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(picture alliance) Das Wort ist seine schärfste Waffe

Joachim Gauck - Der Präsident der falschen Worte

Joachim Gauck ist ein Mann des Wortes. Mit Worten distanzierte er sich nun von seinem Amtsvorgänger Christian Wulff und in Israel von Angela Merkel. Dabei differenziert Gauck auf Kosten symbolisch wichtiger Begrifflichkeiten. Ein Kommentar

Den Satz „Der Islam ist Teil Deutschlands“ hätte Joachim Gauck also anders formuliert. Es war in der Tat ein schwieriger Satz. Warum muss ein Bundespräsident eine Religion zum Teil eines auf Trennung und Staat fußenden Gemeinwesens erklären? Gerade die größte Gruppe in Deutschland, die Konfessionslosen, hätten sich Sätze gewünscht, wie „der Islam (wie jede andere Religion) ist Privatsache“. Menschen, egal welcher Religionszugehörigkeit, seien bei uns willkommen. Aber gut.

Wulff holte den Islam ins Boot, um in schwierigsten integrationspolitischen Zeiten, in denen Sarrazin über Kopftuchmädchen fabuliert und die Islamdebatte auszuufern droht, ein deutliches Zeichen zu setzen. Es gelang.

Gauck, der die Sprache wie kein anderer zu nutzen weiß, ist nun von dieser Formulierung abgerückt. Er versucht, zu differenzieren, dort, wo Signale wichtiger sind als sprachliche Genauigkeit. Gauck müsste doch eigentlich wissen, um die Wichtigkeit von Begrifflichkeit, um die Bedeutung sprachlicher Deutungshoheiten bei sensiblen politischen Themen.

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Doch nicht nur integrationspolitisch rudert Gauck sprachlich und damit politisch zurück, auch bei seinem Staatsbesuch in Israel mied der Bundespräsident jüngst einen wichtigen Begriff.

Natürlich. Auf seiner Nahostreise in dieser Woche wanderte Gauck auf rhetorisch schmalen Grat. Das diplomatische Korsett, gerade bei Israelbesuchen, ist eng geschnürt. Der Bundespräsident stand zwischen dem Dilemma eigene, Gauck‘sche Akzente zu setzen, das heißt, einerseits frei und mutig mahnend aufzutreten, ohne dabei diplomatisches Glas zu zerbrechen und andererseits als oberster Repräsentant der Bundesrepublik in Erscheinung zu treten. Die Gratwanderung schien gelungen, die Presse war voll des Lobes, dennoch, in einem zentralen Punkt schoss Gauck übers Ziel hinaus.

Gauck wollte auch in Sachen Israel anders formulieren und mied deshalb ein einziges Wort: Staatsraison. Ein Begriff, der in der deutsch-israelischen Beziehung längst zum Schlüsselbegriff für ein auf Solidarität und Existenzanerkennung fußendes Verständnis geworden war. Alle Bundestagsparteien stehen dahinter. Sogar Gregor Gysi, dessen Partei ein ambivalentes Verhältnis zu Israel hat, hatte sich unlängst bekannt zu diesem Begriff. Warum nicht also auch Gauck?

Der Bundespräsident aber mied das Wort, das die Kanzlerin als rhetorisches Scharnier für das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland auserkoren hatte: Angela Merkel hatte die Sicherheit und Existenz eng mit der deutschen Staatsraison verknüpft. Gauck lockert dieses Bündnis jetzt, wenn er von der Begrifflichkeit abrückt. Er betonte zwar, er sei inhaltlich bei der Kanzlerin, sein Abrücken von der Wortwahl Merkels lässt aber Interpretationen zu.

Zugegeben, „Staatsraison“ ist ein schwieriger Begriff. Eine auf Machiavelli zurückgehende Auffassung, nach der die oberste Staatsaufgabe, die Sicherung der Staatsgrundlage sei, und zwar ohne Rücksicht auf Recht und Moral. Auf heutige demokratische Staaten gemünzt bezeichnet die Staatsraison das übergeordnete Interesse eines Staates. Anders ausgedrückt: Staatsraison heißt die vordemokratische Bevormundung seiner Bürger durch den Staat in zentralen politischen Feldern. Eine Bevormundung, die in diesem Fall, da es um die Existenz und Anerkennung eines demokratischen Staates geht, gerechtfertigt ist.

