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Partei der Eurogegner - Die Alternative gibt sich alternativlos

Die Eurogegner wollen bei der Bundestagswahl im Herbst antreten. Entsprechend hielt die Alternative für Deutschland in Berlin im Schnelldurchlauf ihren Gründungskongress ab. Sie setzte dabei auf gesunden Menschenverstand statt auf innerparteilichen Diskurs

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Aller Anfang ist schwer. Das wusste auch der Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke: „Die Geburt einer Partei geht nicht ohne Geburtswehen vonstatten“, begann er seine Rede auf dem Parteigründungskongress der Alternative für Deutschland, zu der 1500 Eurokritiker nach Berlin gekommen waren. Die Wehen, von denen Lucke sprach, waren besonders zu Beginn des Kongresses so heftig, dass nicht wenige mit einer politischen Sturzgeburt rechneten.

Stundenlang hatten sich die Eurogegner in Satzungs- und Verfahrensfragen verstrickt. Denn was ist fieser als Parteitage? Die Gründung einer Partei.

Partei will gelernt sein

Heißt: langwierige Prozedere, Statuten, Beschlüsse, Tagesordnung, Präsidiumswahl, Anträge. So erlebt die Alternative parteitypische Kinderkrankheiten im Schnelldurchlauf: Wahlzettel werden zu früh eingesammelt, Kandidaturen doppeln sich, Abstimmungen müssen wiederholt werden. Gelächter, Zwischentöne und verbalisierte Ungeduld im Saal flankiert die erste Phase des Gründungskongresses. Bernd Lucke greift immer wieder ordnend ein, wirkt pikiert, mitunter unfreiwillig komisch, als er in dem Bemühen, einen doppelt genannten Kandidaten auf einer in den Saal projizierten Liste ausfindig zu machen, „nach oben scrollen, bitte nach oben scrollen“, ruft.

 „Hallo! Ist jemand von der Wahlkommission hier? Wir brauchen  die Urnen!“, schreit ein anderer. Ja, Demokratie hat ihre Tücken. Und während das strukturelle Chaos Gestalt annimmt, finden  sich auch auf diesem Parteitag die gängigen Typen polittreuer Parteitagsgänger: Der Überengagierte, der lustig Kommentierende, der Herumsteher, der Pöbler. Alternative für Deutschland heißt im Saal vor allem: männlich, jenseits der 50, bärtig.

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Auf dem Podium fällt Bernd Lucke, der Pedant, dem einstigen CDU-Staatssekretär Alexander Gauland, der mit Abstimmungsfragen so sichtlich seine Schwierigkeiten hat, immer wieder ins Wort. „Abstimmung zur Tagesordnung“, setzte Gauland an. „Nein“, zischte Lucke von der Seite: „zur Geschäftsordnung“.

„Jetzt weiß ich, warum die Grünen immer ihr Strickzeug dabeihaben“, lässt ein Mitglied im Saal derweil seinen Nachbarn wissen. Unterdessen befällt auch den Pressebereich die Ratlosigkeit: Immer noch Tagesordnungspunkt 3 oder 4? Schüchternes Nachfragen und verschämtes Wegducken münden schließlich in einer Art formvollendet kaschierter Ahnungslosigkeit.

Dann endlich: Satzung beschlossen, ein „Halleluja!“ im Saal. Applaus. Schließlich eine Wortmeldung aus dem Publikum: „Wisst ihr eigentlich, was ihr da beschlossen habt?“ Schweigen, ratlose Gesichter, dann vorsichtiges Nicken im Vorstand. Sie wissen es nicht. Die Sprecherin Petry bittet schließlich um juristischen Rat. Unruhe, Zwischenrufe. Der Hausjurist Hansjörg Scheel kommt zu Wort, eine rechtliche Lücke scheint gefunden, weiter im Programm.

Europa braucht den Euro nicht

Bernd Lucke, der schmächtig, ja knabenhaft wirkende Professor mit der weichen Stimme, tritt ans Pult, um die Ziele der Partei zu formulieren: „Wir wollen Schaden abwenden, von der Europäischen Union und von der Bundesrepublik Deutschland.“ Die Zeit sei reif, doziert Lucke. Man habe in den vergangenen drei Jahren eine erschreckende Degeneration des Parlamentes erlebt. Abgeordnete seien zu Meinungslosen und Erfüllungsgehilfen der Regierung geworden. Der Applaus ist ihm sicher.

