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Das Ende der Grünen? - Die grüne Mission ist noch nicht erfüllt

Das Zeitalter der Grünen ist vorbei, diagnostizierte der Historiker Paul Nolte. Darauf hat Anton Hofreiter, Chef der grünen Bundestagsfraktion, eine leidenschaftliche Antwort

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Anton Hofreiter ist Chef der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Vor der Politik arbeitete der promovierte Biologe als Botaniker an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Foto: picture alliance

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Alle bekennen sich zur sozialen Marktwirtschaft, von Sahra Wagenknecht bis Hans-Olaf Henkel. Die Union hat sich zu Tode gesiegt. Künftig wird sie am Rande des Parteienspektrums siechen.

Dieses Gedankenspiel finden Sie absurd? Das kann ich verstehen. Aber in der Novemberausgabe von Cicero eröffnet Paul Nolte seinen Analyseversuch der Lage der Grünen mit genau dieser These. Seit Jahrzehnten leiern Kommentatoren dieselbe alte irrige Nummer herunter. Von der Zeit Klaus Töpfers als Umweltminister bis zu den Fototerminen Angela Merkels vor schmelzenden Eisbergen, immer meinten Beobachter klar zu erkennen: Da wird den Grünen das Thema weggenommen. Der jahrzehntelange Kampf der Union gegen die Förderung der Erneuerbaren, die ewige Treue der SPD zur Kohle, Merkels Wiedereinstieg in die Atomkraft 2010, ihre Blockade neuer CO2-Grenzwerte für deutsche Autos, die heute steigenden Emissionen in Deutschland, kein Faktum stört die Diagnose: Die grüne Agenda sei durchgesetzt, die Partei somit überflüssig. Oder „verblüht“, wie es im Titel von Noltes Beitrag heißt.

Ja, die Einsicht in die Notwendigkeit ökologischer Reformen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten herumgesprochen. Und es gibt Fortschritte, von sauberen Flüssen bis zur angefangenen Energiewende. Doch das ist eine stärkende Chance und keine Gefahr für uns Grüne. Für unsere Anliegen haben wir vielfältige neue Partner gewonnen – von den Hunderttausenden dezentralen Stromproduzenten bis hin zu innovativen Unternehmen.

Alle machen irgendwie Öko, aber die Grünen meinen es ernst
 

Paul Nolte irrt gewaltig, wenn er meint, die grüne Mission wäre „fulfilled“. Deutschland steht in Naturschutz, Klimapolitik und Energiewende weltweit eben nicht an der Spitze. Und global wie in Deutschland steht der ökologische Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft erst am Anfang. Landwirtschaft, Verkehr, Wärme- und Stromerzeugung verursachen auch bei uns noch immer enorme Umweltkosten. Nicht nur in den USA und in China, auch in Deutschland führt Wirtschaftswachstum noch immer dazu, dass wir mehr CO2 emittieren, mehr Rohstoffe verbrauchen, mehr Fläche zerstören, mehr Arten auslöschen. Zugleich wissen inzwischen die meisten Menschen, dass wir nicht auf Kosten der Umwelt weiterwachsen können, dass Wohlstand etwas anderes ist als materielle Anhäufung, dass wir Konsumgüter mit anderen teilen können, und dass die Klimakatastrophe eine weltweite Existenzbedrohung ist. Keine andere Partei artikuliert dieses Wissen politisch so konsequent und unmissverständlich wie Bündnis 90/Die Grünen. Das Gemurkse der Großen Koalition bei der Energiewende soll uns da ängstigen? Ich halte es da eher mit einem anderen konservativen Intellektuellen, Meinhard Miegel, der es auf einer Veranstaltung der Böll-Stiftung kürzlich treffend ausgedrückt hat: Alle machen Öko irgendwie, aber bei den Grünen, da weiß man: „Die meinen das ernst!“

Eine ähnliche Volte schlägt Nolte, wenn er das Ende des grünen Zeitalters ausruft, uns aber gleichzeitig bescheinigt, wir hätten das fundamentale, kulturelle Koordinatensystem der Bundesrepublik verschoben. Wir hätten eine Politik der Moral statt der Interessen durchgesetzt. Das provoziert Nolte zu einer Art Salonvariante der Gutmenschen-Beschimpfung. „Gesinnungsethik“, „säkularisierter Protestantismus“, vom „schlechten Gewissen“ und „apokalyptischen Ängsten“ getrieben, wirft er uns vor. Was stört Nolte eigentlich an moralischen Kriterien in der Politik? Damit wiederholt er bloß bekannte Ressentiments gegen sozialökologische Reformpolitik, die sich nicht nur gegen die Grünen richten, sondern auch gegen die Berichte des Weltklimarats IPCC, die Sozial­initiative der beiden großen Kirchen und reihenweise Bürgerinitiativen, die sich für fairen Handel, gegen Sozialdumping oder für artgerechte Tierhaltung engagieren. Statt störrischer „Gesinnung“ geht es ihnen aber vor allem um Verantwortung für andere und für die Folgen unseres Handelns, um Milliardenkosten des Klimawandels, um Empathie, Anteilnahme und soziale Menschenrechte.