Angela Merkel hatte in ihr Verständnis von Staatsraison vor der Knesset im April 2008 eigentlich klar umrissen: „Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.“

Insofern hat sich der Begriff längst von seiner ursprünglich machiavellistischen Bedeutung gelöst, er wurde von der Kanzlerin genutzt, um das besondere Verhältnis zu Israel zum Ausdruck zu bringen. Er wurde zu einem Begriff, der Interessenpolitik und Verantwortung verband, ein Begriff, der längst ein symbolischer geworden war. Als solchen hätte ihn auch Gauck verstehen sollen, der doch sonst so offen für Symbolik ist.

Wenn Gauck von der Merkeldoktrin abrückt, relativiert er, ob er will oder nicht, das feste Band, das Merkel und ihre Amtsvorgänger zwischen Israel und Deutschland gespannt hatten. Er sät einen Zweifel, an dessen Ende die Frage steht: Ist die Sicherheit Israel also letztlich doch verhandelbar? Spätestens dann, wenn der Konflikt zwischen Iran und Israel heiß wird, wenn es im Nahen Osten Krieg gibt? Hier hätte man sich von Gauck, dem Mann der klaren Worte, ein deutlicheres Bekenntniss gewünscht.

Gauck rechtfertigte seinen sprachlichen Distanzierungsversuch damit, dass er sich nicht jedes Szenario ausdenken wolle, das die Kanzlerin „in enorme Schwierigkeiten“ bringe, ihren Satz „politisch umzusetzen“. Er wolle nicht in Kriegsszenarien denken. Auslandseinsätze der Bundeswehr seien bei den Deutschen nicht beliebt.

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Der Eindruck drängt sich auf, dass Gauck der Versuchung nicht widerstehen konnte, der Mehrheit in Deutschland zu gefallen. Er wollte mutig sein, der Kanzlerin ein wenig widersprechen und die israelische Politik kritisieren. Einfacher und schneller kann ein Bürgerpräsident den Mainstream seiner Bürger nicht bedienen. Israelkritik kommt gut an. Ist nach wie vor mehrheitsfähig.

Wenn Gauck sagt, er wolle nicht in Kriegsszenarien denken, schürt er eine falsche Angst. Schließlich weiß er, dass im Falle eines Falles Israelis nicht auf deutsche Truppen angewiesen wären. Israel ist militärisch nicht von Deutschland abhängig. Das klare Bekenntnis zu Israel würde ja nicht bedeuten, dass deutsche Soldaten nach Teheran einmarschieren, sondern es geht letztlich um Solidarität und um technisch-logistische Unterstützung.

Darüber hinaus stellt sich die Frage: Warum wird Israel ein Beistand verwehrt, der zwischen Nato-Staaten viel weiter geht? Mit Nato-Staaten geht Deutschland eine Beistandspflicht ein, die zwar keinen Automatismus in Gang setzt, aber im Bündnisfall militärisch doch sehr viel konkreter ist, als jedes Staatsraison-Bekenntnis zu Israel. Gegenüber Israel aber reicht es nicht mal zu einem klaren Bekenntnis?

Schade, denn Gauck hat auch auf seiner Nahostreise viele lohnende Worte gefunden, hat sich jenseits diplomatischer Rhetorik aufrichtiger Bilder bedient. So widerstand er dem Versuch, gegenüber Abbas schärfere Kritik an Israel zu üben mit den Worten: „Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass Israel es ertragen könnte, so einen Lehrer aus Deutschland zu haben.“

Schöne Worte, die ihn letztlich nicht hinderten, in einem Punkt doch Lehrmeister zu sein: Der Staatsraison. Dabei hatte Gauck vor seiner Israelreise in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit gesagt, es gebe aber durchaus Situationen, in denen es politisch geboten sein kann, nicht alle Szenarien sofort auszubreiten. Die Zeit hakte nach, fragte, „Sie meinen also: Ein Politiker darf Dinge verschweigen, aber er darf nicht aktiv lügen?“ Gauck: „Ja, so würde ich es wohl sagen.“ In der Integrationsdebatte und auf seiner Nahostreise hätte sich Gauck wohl besser in zentralen Punkten an seine eigene Raison gehalten – und geschwiegen.

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