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(picture alliance) Das ist wohl wahre Liebe zur Schule: Seine wurde als "beste des Jahres" ausgezeichnet.

Bildung - Der harte Weg zur Ganztagsschule

Deutschland packt das Übel der sozialen Ungerechtigkeit an. Die Schulen stellen sich seit Jahren einer Mammutaufgabe. Es gilt, zur Bildungsrepublik zu werden. Und dafür brauchen wir die Ganztagsschulen

Auf Annette Schavan warteten die 1.300 Schulleiter, Lehrer, Sozialpädagogen und Schüler vergeblich. Die CDU-Bildungsministerin war am ersten Tag des Ganztagsschulkongresses, der in Berlin stattfand, im Bundesrat, wo ihr Gesetz zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse abgesegnet wurde. Die sie vertretende Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen kam nach einer Autopanne zwar zu spät, aber sie kam immerhin. Denn es ging bei dem Kongress um die Fortschritte, die Deutschland auf dem Weg in die Bildungsrepublik gemacht hat.

„Wenn Deutschland zur Bildungsrepublik werden will, brauchen wir Ganztagesschulen […], müssen die guten Ganztagsschulen zum Vorbild werden“, so sagte es Heike Kahl, Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Quennet-Thielen lobte die neue Öffnung der Schulen, die sich heute „als Ortsmitte verstehen“: Schule ist Teil der Welt und die Welt ist Teil der Schule.

Dass die Schule eine Art zweite Heimat für die Schüler wird, eine Anlaufstelle und ein Ausgangspunkt auch für Freizeitaktivitäten, das ist das Ziel derjenigen, die den Ausbau der Ganztagsschulen vorantreiben.

Chancengleichheit in Deutschland ist das hehre Ziel der deutschen Politik seit Jahrzehnten, bis heute jedoch unerfüllt. Im Gegenteil – die Durchlässigkeit zwischen den Bildungsschichten ist verhärteter denn je. Wer einmal arm und ungebildet ist, dessen Kinder bleiben es in der Regel auch. Gerade Alleinerziehende sind einem besonderen Armutsrisiko ausgesetzt. Viele alleinstehende Mütter haben keine Chance, einem Vollzeitjob nachzugehen, ohne ihren halben Lohn für einen Babysitter auszugeben, weil ihnen die Nachmittagsbetreuung für ihr Kind fehlt.

Genug freie Zeit für die Familie? Auch dies eine Forderung, die Väter und Mütter seit Jahren stellen, deren Lösung aber noch immer nicht in Sicht ist. Kaum ein Haushalt kommt noch mit einem einzigen Gehalt über die Runden, gleichzeitig erwarten viele Arbeitgeber von ihren Angestellten volle Flexibilität und regelmäßige Überstunden, während dem Arbeitnehmer wiederum die Sicherheit durch unbefristete oder auch nur feste Verträge fehlt. Der gerade vorgestellte 8. Familienbericht hat Familienministerin Kristina Schröder (CDU) nun dazu veranlasst, das Projekt „Zeitpolitik für Familien“ anzugehen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum sich das deutsche Schulsystem in den kommenden Jahren zwangsweise ändern wird.

Das System, in dem unsere Kinder heute groß werden, wird sich in den kommenden Jahren durch die demographische Entwicklung deutlich verändern: Demnach sollen die Schülerzahlen um 1,8 Millionen schrumpfen. Und das Drittel der Kinder mit Migrationshintergrund von heute wird auf 40 Prozent angewachsen sein, prognostiziert Bernd Althusmann, Präsident der Kultusministerkonferenz. Ihm geht es beim Umbau des Schulsystems vor allem um jene 18 bis 20 Prozent, die kein ausreichendes Bildungsniveau haben – und dazu gehören auch die notwendigen Sprachkenntnisse.

All diese Probleme können mit der flächendeckenden Einführung der Ganztagsschulen angegangen werden. Die Kinder erhalten ein warmes Mittagessen, gehen in Horte – und werden so auch am Nachmittag pädagogisch betreut. Und so steht seit 2003 mit dem Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ die Bundesregierung Pate beim Aufbau der Ganztagesschulen in Deutschland. Kommunen und Länder allerdings schultern mit 80 Prozent den Großteil der Kosten.

Mit der Einführung der Ganztagesschulen erleben Lehrer und Schüler einen rasanten Wandel. In einem Land, in dem knapp hundert verschiedene Schultypen angeboten werden, sei das alles kein Problem, könnte man meinen. In der Tat aber haben die Schulen eine Mammutaufgabe vor sich. Wo vor 15 Jahren noch lauwarme Ravioli von einer der aufopfernden Cafeteria-Mütter vor dem Nachmittags-Hockeyunterricht aus der Mikrowelle gezogen wurden, sollen heute professionelle Köche biologisch wertvolle Menus anbieten.

Die Anmeldungen für den Ganztagsschulkongress waren denn auch „so begehrt, wie die Karten zur Fußball-Weltmeisterschaft“, verkündete Organisatorin Kahl. Wundern muss sich darüber niemand, der einen Blick in die Diskussionsforen im Internet zum Thema wirft. Da schimpft etwa Lumpie in aller grammatikalischen Autonomie über die wenigen sinnvollen Schul- und die vielen Freistunden, "die man irgendwie versuch mit hausaufgaben oder essen umzukriegen“. Die Idee dahinter, den Tag in mehrere Rhythmen einzuteilen, Entspannungs-, Lern- und Sportphasen aneinanderzureihen, kann sich nur langsam durchsetzen. Die Einführung der Ganztagsschulen erfordert Geduld von Eltern, Schülern und Lehrern. Und auch von Annette Schavan, die mit dem Thema, so unsexy es ist, zwar keine politischen Lorbeeren gewinnt. Die Generationen aber, die danach kommen, werden es ihnen allen danken.

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