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(picture alliance/Michael Kappeler) Papst Benedikt XVI. hält bei der heiligen Messe im Berliner Olympiastadion eine Bibel in die Höhe.

Benedikt XVI. in Deutschland - Der Papst der kleinen Schritte

Der Besuch von Papst Benedikt XVI. im Bundestag und im Berliner Olympiastadium ist von heftigen Protesten begleitet worden. Dabei haben sich Ängste, dass er mit seiner Parlamentsrede die Trennung von Kirche und Staat aufweichen könnte, nicht bestätigt. Vielleicht könnte sein Besuch ein weiterer Mini-Schritt zu mehr Öffnung der katholischen Kirche werden.

Rechts und links neben der weißen Terrassentür im Schloss Bellevue hängen zwei große Ölgemälde, in Gold gerahmt. Bei seinem Besuch deutete Papst Benedikt XVI. auf das linke Bild, griff sich grübelnd ans Kinn. Bundespräsident Christian Wulff erklärte ihm, dies sei der erste Reichspräsident von 1919, der Sozialdemokrat Friedrich Ebert. Das andere Bild zeige Theodor Heuss, erster Präsident der Bundesrepublik von 1949. Durch diese zwei Präsidenten, sagte Wulff, seien die „erste und zweite Demokratie“ repräsentiert.

Der erste offizielle Besuch des Heiligen Vaters in Deutschland im Jahr 2011 hat den Blick wieder auf die Wurzeln unserer Demokratie gelenkt. Denn die Gründungsväter der Republik legten Wert auf das Trennungsgebot von Kirche und Staat, das Artikel 140 des Grundgesetzes regelt. Dass mit Benedikt XVI. aber zum ersten Mal in der Geschichte ein Papst vor dem Bundestag redete, löste im Vorfeld massiven Protest aus. Mindestens 45 Abgeordnete blieben der Rede des Heiligen Vaters fern, darunter zwei Drittel der Linksfraktion; einige Plätze wurden durch Statisten und frühere Abgeordnete besetzt. Auch der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele verließ wegen des „zu heftigen“ Applauses seiner Parlamentskollegen entrüstet den Saal. Die Kritiker fürchteten eine „Klerikalisierung der Politik“, kirchliche Einmischung und Missionierung. Doch nichts von alledem ist eingetreten.

Benedikt XVI. hielt eine tiefsinnige Rede, die streckenweise eher wie ein Positivismus-Seminar daherkam, über das Recht und die Verantwortung der Politik. Kritik an der Säkularisierung, an Individualismus und Nützlichkeitserwägungen hatte er zwar noch am Vormittag im Schloss Bellevue geäußert. Vor dem Bundestag zeigte Benedikt dagegen keinen Religionseifer, viel mehr schrieb er den anwesenden Politikern eine Lektion zur Staatsführung ins Stammbuch. Sie sollten „ein hörendes Herz“ haben und die Fähigkeit besitzen, „Gut und Böse zu unterscheiden und so wahres Recht zu setzen, der Gerechtigkeit zu dienen und dem Frieden“.

Natürlich stand es jedem Abgeordneten frei, dem Papst zuzuhören oder nicht; Artikel 4 des Grundgesetzes anerkennt die Freiheit des Glaubens als „unverletzlich“. Auch sind die Kritikpunkte an der Politik des Vatikans nachvollziehbar – die antiquierte Haltung zu Homosexualität, Verhütung und Abtreibung. So war die Demonstration am Potsdamer Platz unter dem Motto „Keine Macht den Dogmen“ mit bis zu 10.000 Teilnehmern ein lauter, bunter Ausdruck einer demokratischen Gegenöffentlichkeit.