Klimawandel, übersäuerte Ozeane, Rohstoffknappheit
 

Man muss moralisierte Politik nicht mögen. Nolte will aber keinen Meinungsbeitrag zur Partei liefern, sondern eine zeitgeschichtliche Diagnose ihrer Gestrigkeit. Nennt er denn Anzeichen dafür, dass die Menschen Moral in der Politik heute keine Rolle mehr zubilligen? Nein. Ich sehe auch keine.

Soeben ist ja eine Partei untergegangen, deren Existenzrecht man im konservativen Salon niemals angezweifelt hatte. Fehlen da die Antennen? Außerhalb dieser hochmögenden Kreise hatten die Menschen von Sozialdumping, Öko-Ignoranz und Steuerpopulismus der FDP schon länger die Nase voll. Schaut man sich die Probleme in Land und Welt an, könnte man darauf kommen, dass es eine neoliberale Partei nach Finanzkrise, Verfall der öffentlichen Infrastruktur und Spaltung der Gesellschaft schwer hat. Während eine ökologische Partei bei fortschreitendem Klimawandel, Übersäuerung der Ozeane, Übernutzung der Böden und aufkommender Rohstoffknappheit noch ein paar Themen findet. Schön wär’s ja, wenn die inhaltsleere PR-CDU und die technokratisch erstarrte SPD sich um diese Probleme scheren würden. Die halten aber eher Frieden mit Kohle-, Großbauern-, Chemie- und Autolobby und bedienen ihre Klientel aus der Rentenkasse. Grün ist deren Agenda nicht.

Noltes drittes Argument zielt darauf, die Grünen als „deutschen Sonderweg“ zu erklären, um zu begründen, warum dieser Weg nun zu Ende sei. Meine Partei sei eine „Langzeitreaktion auf den Nationalsozialismus“. Gegen dessen „radikalisierte Sachlichkeit“, „Ausblendung von Moral“ und „Übersteigerung einer Idee von Moderne“ hätten die Grünen den Gegenentwurf formuliert: eine Art moralisierten, fortschritts- und machbarkeitsskeptischen Antimodernismus. Die Abgrenzung vom Nationalsozialismus sei aber mittlerweile deutscher Konsens, besiegelt mit dem Denkmal für die ermordeten Juden in Berlin 2005. Sowohl die Einordnung des Nationalsozialismus als auch die der Achtundsechziger und der Grünen ist verkürzt und einseitig. Ich will zu diesen sehr weitreichenden Thesen nur so viel schreiben: Ja, die Grünen bleiben in der deutschen Parteienlandschaft der klarste Gegenentwurf zu rassistischer und nationalistischer Politik. Wie nötig das ist, zeigt sich gerade heute. Von neu aufkommendem Antisemitismus bis hin zum Neonationalismus der AfD, Anlässe für den grünen Gegenentwurf gibt es genug. In der Demokratie ist nie etwas abgeschlossen, vieles muss immer wieder neu erkämpft werden. Auch dafür stehen die Grünen.

Die Grünen als Avantgarde
 

Die Zeiten von Fortschrittsskepsis und reflexhafter Technikkritik sind in meiner Partei lange vorbei. Nur wer grüne Positionen in der Wirtschafts-, Netz-, Energie- oder Forschungspolitik völlig ignoriert, kann die Grünen noch in diese Schublade stecken. Gerade heute haben wir ein positives Bild von menschlichem Fortschritt und den Vorzügen sauberer Technologie von weißer Biotechnologie über digitale Innovationen, von erneuerbaren Energien bis zu nachhaltigen landwirtschaftlichen Techniken.

Einen Funken Wahrheit finde ich bei Nolte, wenn er auf den Milieuspagat hinweist, den die Grünen meistern müssen. Zwischen „SUV‑Mama mit Ökogewissen“ und „linker Studentin mit autonomen Sympathien“. Ja: Wie alle Parteien müssen und wollen auch die Grünen unterschiedliche politische Milieus mit unterschiedlichen Interessen, Werten und stilistischen Vorlieben integrieren. Das haben wir in den vergangenen 20 Monaten nicht besonders gut hinbekommen. Können wir stark politisierte grün-linke Aktivisten und prosperierende Vorstadtfamilien, ökologisch motivierte Unternehmerinnen und prekär selbstständige Kreativarbeiter, liberal-sarkastische Medientypen und hoch moralisierte Wachstumskritiker zu einem Bündnis für ökologische Politik bewegen? Hier kommt es auf unser Geschick an. Die Zukunft der Grünen liegt weder in der Rückbesinnung auf die Achtziger noch in einer Anpassung an Mainstream und einen technokratischen Regierungsalltag. Gebraucht werden wir als Partei, die es mit dem ökologischen Umbau unserer Gesellschaft ernst meint und die auch bereit ist, Konflikte mit jenen durchzustehen, die diesen verhindern wollen. Gebraucht werden wir als Avantgarde, die weiterhin empfänglich ist für die Impulse und Stimmungen aus der progressiven Gesellschaft. Gebraucht werden wir als Partei, die die Ambivalenzen vieler Menschen – vom ökologischen Leben bis zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf – erspürt und Lösungen anbietet. Eine solche Grüne Partei hat heute alle Chancen, weit mehr zu sein als eine Randpartei. Sie braucht dazu das Selbstbewusstsein, sich nicht über andere Parteien oder die Partnerschaft zu ihnen zu definieren, sondern sich als eigenständige Partei der linken Mitte im progressiven Teil der Gesellschaft zu verorten.

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