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Der Tag... - ...an dem der Blackout kommt

Rund um den Jahreswechsel blickt Cicero Online nach vorne und entwirft Szenarien für das Jahr 2013, die auf den ersten Blick unrealistisch wirken und doch einen Kern von Wahrheit in sich bergen. München kurz vor der Bundestagswahl 2013: Ein massiver Stromausfall legt die Metropolregion lahm. Wie reagiert der Umweltminister, wie Schwarz-Gelb?

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Die Nachricht erreicht Peter Altmaier am Samstagabend um 20:41. Er sitzt in seiner Berliner Altbauwohnung, schwenkt ein Glas Rotwein, starrt auf den roten Lederbezug des leeren Stuhls gegenüber. Es ist der 31. August 2013, noch drei Wochen bis zur Bundestagswahl.

Genau davor hatte Altmaier immer Angst, seitdem er vor anderthalb Jahren das Amt des Umweltministers übernommen hatte. Ein Stromausfall. Ein Mega-Blackout, ein Gau. Fast vier Millionen Menschen in der Metropolregion München sitzen im Dunkeln – in Augsburg, Ingolstadt, Rosenheim. Anders als im November 2012 ist es nicht nur ein kleiner Fehler im Netz der Stadtwerke München. Es hat den Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz in einer der Hauptschaltzentralen getroffen. Auf der Energieautobahn Nord-Süd. Und damit sein Ressort. Seine Energiewende.

Altmaier fummelt ein weißes Tuch aus seiner Tasche, wischt sich ein paar Schweißperlen von der Stirn. Am liebsten würde sich der 55-Jährige jetzt in Luft auflösen. Oder schrumpfen. Hauptsache, weg. Aber nein, ermahnt er sich: Du bist der Minister. Du bist verantwortlich. Ein Bundesland ist im Ausnahmezustand. Irgendetwas musst du jetzt tun. Irgendetwas.

Da piepst das Handy. Eine Nachricht von Ronald Pofalla: „Bitte schnell wg. Stromausfall ins Kanzleramt kommen, Krisensitzung.“ Aha, der Kanzleramtsminister persönlich. Sonst macht das immer Beate Baumann, Merkels Büroleiterin.

Im Dienstwagen verfolgt Altmaier die Agenturmeldungen auf seinem Tablet-PC. 21:07 Uhr: Die Telekom meldet den Ausfall von sieben Sendemasten. 21:08 Uhr: Die Polizei geht von mindestens 70 Verkehrstoten aus. 21:09 Uhr: Die Stadtwerke München schätzen, dass 7.000 Menschen in U-Bahnen feststecken. 21:11 Uhr: In der Maria-Theresia-Klinik ist die Trinkwasserversorgung unterbrochen. 21:13 Uhr: Ein Pflegeheim wird evakuiert, drei Menschen schweben in Lebensgefahr. 21:14 Uhr: In der städtischen Müllverbrennungsanlage ist es zu einer Explosion gekommen. 21:16 Uhr: Die Lech-Stahlwerke im schwäbischen Meitingen melden einen Millionenverlust.

Altmaier atmet schwer und schließt seine Augen. Da muss er wieder an diese Studie denken, die ihm schon als parlamentarischer Geschäftsführer der Union nicht aus dem Kopf gehen wollte. „Bereits nach wenigen Tagen“, hatten die Experten errechnet, könne der Staat bei einem großflächigen Stromausfall seiner „grundgesetzlich verankerten Schutzpflicht für Leib und Leben seiner Bürger (…) nicht mehr gerecht werden“. Die Folgen wären „nicht beherrschbar“.

Wo kam die Studie noch mal her?

Altmaier schreckt hoch, eine Kamera presst sich an sein Glasfenster. Vor dem Kanzleramt haben sich Dutzende Journalisten versammelt. „Weiterfahren, nicht anhalten“, befiehlt er seinem Chauffeur. Es ist noch zu früh für eine öffentliche Stellungnahme. Egal, was er jetzt sagt, es wird das Falsche sein.

Da fällt es ihm wieder ein: Es waren die Experten vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. Was sie 2010 da skizzierten, war ein wahres Endzeitszenario. Der Minister rutscht seine Krawatte zurecht: „So weit wird es nicht kommen.“ Schließlich ist es erst 21:42 Uhr, Stunde eins nach dem Blackout. Und es hätte alles noch viel schlimmer sein können: ein solcher Stromausfall im Winter etwa.

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Der Portier im Lift schweigt. AItmaier fährt in die sechste Etage des Bundeskanzleramtes, dorthin, wo sonst jeden Mittwoch die Regierungsrunden sind. Wie viele Menschen wohl gerade in München in Fahrstühlen feststecken?

