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(picture alliance) Piraten-Geschäftsführer Johannes Ponader: „Es ist wichtig, dass es einen Raum für Kritik gibt“

Pirat Ponader - „Der permanente Neustart ist bei uns eingebaut“

Nach dem Bundesparteitag mahnt Piraten-Geschäftsführer Johannes Ponader seine Partei, jetzt zügig ein Wahlprogramm aufzustellen. „In dem Antragstempo wie in Bochum kriegen wir das jedenfalls nicht hin.“ Im Cicero-Online-Interview zeigt er sich aber auch optimistisch

Herr Ponader, vom vergangenen Bundesparteitag geht in den Medien vor allem ein Bild des programmatischen Chaos und der inneren Blockade aus. Sind Sie froh, dass Sie als Geschäftsführer damit erst einmal aus der Schusslinie sind?
Ich sehe das nicht so. Wir werden an vielen Stellen für die getroffenen Programmerweiterungen gelobt. Dass die Personalfragen abebben, wenn wir endlich wieder inhaltliche Entscheidungen treffen können, war abzusehen. Es war jedoch wichtig, dass wir auch der Kritik einen Raum gegeben haben und es diesen Raum weiterhin gibt.

Der Parteitag hat den Wahlleiter und einen stellvertretenden Versammlungsleiter krank gemacht. Sie sagen, in Bochum habe es eine „richtig aggressive Grundstimmung“ gegeben.
Die Programmdebatte war nicht immer einfach. Sicherlich liegen auf vielen Seiten die Nerven blank, wenn man vor einer so großen Herausforderung steht, wie wir derzeit. Ich habe den Wahlleiter allerdings gestern in Berlin getroffen – es geht ihm soweit gut. (lacht)

Die Piraten haben sich in einem Meinungsbild mehrheitlich dafür ausgesprochen, den nächsten Parteitag im Mai 2013 in Neumünster für ihr Programm anstatt für die Vorstandswahlen zu nutzen. Wie sehr haben Sie im Vorfeld darauf hingewirkt, dass es kein Wahlparteitag wird – bei dem Sie hätten abgewählt werden können – sondern ein Programmparteitag?
Ich selber habe überhaupt kein Problem damit, abgewählt zu werden. Vielen, auch mir, wäre es lieber, wenn wir im Frühjahr zwei Parteitage machen könnten und uns nicht zwischen Programm und regulären Neuwahlen entscheiden müssten. Wenn wir  im ersten Halbjahr jedoch nur einen Parteitag veranstalten können, müssen wir natürlich Programm machen.

Bislang haben es die Piraten abgelehnt, die Vorstandsdauer von einem auf zwei Jahre auszuweiten. Damit läuft Ihre Amtszeit jetzt de facto auf anderthalb Jahre hinaus.
Ja, das ist der Kompromiss. Es wäre sicher für viele wünschenswert, im Frühjahr zwei Parteitage abzuhalten. Aber das ist offenbar logistisch nicht möglich. Hier arbeiten alle ehrenamtlich. Wir können die Mitglieder nicht unbegrenzt strapazieren.

Und wie genervt sind Sie von der zähen Debatte auf dem Parteitag?
Ich selber habe viel davon nicht so mitbekommen, weil ich mit vielen Presseanfragen beschäftigt war. Genervt war die Stimmung eigentlich nur, wenn es zu formal wurde. Wenn man ständig nur noch über die Abstimmungsmodalitäten diskutiert.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse aus Bochum?
Ich war überrascht, dass wir so stark unser Grundsatzprogramm in den Fokus rücken, aber ich finde die Entscheidung sehr gut. Trotzdem ist es jetzt natürlich eine enorme Herausforderung, bis zum Mai einen sauberen Prozess zu finden, um ein Wahlprogramm aufzustellen. In dem Antragstempo wie in Bochum kriegen wir das jedenfalls nicht hin. Daher müssen wir die Wahlprogrammerstellung zwischen den beiden Parteitagen schon so weit voranbringen, dass wir dann auf dem Parteitag sehr viel schneller vorankommen.

