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(picture alliance) Rechtsextreme setzen vermehrt auf die Strategie durch gezielte Anschläge Politiker einzuschüchtern

Mecklenburg-Vorpommern - Der Terror der Nazis zeigt Wirkung

Politische Anschläge auf demokratische Parteien passieren in Mecklenburg-Vorpommern fast im Wochentakt. Mit ernsten Folgen: Ämterträger lassen sich in ihrer politischen Arbeit einschränken. Die Bevölkerung scheint indessen die Gefahr des rechten Terrors zu unterschätzen

Körperverletzungen, eingeworfene Fensterscheiben von Parteibüros bis hin zu brennenden Autos und verwüsteten Vorgärten von Politikern. Fast im Wochentakt ist es seit dem Vorjahresbeginn in Mecklenburg-Vorpommern zu Attacken aus der rechten Szene gekommen. Hinzu kommt die massive Zerstörung der Wahlwerbung der demokratischen Parteien in den letzten Wochen.

Die Opferberatungsstelle LOBBI schlägt Alarm. Politisch motivierte und geplante Anschläge der rechten Szene hätten seit 2010 massiv zugenommen. Am Sonntag wird in Mecklenburg-Vorpommern gewählt und die NPD muss laut aktuellen Umfragen um ihren Wiedereinzug in den Landtag bangen. Ob ein Klima der Angst der NPD helfen kann, wird sich am Sonntag zeigen.

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Betroffene Politiker nehmen kein Blatt vor den Mund: „Das ist die Frühform des Terrors“, warnt SPD-Fraktionsvorsitzende Norbert Nieszery. Am vergangen Freitag und Sonntag wurden die Fenster seines Wahlkampfbüros mit Ziegelsteinen eingeschmissen. Das war der vierte Anschlag auf sein Büro seit Mai dieses Jahres.

Auch der Landtagsabgeordnete Fritz Tack von der Linken muss mit der permanenten Bedrohung leben. Seit Beginn seiner Amtszeit 2006 wurde sein Wahlkreisbüro schon neunmal zur Zielscheibe von rechten Attacken. In der Regel passiert alles nachts: Mit Farbe gefüllte Flaschen werden an die Hauswand geworfen, Briefkästen in die Luft gejagt oder Schmähparolen an die Wand geschmiert. Einmal kam es auch tagsüber zu einem Vorfall. Ein Auto parkte vor dem Wahlkreisbüro, acht Leute stiegen aus und drehten die Musikanlage auf voller Lautstärke auf, um den Mitarbeitern einen Schrecken einzujagen. Es kommt vor, dass Abgeordnete auf dem Nachhauseweg verfolgt werden. Mittlerweile wird jede größere Wahlkampfveranstaltung von einem Kameramann begleitet, damit mögliche Vorfälle gleich in Bild und Ton dokumentiert werden können und der Polizei die Täterfahndung erleichtert wird.

Der Landesregierung scheint das Ausmaß dieser offensiven Angriffe nicht geheuer. Das Problem wird von den Behörden mit Samthandschuhen angefasst. Das zeigt schon die Sprechregel, auf die man sich im Innenministerium verständigt hat:  „Was heißt hier Anschläge? Es geht zunächst mal um Sachbeschädigungen. Wir halten diese Bezeichnung in diesem Zusammenhang für unangemessen“, erklärt eine Sprecherin des Ministeriums in nervösem Tonfall.

Indessen zeigt der Terror seine Wirkung. Aus dem Wahlkreisbüro der Linken in Güstrow ist zu hören, dass die rechten Schikanen schon mal das Abdanken eines politischen Ämterträger bewirkt haben. Der psychische Druck wurde zu groß – die Angst vor tätlichen Übergriffen auf die eigene Person oder die Familie nicht mehr ertragbar.

