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(picture alliance) Der Leipziger Parteitag: Die CDU bereinigt ihr Profil

CDU - Der Leipziger Parteitag und die Mär vom Linksruck

Die CDU hat keine andere Wahl, sie muss sich programmatisch modernisieren, sonst verliert sie ihre Vormachtstellung im bundesdeutschen Parteiensystem. Von Linksruck sprechen vor allem jene, die den Verlust von politischer Heimat mehr fürchten als den Verlust von Macht.

An diesem Montag beginnt in Leipzig der Parteitag der CDU und vor allem ein Schlagwort machte im Vorfeld Schlagzeilen: Linksruck. Glaubt man konservativen Kritikern von Angela Merkel, dann hat sich die Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin auf einen gefährlichen Weg begeben. Ausgerechnet in Leipzig, wo die Delegierten der Partei vor acht Jahren stürmisch einen neoliberalen Aufbruch feierten, versucht die Partei nun eine programmatische Neubestimmung.

Die Basis der Partei und auch viele Wähler sind verunsichert. Doch anders als in der Vergangenheit kann die CDU nicht mehr die rote Gefahr oder das rot-grüne Chaos beschwören, um die eigenen Reihen zu schließen.

Tatsächlich mutet Merkel den CDU-Mitgliedern derzeit einiges zu. Atomausstieg, Abschaffung der Hauptschule und Mindestlohn, die Bundeswehr wird ohne Wehrpflicht in eine Interventionsarmee umgebaut und Europa mutiert im Zuge der Eurorettung zur Transferunion. Ziemlich viele Kehrtwenden sind dies für eine Partei, die viele Jahrzehnte geglaubt hat, sie besitze die politisch-kulturelle Hegemonie im Lande.

Doch es ist mitnichten so, dass Merkel aus purem Opportunismus und aus reiner Machtgier einem inzwischen linken beziehungsweise vermeintlich linken Mainstream im Lande nachläuft, wie Kritiker argwöhnen. Vielmehr ist es so, dass sich die Welt in den letzten Jahren dramatisch und im rasanten verändert. Zudem ist das gesamte neoliberale Gedankengebäude in der Weltfinanzkrise implodiert.

Die Machtstrategen in der CDU wissen, dass sie ihre Partei angesichts der Eurokrise, angesichts von Fukushima und Afghanistan, angesichts des internationalen Terrorismus und der demografischen Entwicklung in Deutschland programmatisch kernsanieren müssen. Sonst verliert die Partei ihre strukturelle Mehrheitsfähigkeit.

Baden-Württemberg, wo nach sechs Jahrzehnten christdemokratischer Vorherrschaft trotz Vollbeschäftigung und Wohlstand nun ein grün-rotes Bündnis regiert, war für sie ein heilsamer Schock und eine Lehre. Auch in Berlin zeigt sich, was passiert, wenn die CDU den Anschluss an gesellschaftliche Stimmungen und Trends verliert. Nach zehn Jahren Rot-Rot konnte die Union bei der Abgeordnetenhauswahl im September kaum von der Unzufriedenheit vieler Berliner über den Wowereit-Senat profitieren. Die Partei hat keine neuen Ideen für die Stadt entwickelt und lässt sich nun, wo sie unverhofft mitregieren darf, den Koalitionsvertrag von der SPD diktieren.

Lesen Sie auch, warum der Mindestlohn kein linkes Alleinstellungsmerkmal ist.

Das Problem der CDU ist, dass sie bereits seit vielen Jahren gesellschaftlichen Veränderungen hinterherhechelt. Die Zeiten, in denen die Christdemokraten Trends setzen konnten und als Konservative an der Spitze des Fortschritts marschierten, sind lange vorbei. Die CDU ist stattdessen in der Defensive, die traditionellen Wählerbindungen sind erodiert. Es bleibt gar nichts anders übrig, als ihre Partei programmatisch und machtpolitisch neu aufzustellen und ideologischen Ballast abzuwerfen. Mit Linksruck hat das alles nicht viel zu tun.

Keine der Forderungen, die in der CDU jetzt so heiß diskutiert werden, ist per se links. Das Problem fängt jedoch schon damit an, dass es in der digitalisierten, postmodernen und globalisierten Welt sowie angesichts fragmentierter gesellschaftlicher Interessen gar nicht mehr so klar ist, was linke und was rechte Politik ist. Aber selbst, wenn man einfach das für links hält, was bei den linken Parteien im Programm steht, ist von einem Linksruck der CDU wenig zu sehen.

Branchenspezifischen Lohnuntergrenzen, die kaum mehr als das Existenzminium garantieren, haben wenig mit den Vorstellungen der Linkspartei gemein. Die fordert einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro. Und während selbst viele Unternehmer mittlerweile für Mindestlöhne plädieren, weil bestimmte Branchen massiv unter Lohndumping leiden, haben sich die Gewerkschaften lange damit sehr schwer getan. Noch vor einem Jahrzehnt wollten sie davon nichts wissen, weil der Mindestlohn die Tarifautonomie untergräbt. Eine ur-linke Forderung ist der Mindestlohn also auch nicht.

Mit der Abschaffung der Hauptschule beugt sich die CDU demografischen Erfordernissen. Schon jetzt gibt es in vielen ländlichen Regionen nicht mehr genug Schüler für ein dreigliedriges Schulsystem. Die entscheidende Frage lautet jedoch nicht, ob es ein zwei- oder ein dreigliedriges Schulsystem gibt, sondern wie das Schulsystem in Deutschland wieder sozial durchlässiger wird. Da ist von der CDU sehr viel weniger zu hören.

Sicher hat sich die CDU nach Fukushima der Stimmung im Lande gebeugt, als sie sich der ur-grünen Forderung nach einem Atomausstieg ausschloss. Doch damit hören die Gemeinsamkeiten dann auch schon aus. Die entscheidende Frage für die bevorstehende Energiewende lautet nun, welche Struktur hat der zukünftige Strommarkt? Gibt es weiterhin ein Oligopol von großen Konzernen oder wird die Versorgung zukünftig dezentral organisiert?

Die Wehrpflicht wiederum schafft die Union ja nicht deshalb ab, weil Zwangsdienste ihr schon immer ein Dorn im Auge waren oder weil sie die Bundeswehr demnächst ganz abschaffen will. Vielmehr kann sie mit den Wehrpflichtigen, die nur wenige Monate an der Waffe dienen, bei ihren internationalen Einsätzen nichts anfangen. Sie kosten nur Geld.

Natürlich wird es für Parteien und ihre Mitglieder unbequem, wenn lieb gewonnene Überzeugungen nicht mehr gelten sollen und die Rhetorik des Spitzenpersonals sich plötzlich ändert. Hinzu kommt, der gesellschaftliche Wandel vollzieht sich mittlerweile so rasant, dass Teile der Bevölkerung nicht mehr mitkommen und an alten Überzeugungen klammern. Die Identitätskrise im bürgerlichen Lager sitzt tief. Auf die konservativen Barrikaden gehen deshalb vor allem jene in der CDU, denen politische Heimat wichtiger ist als Politikfähigkeit.

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