Lucke, der selbst 33 Jahre CDU-Mitglied war, spricht von der Missachtung des Volkswillens durch die etablierten Parteien. Demokratie gehe anders. „Lassen Sie uns mehr Demokratie wagen“, referiert Lucke, wortgewandt, mit den Worten Willy Brandts. Auch auf Adenauer, Kohl und Genscher nimmt er Bezug, um zu signalisieren, man sei die Partei der Mitte, für alle, gegen den Euro, aber für Europa.

Unterdessen reißt ein graubärtiger Herr im Publikum, mit Deutschland-Schärpe, wiederholt enthusiastisch die schwarz-rot-goldene Flagge in die Höhe.  „Setzen!“, rufen einige aus dem Publikum. Ein dankbares Motiv für die Fotografen ist gefunden. Später versucht ein anderes AfD-Mitglied dem Patrioten die Fahne zu entreißen. Es folgen Rudelbildung, „Raus“-Rufe. Lucke beruhigt die Gemüter und findet deutliche Worte: „Lassen sie das Fahne schwenken sein und setzen sie sich hin.“

Moderate Sätze hingegen formuliert Lucke in Richtung Griechenland: „Wir sollten uns nicht über die Griechen erheben. Wir sollten Solidarität üben mit diesen Staaten.“ Der Euro sei ein historischer Fehler, aber Fehler könnten korrigiert werden. „Wenn der Euro scheitert, dann scheitert doch nicht Europa, dann scheitert die Regierung, dann scheitern Merkel und Schäuble, die SPD und die Grünen.“ Diese „Euro-Blockparteien“, wie Lucke sie nennt.

Die Halle tobt. Lucke mahnt. Unter diesem Euro würden in Europa alte antideutsche Ressentiments erwachen. Und: „Wir sind weder links noch rechts, warum sollten wir auch? Wir brauchen keine ideologischen Wegweiser. Wir brauchen nur unseren gesunden Menschenverstand.“

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Luckes Versuch, die Alternative nach rechts abzugrenzen, wird auch auf der Onlineseite der „Jungen Freiheit“ notiert, die den Kongress via Live-Ticker dokumentiert. Unterdessen demonstrieren draußen vor dem Saal eine Handvoll NPD-Mitglieder gegen den Euro, was wiederum etwa doppelt so viele linke Gegendemonstranten auf den Plan ruft.

Der Parteichef beendete schließlich seine Rede. „Jetzt geht’s los“-Rufe folgen. Lucke-Sprechchöre. Per Akklamation beschließt der Saal schließlich die Teilnahme an der Bundestagswahl.

Programm von oben

Dann schlägt Lucke vor, das vierseitige Wahlprogramm ohne Aussprache zu beschließen. Man wolle später debattieren, jetzt müsse man sich vor allem als handlungsfähig erweisen, ein Signal der Entschlossenheit senden. Das sei zwar ungewöhnlich, aber zweckmäßig.

Statt wie sonst üblich das Wahlprogramm durch die Mitglieder diskutieren zu lassen, servieren Lucke und Co. den Delegierten ein Programm von oben. Änderungen im Wahlprogramm, schlägt Lucke vor, sollten nur mit einer Mehrheit von 75 Prozent beschlossen werden können. Die überwiegende Mehrheit im Saal nickt das ab. Erstaunlich: Die Delegierten folgen der Bitte, erst zu wählen und dann später irgendwann mal den Inhalt des Gewählten zu diskutieren.

Im Bemühen, Einigkeit zu präsentieren, offenbarte sich hier vor allem eine merkwürdige Hörigkeit. Form follows function, scheinen sich die Strategen gedacht zu haben. Ganz im Sinne einer Partei, die auf Effizienz statt Diskurs und den wieder und wieder proklamierten „gesunden Menschenverstand“ setzt. „Der Vorstand empfiehlt“ war dann auch eine der meist gefallenen Wendungen an diesem Tag, die den jeweiligen Abstimmungen in mahnender Vorsicht vorauseilten. Vertrauen in die eigene Basis sieht dann doch irgendwie anders aus. Und der Eindruck bleibt, als ob an diesem Tage eine selbsternannte Alternative alternativlos ihr demokratisches Beet bestellt.

 

 

 

 

 

 

 

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