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(picture alliance) Ziehen als grüne Spitzenkandidaten in den Wahlkampf: Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt

Jürgen Trittin und Karin Göring-Eckardt - Das neue grüne Traumduo

Überraschung bei der grünen Urwahl: Zwar wurde der Favorit Jürgen Trittin mit großer Mehrheit als Spitzenkandidat bestätigt, aber ihm stellte die Basis mit Katrin Göring-Eckardt eine Frau zur Seite, die im Vorfeld nur als Außenseiterin gehandelt wurde. So sendet die Partei ein Signal an bürgerliche Wähler und macht Schwarz-Grün wieder denkbar

Es sprach nicht viel für Göring-Eckart. Das Standing von ostdeutschen Bürgerbewegten ist in der Partei, die auch dort ihre Wurzeln hat, traditionell schwierig. In der eigenen Partei hatte sie schon manche Niederlage gegen die Etablierteren einstecken müssen. Und auch die Fürsprecher der ostdeutschen Reala, allen voran der in der Partei umstrittene Hyper-Realo Boris Palmer, galten im Vorfeld der Urwahl nicht gerade als hilfreich, die beiden Konkurrenten Renate Künast und Claudia Roth auf die Plätze zu verweisen.

Der Sieg von Göring-Eckardt ist in der Tat eine Überraschung. 47 Prozent der Mitglieder stimmten für die 46-jährige Thüringerin. Doch noch überraschender kam das Aus für Claudia Roth. Nur rund 26 Prozent der abstimmenden Basismitglieder votierten für die scheinbare Inkarnation grüner Seelenzustände. Roth führte, wohl ein wenig Petra Kelly gleich, die Grünen durch die stürmischen 2000er Jahre, indem die Parteichefin auf ihre authentische Weise immer wieder integrativ wirkte. Mag sein, dass Roth aufgrund dessen weiter eine wichtige Rolle in der Partei spielt. Doch die Parteibasis stand ihrem Ziel, sich im Wahlkampf 2013 an vorderster Front zu präsentieren, und ihrem Traum von einem Ministeramt in einer rot-grünen Bundesregierung im Wege.

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Auch Renate Künast hatte sich mehr ausgerechnet als 39 Prozent der Basisstimmen. Zwar hatte sie die Landtagswahl in Berlin im Herbst vergangenen Jahres versemmelt. Aber die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion gilt als Brückenbauerin ins bürgerliche Lager, sie stößt dort auf weniger Vorbehalte als Trittin. Zudem kann Künast Merkel die Stirn bieten und dabei trotzdem pragmatisch wirken. Das wird im bürgerlichen Lager goutiert.

Doch die Basis entschied sich nicht für eine der Favoritinnen, sondern für die Außenseiterin und sendet so ein Signal an bürgerliche Wähler. Überhaupt, das bürgerliche Lager. Es ist natürlich eine Ressource der Grünen. Auch wenn in der Partei beharrlich anderslautende Analysen vorgetragen werden: Die Grünen sind in den vergangenen Jahren, in einer Position der Eigenständigkeit, vor allem aus diesem Lager gestärkt worden. Sie haben vor allem hier neue, vom neoliberalen Weg abgekommene, wieder stärker wertorientierte Wählerinnen und Wähler gewonnen. Und – hier muss man Boris Palmer Recht geben – gerade Katrin-Göring Eckart kann diese Wählergruppen ansprechen.

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Aber das ist letztlich das Kluge an dieser Entscheidung der Vielen: Die Neue an der Seite des unangefochtenen Trittin wirkt in alle Lager. Sie gilt nicht nur als Frau des Realo-Flügels, also auch als Gegenentwurf zur Linie etwa von Claudia Roth und Steffi Lemke. Sie achtet zugleich auf die sozialpolitische Fundierung der Partei, sah schon vor Jahren die Grünen als soziales Gewissen in neuen Mehrheitsverhältnissen. Die Botschaft: wenn schon Schwarz-Grün, dann um den Preis eines neuen sozialen Ausgleichs – und nicht allein als Machtoption.

Damit sendet die grüne Basis aber auch ein deutliches Signal an die eigene Partei. Ihr ist eine sozialpolitische Ausrichtung der Partei wichtig, aber eine Vasallentreue zur SPD und deren Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück lehnt sie ab. Trittins Festlegung auf Rot-Grün ist von der Basis durch die Wahl Göring-Eckarts infrage gestellt worden.

Das Votum der Basis sollte nicht unterschätzt werden. Die hohe Beteiligung an der Urwahl zeigt, wie groß der Bedarf nach einer basisdemokratischen Fundierung grüner Politik ist. Schließlich haben die Grünen mit dieser Urwahl die Basisdemokratie in der deutschen Parteienlandschaft eingeführt. Gerade das Vorhandensein von personellen Alternativen – allem Spott politischer Gegner und Beobachter zum Trotz – hat die Urwahl zu einer echten Wahl gemacht. Die Grünen haben mit dieser Urwahl Maßstäbe gesetzt, an denen die anderen Parteien nicht mehr vorbeikommen werden.

Während der Vorsitzende der vermeintlich neuen Partei der Basisdemokratie, der Piraten, von gerade einmal fünf Prozent der Mitglieder legitimiert ist, stehen hinter Trittin und Göring-Eckardt zwei Drittel der grünen Anhängerschaft. Während bei den Bundesparteitagen der Piraten der Ort der Ausrichtung auch Einfluss auf das Wahlergebnis hatte, schuf der Wanderzirkus bei den Grünen ganz andere Möglichkeiten der Beteiligung. Und anders als bei den Piraten, wo der Parteivorsitzende mit seinem Vize erwartungsgemäß das Amt tauschte, ist die Wahl Göring-Eckardts eine echte Überraschung.

Trotzdem wird sich nun die grüne Machtarithmetik nicht grundlegend ändern. Fraktionschef Trittin bleibt im grünen Führungsschwarm das Alphatier. Er wird im Wahlkampf der Mann mit den zentralen Themen sein, die in Zeiten der Krise einer Beantwortung harren. Trittin hat eine starke Hausmacht in Partei und Fraktion, Trittin versammelte mit 72 Prozent die meisten Stimmen auf sich. Aber wie Steinbrück ist Trittin eben auch ein Alphatier, ein ungeduldiger Lautsprecher, einer, der seine Gegenüber die eigene rhetorische Überlegenheit spüren lässt. Das ist indes, von der Wahlforschung bestätigt, nicht gerade das, womit man wahlentscheidende, hier vor allem weibliche, Stimmen gewinnt. Ein Problem, das sich Trittin und Steinbrück teilen dürften.

Göring-Eckardt erinnert da eher an die Kanzlerin. Schließlich kann sich Merkel mit einem moderierenden Politikstil beharrlich an der Spitze des Kanzleramtes halten, trotz aller Klagen über ihren nicht erkennbarer Kurs. Göring-Eckardts ausgleichender Stil, auch ihre offene Rückbindung auf Werte, können ein Gegenmodell zu der Christdemokratin darstellen. Wenn die Spitzenkandidatin es schafft, sich im Wahlkampf neben Trittin Gehör zu verschaffen. Wenn die Parteiführung das überraschende Votum der Basis ernst nimmt und bereit ist, die Außenseiterin bedingungslos zu akzeptieren und zu unterstützen, dann könnten Trittin und Göring-Eckardt im Wahlkampf des kommenden Jahres zum neuen grünen Traumduo avancieren.

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