Dass die Angriffe der Nazis nicht immer die Bereitschaft der Politiker in die Höhe treiben, sich noch stärker gegen Rechts zu engagieren, ist eine Wahrheit, die sich die Parteien nicht gerne eingestehen. Aber andererseits scheint es unbedingt notwendig, den Bürgern das Ausmaß der Bedrohung und die bereits realen Wirkungen des Terrors vor Augen zu führen. „Das entscheidende Mittel, um die demokratische Kultur gegen diese Angriffe zu immunisieren, ist die Unterstützung aus dem näheren Umfeld der Opfer als auch die öffentliche Anteilnahme der Bürger“, erklärt Kay Bolick von LOBBI . Auch bei ihm haben betroffene Politiker schont Rat gesucht. Auch er weiß, dass die Einschüchterung Wirkung zeigt: "Eine Menge Leute lassen sich in ihrer politischen Arbeiten einschrenken. Viele haben Angst sich weiter gegen Rechts zu engagieren."

Er bedauert daher zutiefst das Schweigen der Bevölkerung nach den jüngsten Angriffen auf die Wahlbüros und die Plakatwerbungen der demokratischen Parteien. Keine Mahnwache hat es gegeben. Spontane Kundgebungen seien ausgeblieben. „Wenn rechte Gewalt unwidersprochen bleibt, fühlen sich die Täter nur bestätigt“ so die Sorge Bolicks. „Viele Bürger leben leider in dem gefährlichen Glauben, dass es Aufgabe der Politiker und der Justiz sei, das Problem der Nazis zu bekämpfen.“

Polizei und Behörden scheinen aber mit ihrem Latein am Ende. In Mecklenburg-Vorpommern hat das Innenministerium für das Jahr 2010 44 Sachbeschädigungen an Wahlkreisbüros gezählt.  Seit Jahresbeginn sind  es bereits 43. Bisher wurde niemand verurteilt. Nur ein Tatverdächtiger konnte ermittelt werden. Währenddessen betonen selbst Oppositionsparteien und engagierte Vereine die Anstrengungen der Regierung. Für das Verbot der NPD wird politisch mobil gemacht, unabhängige Initiativen gegen Rechts werden zahlreich unterstützt, viel Aufklärungsarbeit in Schulen geleistet und die Unterwanderung von Sportvereinen und anderen sozialen Einrichtungen durch Rechtsextreme aktiv bekämpft – zum Beispiel durch die eingeführte Selbsterklärung zur Verfassungstreue in sämtlichen Kindergärten des Landes.

Aber ohne die Unterstützung der Bürger sind all diese Maßnahmen nutzlos. In kaum einem Land ist die NPD so stark mit den Kameradschaften und rechtsautonomen Gruppen vernetzt wie in Mecklenburg-Vorpommern. Strategische und ideologische Unterschiede scheint es nicht zu geben. Angriffe auf andere Parteien werden von der NPD in der Regel nicht kommentiert und erst recht nicht verurteilt. Aus einer radikalen nationalsozialistischen Gesinnung wird kein Hehl gemacht. Der Direktkanditat Stephan Jandzinsky scheut sich nicht davor mit Hitlerunterschrift auf dem T-Shirt vor die Presse zu treten. Gerade in dörflichen Gebieten, wo Polizei und die Behörden nicht die gleiche Präsenz zeigen können wie in den Städten, ist daher das Engagement der Bürger unverzichtbar.

„Der belehrende moralische Zeigefinger und die aggressive Rhetorik der linksautonomen Szene schrecken viele Leute vor dem Protest ab“ , gibt Julian Barlen, Mitbegründer der Storch-Heinar-Kampagne, zu bedenken. Barlen und seine Mitstreiter  versuchen die Propaganda vom rechten Rand durch Satire zu bekämpfen. Sie hängen Plakate auf und verkaufen T-Shirts, deren Aufdrucke Wahlslogans und Symbole der Nazis persiflieren. Nach ihrem Eindruck mit Erfolg: Nicht nur die jungen Leute, auch Rentner und besonders ältere Damen seien von den Storch-Plakaten, die mittlerweile überall im Land hängen, entzückt.

Man kann nur hoffen, dass der Eindruck stimmt und genug Wähler mobilisiert werden konnten. Wenn die Wähler die NPD am Sonntag aus dem Landtag kegeln, wo man sie 2006 mit 7,3 Prozent der Wählerstimmen einziehen ließ, wäre das ein großer Erfolg. Die Bürger könnten endlich unter Beweis stellen, was die Politiker seit Wochen predigen: dass die Strategie der Einschüchterung durch Terror keine Chance hat.

 

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