz – unangepasst?

Pirat Sebastian Nerz - „Die Grünen sind angepasst“

In ihrer Struktur und Arbeitsweise ähneln die Grünen den anderen Parteien sehr stark, sagt der stellvertretende Parteichef der Piraten, Sebastian Nerz. Im Cicero-Online-Interview erklärt er außerdem, welche Hausaufgaben die Partei noch bis zur Bundestagswahl 2013 erledigen muss

Herr Nerz, mit Ihrer Wahl auf den Stellvertreterposten sind Sie erst einmal aus der Schusslinie. Jetzt könnten Sie doch etwas offener reden.
Vorstände dürfen keine eigenen Positionen darstellen. Wir können allenfalls das Programm interpretieren. Ich habe mich da im letzten Jahr vielleicht etwas zu stark zurückgehalten. Aber es ist auch nicht so, dass der Vorsitzende besonders aufpassen müsste und die Stellvertreter freier reden könnten.

Es sollen also alle schweigen?
Wir wollen extrem basisdemokratisch arbeiten. Sobald man zulässt, dass sich Vorstände aufgrund ihrer Position stärker äußern können als andere, wird das Prinzip verletzt.

Zugleich ist doch auffällig, dass Vorstände sehr stark in die Kritik kommen – bis hin zu Shitstorms –, wenn sie sich kritisch äußern.
Ja. Ich glaube, es ist eine gute Arbeitsweise, dass man Beschlüsse fasst und die dann tagesaktuell interpretiert und anpasst.

Aber die Realität ist nun mal anders, da passiert immer mal etwas Unvorhergesehenes. Wie wollen Sie da auf die Tagespolitik reagieren? Sie können doch nicht ewig mit dem Satz „Dazu haben wir noch keinen Beschluss“ kommen.
Es gibt tatsächlich selten Fälle, die komplett neu entstehen. Relevant wird das erst, wenn wir eine Fraktion haben, die kann sehr viel freier agieren. Und wenn wir noch keine feste Haltung zu einem Thema wie etwa der Eurokrise haben, dann ist es eben so. Ich glaube, dass es der Politikverdrossenheit in Deutschland eher Vorschub leistet, wenn man ein  Programm erst als alternativlos darstellt und zwei Monate später genau  das Gegenteil tut.

Ihr neuer Vorsitzender Schlömer sieht das anders. Er will sich künftig häufiger zu aktuellen Fragen äußern.
Ich habe mich auch zu aktuellen Fragen geäußert. Nur eben nicht zu Fragen, bei denen wir keine grundsätzlichen Positionen haben. Sie konzentrieren sich in ihrer Wahrnehmung zu sehr auf einen Teilaspekt.

Was ist mit Ihren Abgeordneten? Sie können nicht für jede zu treffende Entscheidung auf einen Basisbeschluss warten.
Nein, Abgeordnete sind auch nur ihrem Gewissen verpflichtet. Zugleich erwarten wir natürlich von ihnen, dass sie sich an der Partei orientieren. Wenn sie von der Parteilinie abweichen, müssen sie ihr Handeln begründen.

Was sind die wichtigsten Aufgaben für Ihren Nachfolger Bernd Schlömer?
Im nächsten Jahr wird die Bundestagswahl ganz im Vordergrund stehen. Da müssen wir uns inhaltlich breiter aufstellen. Außerdem müssen wir es Neumitgliedern einfacher machen, sich direkt in die Arbeit einzufinden. Und bei 29.000 Mitgliedern entstehen schnell Parallelstrukturen.

Ist das Modell Ehrenamt da noch tragfähig?
Aktuell stellt sich die Frage gar nicht. Wir hätten nicht das Geld, um das zu bezahlen.

Aber durch die Landtagsfraktionen kommt doch auch Geld über die Parteienfinanzierung rein.
Jein. Die Parteienfinanzierung ist gedeckelt durch die Eigenmittel, die eine Partei hat – Spenden, Beiträge von Mandatsträgern und Mitgliedern. Natürlich erhöhen sich die Mitgliedsbeiträge durch unser Wachstum. Die decken aber unsere steigenden Kosten nicht. Wir haben noch längst nicht die Gelder, um unseren Vorstand zu professionalisieren. Es wäre ohnehin sinnvoller, nicht den Vorstand, sondern die Verwaltung – Archiv, Back Office, Presse – zu bezahlen.

Sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Nordrhein-Westfalen haben die Piraten in den jüngsten Umfragen Federn gelassen. Insbesondere haben sie Stimmen an die FDP verloren. Wie wollen Sie darauf reagieren?
Ich glaube nicht, dass wir eine spezifische Kampagne gegen eine andere Partei machen sollten. Das hat man auch an den Umfragen zur Piratenpartei gesehen: Wenn uns jemand attackierte, haben wir mehr Stimmen bekommen. Wir stellen also lieber unsere Inhalte und unsere politische Arbeitsweise in den Vordergrund.

Die FDP wird wohl besonders mit ihren zwei Persönlichkeiten – Christian Lindner und Wolfgang Kubicki – erfolgreich sein. Würde eine stärkere Personalisierung den Piraten nicht auch gut tun?
Ich glaube, dass wir dann mehr Wähler verlieren würden. Denn die schätzen uns wegen eines anderen Stils.

In NRW steht Rot-Grün auf der Kippe. Sind die Piraten die Wegbereiter einer großen Koalition?
Das ist Unsinn. Wer eine große Koalition will, wählt die SPD oder die CDU. Wer die Piraten wählt, wählt keine große Koalition.

Das sehen die Grünen anders.
Ich weiß, sie behaupten das immer gern. Aber die Schwäche der Grünen entsteht nicht durch uns, sondern dadurch, dass die Grünen sich nicht als echte Alternative zur großen Koalition präsentieren.

Was machen denn die Piraten besser als die Grünen?
Wir arbeiten basisdemokratisch. Ich finde es befremdlich, dass man die Wahl eines Spitzenkandidaten per Urabstimmung als große Errungenschaft sieht. Bei uns ist das selbstverständlich. Die Grünen haben sich in ihrer Arbeitsweise und Struktur den anderen Parteien sehr weit angepasst. Und so werden sie auch wahrgenommen.

Was bedeutet das für die Piraten, wenn sie bald womöglich in vier Parlamenten sitzen?
Dass es anstrengender wird. Das Interesse an uns steigt. Schon die bloße Existenz der Piratenpartei führt dazu, dass sich andere Parteien mit unseren Themen beschäftigen. Das beste, was uns passieren kann, ist, dass sie unsere Inhalte aufnehmen, bevor wir das selbst machen müssen. Vielleicht gibt es in ein paar Jahren die Piratenpartei nicht. Aber so optimistisch bin ich nicht.

Wenn Sie 2013 in den Bundestag wollen, werden Sie sich dann auch zu Finanzfragen äußern?
Ich bin zuversichtlich, dass wir es bis zur Bundestagswahl schaffen, in allen wichtigen Grundsatzfragen grundsätzliche Positionen zu beziehen. Wir werden vielleicht kein fertiges Steuerkonzept vorlegen können, aber eine Richtung.

Piraten sagen, sie sind nicht rechts, nicht links, sie sind vorn. Aber mal ehrlich: Wo verorten Sie sich wirklich? Eher links?
Das glaube ich nicht. Umfragen zufolge positionieren sich die meisten unserer Wählern links von der Mitte und rechts von der SPD. Ob rechts von der SPD noch links von der Mitte ist, das ist eine spannende Frage. Wir sind nicht zu verorten. Wir sind eine neue Strömung.

FDP-Chef Philipp Rösler sagte jüngst auf dem liberalen Bundesparteitag: „Die Piraten sind eine Linkspartei mit Internetanschluss.“
Herr Rösler sagt viel. Ich glaube, er sollte sich lieber um die FDP kümmern, nicht um die Piratenpartei.

Mit wem könnte eine Piratenpartei am ehesten eine Koalition bilden?
Ich werde nicht noch einmal den Fehler machen, Namen oder Parteien zu nennen. Wir müssen schauen, mit wem können wir unsere Inhalte durchsetzen.

Ist nach der deutlichen Positionierung auf dem Bundesparteitag in Neumünster das Kapitel Rechtsextremismus jetzt abgeschlossen?
Ich hoffe, dass damit zumindest die Debatte abgeschlossen ist, ob die Piratenpartei versucht, am rechten Rand Stimmen zu fischen. Das versuchen wir nicht, das wollten wir nie. Aber das Engagement gegen Rechtsextremismus ist damit nicht beendet. Das ist etwas, das weitergehen muss. Und damit wird es natürlich auch diese Debatte weiterhin geben.

Herr Nerz, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Petra Sorge

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.