Die Ansicht, dass mit dem Papstbesuch die säkularen Grundsätze des Rechtsstaates gefährdet seien, ist jedoch Unsinn. So wie man sich im Parlamentsalltag politische Gegner anhört, können im hohen Haus der Demokratie auch Atheisten und Angehörige anderer Konfessionen eine vom Papst abweichende Meinung vertreten. Dass der Oberste Priester der Weltkirche dabei auch vatikanische Grundsätze einhielt, war dabei genauso überraschungsfrei, wie ein Gewerkschaftsvertreter, der Mindestlöhne fordert.

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Zudem reiste der Pontifex als Repräsentant eines Staates – des Vatikanstaates – an, auch wenn es der kleinste der Welt ist. Das Argument, der Besuch sei nur eine PR-Aktion des Heiligen Stuhls, ist auch zweifelhaft. Benedikt XVI. kommt auf Einladung des Bundestages, die der Parlamentspräsident und Katholik Norbert Lammert (CDU) selbst ausgesprochen hatte.  Und wird nicht jeder Staatsbesuch vom jeweiligen Gastland als PR-Aktion inszeniert? Der Bundestag hat schon ganz andere, weit zweifelhaftere Gäste empfangen, darunter etwa 2001 den damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin und 2005 den ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko. Als 2002 Ex-US-Präsident George W. Bush vor den Abgeordneten sprach, führte das genauso wenig zu einer späteren Beteiligung Deutschlands am Irakkrieg wie die Papstrede zu irgendeiner Form von Zwangsbekehrung führen wird.

Vielleicht hat der Argwohn auch mit der Person Joseph Ratzingers zu tun. Wäre der Protest gegen ihn genauso scharf gewesen, wenn er ein nichtdeutscher Papst gewesen wäre? Hätte man auch gegen seinen Vorgänger, Johannes Paul II., so laut demonstriert? Und was wäre mit den Repräsentanten anderer Religionen – mit jüdischen Rabbinern, dem Dalai Lama oder Imamen: Würde man sie auch so stark kritisieren?

Fast staatsmännisch zeigte sich der Papst gegenüber seinen Gegnern. Schon während des Fluges nach Berlin sagte Benedikt XVI., die Proteste seien in Ordnung, solange sie friedlich blieben. Und während seiner Rede lobte er ausgerechnet die Grünen, unter denen sich viele Papst-Kritiker fanden: „Ich würde sagen, dass das Auftreten der ökologischen Bewegung in der deutschen Politik seit den 70er Jahren zwar wohl nicht Fenster aufgerissen hat, aber ein Schrei nach frischer Luft gewesen ist.“ Dennoch wolle er „nicht Propaganda für eine bestimmte politische Partei“ machen, ergänzte der oberste Katholik augenzwinkernd.

Was war ihm in der Vergangenheit nicht alles vorgeworfen worden: kritische Töne gegenüber dem Islam, die Begnadigung des Holocaust-Leugners und Piusbruders Richard Williamson, und ein zu langes Schweigen im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche. Am Rande seines Besuches in London vor genau einem Jahr wurde er sogar als Antichrist verteufelt. Insofern ist es eigentlich schon fast mutig, dass Benedikt XVI. sich bei seinem dritten Deutschland-Besuch nun in die Hauptstadt der Kritiker und damit mitten in die Nesseln gewagt hat.

Es ist ein guter Besuch, der hoffentlich mehr Toleranz auf beiden Seiten fördern wird. Auch im Vatikan wird man die Kritik wahrgenommen haben. Schon im vergangenen Jahr hatte Benedikt XVI. in seinem Buch „Licht der Welt“ das strikte Kondom-Verbot gelockert, etwa, um die Verbreitung von Aids durch männliche Prostituierte zu verhindern. Offenbar ist der Stellvertreter Jesu Christi lernfähig, in kleinen Schritten, Trippelschritten. Deutschland sollte es auch sein – und Religionsvertreter unverkrampfter behandeln. So wie jeden anderen Repräsentanten und Interessenvertreter auch, denn nichts anderes ist der Papst: der Oberste Hirte von einer Milliarde Katholiken auf der Welt.

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