Im kleinen Kabinettssaal warten schon Angela Merkel und Pofalla, und auch die anderen sind da: Rösler, Friedrich, Ramsauer, Schäuble, sogar Daniel Bahr haben sie einbestellt, wegen der Krankenhäuser. In der Mitte das schwarze spinnenartige Telefonkonferenzgerät, ein Knacken, dann ist de Maizière aus Afghanistan mit dabei.

Ein weiteres Knacken, dann ist Seehofer zu hören. „Tut mir leid, Leute, die Verbindung mit dem Satellitentelefon ist auch nicht so sicher.“ Wieder ein Knacken. „Ich war noch am Nachmittag beim Gillamoos-Volksfest. Meine Berater melden mir, dass in Abensberg gerade die Hölle los sein soll.“

Seite 2: Merkel fragt: „Irgendwelche Ideen?“

Merkel schneidet ihm das Wort ab: „Danke, Horst, ja, das ist gar keine gute Nachricht.“ Aus dem Apparat krächzt es: „Keine guten Nachricht? Wisst ihr, was hier los ist? Wenn schon keine Energiewende, dann hätte ich hier gerne mal ‘ne Energiespende.“ Merkels Mundwinkel zucken ob dieses Kalauers, dann dreht sie sich zu den Anwesenden: „Irgendwelche Ideen?“

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Während de Maizière ausführt, wie die Bundeswehr an den Standorten Erding, Bad Reichenhall und Feldafing herangezogen werden sollen, schielt Altmaier auf sein Handy unterm Tisch. Trittin verkündet das „Ende von Schwarz-Gelb“, Peer Steinbrück fordert eine „nationale Kraftanstrengung“. Der Bundesverband der Deutschen Industrie kritisiert, die Regierung habe nach Fukushima zu heftig und zu schnell umgesteuert.

Schon wieder muss Altmaier an die Studie denken. Hatten die Experten damals nicht eine dezentralere Energieversorgung gefordert? Er hatte das schon immer gewusst! Würde der industrielle Süden Deutschlands nicht so sehr von den Windparks und riesigen Offshore-Anlagen im Norden abhängen, von diesen gewaltigen Stromautobahnen, die ihm ständig Ärger bereiten, die er ständig gegen den Widerstand irgendwelcher zotteliger Protestler verteidigen muss, von diesen vermaledeiten Übertragungsnetzen, dann wäre das alles nicht passiert. Dann wäre der Blackout lokaler geblieben, beherrschbarer. Eigentlich wäre das jetzt ein gutes Argument für mehr Biogasanlagen, Blockheizkraftwerke, für Pumpspeicherwerke, für die vielen kleinen regionalen Energieprojekte, für die er ständig Einladungen erhält. Steinbrück hat Recht: Wann, wenn nicht jetzt?

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22:39, fast zwei Stunden seit dem Blackout. „Peter, was hältst du davon?“

Altmaier schreckt hoch, alle Blicke sind auf ihn gerichtet. „Wovon?“ – „Die Kaltreserve zu aktivieren“, sagt Rösler, erleichtert darüber, dass diese Option noch auf dem Tisch liegt - entgegen aller öffentlichen Bekundungen.

„Gar nichts.“ Der Umweltminister ballt die Hand zur Faust: „Wir müssen jetzt die Leute mitnehmen. Das geht nicht über ein Atom-Rollback.“ Er spult die Fakten runter: „Fast zwei Drittel der Bevölkerung unterstützen die Energiewende. Jeder zweite würde sogar Einschränkungen vor Ort in Kauf nehmen. Und das war vor dem Stromausfall! Wie würde sich die Akzeptanz, das Verständnis dafür, erst nach einer solchen Katastrophe ändern?“

Rösler entgegnet: „Das mag ja schön und gut sein, Peter, aber wir können den Bayern doch nicht drei Wochen vor der Wahl sagen: Wartet mal auf den großen Wurf in ein paar Monaten! Wir brauchen jetzt eine Lösung. Sonst war's das mit Schwarz-Gelb.“ Er guckt herausfordernd: „Und?“ Altmaier schnappt nach Luft.

Merkel fummelt an ihrem Handy, tippt eine Nummer. „Ich rufe jetzt den Johannes an“, nuschelt sie, „den Teyssen von Eon.“ Kurze Pause. „Hallo? Ja, Peter, hier ist Angela. Wie sieht’s aus mit Isar I?“ Pause. „So schnell ginge das?“

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