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(picture alliance) Eine einfache Geste, die zum Markenzeichen Angela Merkels wurde. Auch daran haben wir uns gewöhnt

Merkels Trauerspiel - Das schleichende Gift der Gewöhnung

Angela Merkel kann froh sein, dass es die Euro-Krise gibt. Sonst würde das Scheitern ihrer Koalition viel mehr auffallen. Denn statt zu regieren, streiten sich Union und FDP am laufenden Band. Die Öffentlichkeit hat sich an diesen Zustand gewöhnt - was die Misere nicht besser macht

Der Mensch, sagt man, sei ein Gewohnheitstier. Wahrscheinlich ist er deshalb das erfolgreichste Lebewesen der Welt. Weil er sich an alle Lebensumstände anpasst, sich in den widrigsten einrichtet.

In dieser Fähigkeit liegt aber auch eine Gefahr. Wir passen uns an, gewöhnen uns auch an das Falsche. Der größte Feind des Soldaten im Einsatz ist nicht von ungefähr diese Gewöhnung. Er darf nicht abstumpfen, seine Sinne dürfen nicht nachlassen. Das kann tödlich sein.

Es ist ungeheuer schwer, sich gegen das schleichende Gift der Gewöhnung zu immunisieren, wachsam zu bleiben. Gerade in der Politik. Die Bevölkerung in Deutschland und die Bundesregierung haben sich zum Beispiel im Zuge der Euro- und Staatsschuldenkrise fälschlicherweise an Milliardenbeträge gewöhnt, bei denen früher allen Hören und Sehen verging. Und beide, Bevölkerung wie Bundesregierung, haben sich inzwischen mit einem Umstand abgefunden, mit dem man sich nicht abfinden darf: Die einen akzeptieren klaglos, dass sie schlecht regiert werden. Und die anderen nehmen hin, dass sie schlecht regieren.

Vielleicht hilft ein kleiner Rückblick auf drei Jahre bürgerliche Koalition, ein Verweis auf deren eigenen Anspruch, die erlahmten Synapsen im Gehirn wieder einzuschalten. Die schwarz-gelbe Regierung war angetreten, es endlich besser zu machen als diese rot-grünen Chaoten, die vor der Großen Koalition in Deutschland ihr Unwesen trieben. Noch zu Zeiten des Übergangs, zu Zeiten der Großen Koalition von Union und SPD, verwies die Kanzlerin Angela Merkel immer auf die Notwendigkeit, dass manches Wohl für Deutschland noch warten müsse, bis sie ihr Volk aus dieser ungeliebten Koalition hinausführe ins Gelobte Land der bürgerlichen Koalition.

Seite 2: Planloses Gewurstel

Und siehe: Nichts wurde besser. Es ist müßig, noch einmal auf missglückte Koalitionsverhandlungen hinzuweisen, auf Hotelsteuerbeschlüsse und plötzliche gegenseitige Beschimpfungen der Wunschpartner als Wildsäue und Gurken. Großkoalitionäre Hybride wie der seltsame Gesundheitsfonds wurden nicht reformiert, Großprojekte mit eigener Handschrift wie eine beherzte Steuerreform blieben aus. Statt dessen Gewurstel, planloser als bei Rot-Grün, deren Protagonisten zwar manchmal die Linie, aber nie der Enthusiasmus fehlte. Jüngstes Beispiel: das Gezerre um den obersten Bundespolizisten Seeger*, der von Innenminister Friedrich geschasst wurde.

Inzwischen verweigert das zum Regierungs-TÜV gewordene Bundesverfassungsgericht dieser Koalition bei jeder Nachkontrolle die Plakette, zuletzt auf besonders quälende und schmachvolle Weise* - wegen ihres für sie selbst praktischen neuen Wahlrechts. Ob Energiewende, Vorratsdatenspeicherung oder Reform der Pflegeversicherung: Diese Regierung kommt nicht vom Fleck. Eigentlich müsste sie wegen Verkehrsuntüchtigkeit ausrangiert werden. Das darf der TÜV bei einer irreparablen Rostlaube, nicht aber das Bundesverfassungsgericht. In der Demokratie darf das nur das Volk bei einer Wahl.

Es klingt zynisch, aber es ist so: Angela Merkel kann froh sein, dass es die große Krise gibt, die vom Scheitern ihrer Koalition ablenkt. Und selbst da offenbaren die konträren Äußerungen von Seehofer, Schäuble und Rösler den inneren Zustand dieses Bündnisses immer deutlicher.

Die Partner der schwarz-gelben Koalition sind mit der Hybris angetreten, der zankenden Truppe von Rot-Grün nach einer Übergangsphase der Großen Koalition eine solide und seriöse Regierungskoalition gegenüberzustellen. Die können das nicht. Wir können das. Das war der Vorwurf. Das war das Versprechen.

Schwarz-Gelb zankt sich, ohne etwas zustande zu bringen

Dieser Anspruch ist gescheitert. Schwarz-Gelb zankt sich, ohne am Ende etwas zustande zu bringen. "Aufhören!" titelte der SPIEGEL schon vor zwei Jahren und meinte einerseits den Streit - oder eben am besten gleich die ganze Veranstaltung. Seither ist nichts besser, aber vieles schlechter geworden.

Wer sich von der Abstumpfung freimacht, kann zu keinem anderen Ergebnis kommen, als dass dieses Team tatsächlich die wohl schlechteste Regierung ist, die Deutschland seit langem hatte.

Über allem aber schwebt eine Kanzlerin, als hätte sie damit nichts zu tun. Ein Phänomen, surreal. Es gibt vom großen Thomas Bernhard ein Theaterstück, das "Die Macht der Gewohnheit" heißt. Es geht um eine völlig auf den Hund gekommene Theatertruppe und deren desolate Proben vor einem Gastspiel in Augsburg. Theaterdirektor Caribaldi will noch immer Großes auf die Bühne bringen und verschließt die Augen vor der Realität, will nicht sehen, was für eine abgetakelte Veranstaltung aus seinem Ensemble geworden ist.

An dieses Stück erinnert die Performance dieser Bundesregierung, drei Jahre nach Amtsantritt und kurz bevor es ins Wahljahr 2013 geht. Sie üben und üben weiter an der großen Aufführung, zu der es nicht mehr kommen wird.

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