Sie haben jetzt ein Wirtschaftsprogramm, in dem nichts von Steuern, nichts zum Verhältnis Staat und Wirtschaft steht.
Wir haben Leitlinien verabschiedet, darunter auch, dass der Staat sicherstellen muss, dass im freien Markt die Menschenwürde gewährleistet bleibt. Einige Module, die wir aus dem Programm rausgeschmissen haben, werden sicherlich noch als Wahlprogrammanträge mit eingebracht. Einige Programmanträge waren auch sehr, sehr lang. Unser Grundsatzprogramm hatte bisher etwa 20 Seiten. Das in einem Bereich so aufzublasen, wäre vielleicht auch gar nicht so sinnvoll gewesen.

Seite 2: Die bisherigen Eins-Punkt-Null-Antworten in der Politik funktionieren nicht mehr

Brauchen die Piraten einen Neustart für die Basisdemokratie?
Ich glaube, die Gesellschaft braucht einen Neustart mit Basisdemokratie. Wir sind ständig dabei, uns jedes Jahr neu zu finden. Der permanente Neustart ist bei uns eingebaut.

Was sagen Sie zu der Idee, eine ständige Mitgliederversammlung einzurichten?
Es ist wichtig, dass wir uns auch zwischen den Parteitagen klarer positionieren können. Ich glaube auch, dass wir unsere Tools jetzt intensiv nutzen sollten, damit wir dann in Neumarkt ein gutes Wahlprogramm verabschieden.

Wie groß ist da der Druck der Bundestagswahl?
Wir sind auch schon mit sehr dünnem Programm zu Wahlen angetreten. Wir müssen einfach sehen, was wir schaffen und damit dann in die Wahl gehen.

Wer sind überhaupt Ihre Wähler?
Die Menschen, die verstehen, dass unsere Gesellschaft immer vernetzter und komplexer wird und dass die bisherigen Eins-Punkt-Null-Antworten in der Politik nicht mehr funktionieren.  

Einige Piraten beklagen, Teile des jetzt verabschiedeten Wahlprogramms seien von der Linken abgeschrieben. Andere schimpfen, es sei zu neoliberal und FDP-nah. Was denn nun?
Das ist genau das Neue an unserer Politik. In der Linken herrscht die Meinung, dass man sich Freiheit erkämpfen muss - im Klassenkampf. Die FDP glaubt, dass man sich Solidarität erkaufen kann. Beides gibt nicht die Wirklichkeit wieder. Die Piraten sehen die beiden Werte nicht als zwei Pole, die sich gegenseitig ausschließen. Freiheit ermöglicht Solidarität und Solidarität Freiheit. Damit sind wir die erste echte sozialliberale Partei in Deutschland, und die meisten Piraten sind mit dieser Programmatik sehr zufrieden.

Mit welcher Partei könnte denn eine Piratenpartei koalieren, wenn sie denn vor der Frage stünde?
Wir können mit allen demokratischen Parteien themenbezogen zusammenarbeiten. Langfristige Bündnisse aber nur mit denjenigen, die sich z. B. gegen die Vorratsdatenspeicherung und gegen Sanktionen im Sozialsystem aussprechen.  

Unterstützen Sie auch den Vorschlag, Vorstände zu bezahlen?
Wenn uns tatsächlich der Einzug in den Deutschen Bundestag gelingt, muss die Partei ein Gegengewicht zur Fraktion darstellen. Spätestens dann müssen wir über diese Fragen nachdenken, ob man für bestimmte Parteiämter eine gewisse Freistellung erreicht, damit die Piraten nicht nur eine Feierabendpartei sind. Aber erst einmal müssen wir unser Programm sauber machen. Wir haben so viele Debatten parallel zu führen, weil die Zustimmung derzeit so groß ist.

Nunja – die Zustimmung liegt in Umfragen bei vier Prozent...
Das ist viel für eine so junge Partei. Gerade deshalb müssen wir unserer Verantwortung gerecht werden und Prioritäten setzen. Wir können immer nur an einer Stelle gleichzeitig arbeiten.

Lukrative Mandatsjobs, die Aussicht, bald bezahlte Vorstände zu haben: Fürchten Sie, dass viele Piraten nur noch mitmachen, weil es um Posten geht?
Nein, die Mehrheit der Piraten will unsere Inhalte voranbringen.  

Herr Ponader, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Petra Sorge. Das Interview entstand zum Ende des Parteitags und wurde am Mittwoch schriftlich aktualisiert. Foto: picture alliance

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