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Ein Zitat und seine Geschichte - „...dann geht das Licht aus”

Das Schreckensszenario, erschaffen von Baden-Württembergs ehemaligem Ministerpräsidenten Hans Filbinger, überlebte bisher jede Phase der Energiepolitik. Heute, nach 38 Jahren, ist es so realistisch wie nie

Autoreninfo

Georg Löwisch war bis 2015 Textchef bei Cicero. Am liebsten schreibt er Reportagen und Porträts. Zu Cicero kam er von der taz, wo er das Wochenendmagazin sonntaz gründete. Dort kehrte er im Herbst 2015 als Chefredakteur zurück.

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Als Hans Filbinger den Satz erfand, hatte er eine bunte Truppe aus Naturschützern, Linksaktivisten und Weinbauern am Hals. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg und seine CDU wollten Anfang der siebziger Jahre bei Wyhl ein Kernkraftwerk an den Rhein stellen, und immer mehr widerspenstige Südbadener muckten auf. Die Bürger fürchteten, dass das Kraftwerk das biologische Gleichgewicht durcheinanderbringt – oder ihnen gleich ganz um die Ohren fliegt. Da konnte Filbinger noch so viel Fortschritt und Modernität versprechen. Was er schaffen musste, war eine Gegenangst. Katastrophe gegen Katastrophe. So sagte er am 27. Februar 1975 diesen Satz, der in seinen Varianten weiter verwendet wurde – und der in modernisierter Form die Auseinandersetzung um die Energie noch immer beeinflusst.

Jetzt der Satz: 75. Sitzung des Landtags von Baden-Württemberg, Regierungserklärung: „Ohne das Kernkraftwerk Wyhl werden zum Ende des Jahrzehnts in Baden-Württemberg die ersten Lichter ausgehen.“

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Von der Zuschauertribüne, so ist im Protokoll vermerkt, kam Gelächter, offenbar von Wyhl-Gegnern, und Filbinger hat ihnen den Satz gleich noch einmal wiederholt, als ahnte er, was für ein mächtiges Bild er hier gerade ins Spiel gebracht hatte. Er sagte nicht: Ohne das Kernkraftwerk werden in Baden-Württemberg die Bügeleisen kalt. Oder: Ohne Wyhl geht beim Daimler nichts mehr. Er hat sich das Licht ausgesucht, einen starken Kulturbegriff. Ohne Licht herrscht Finsternis, fällt die Gesellschaft ins dunkle Mittelalter zurück, verschwinden Zivilisation und Menschlichkeit und der Komfort sowieso. Licht bedeutet Sicherheit statt Düsternis, intellektuelle Klarheit statt geistiger Umnachtung. Es schafft Wärme, die Nacht ist kalt.

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Filbingers Satz war zwar Unfug, denn die Atomkraft war damals nicht alternativlos, sie stand gegen Kohle und Öl. Wyhl wurde auch nie gebaut. Aber der Satz und das Bild darin überlebten, sie halfen noch lange, die Atomkraft in Deutschland zu verteidigen: Bewahrt uns vor den Ökospinnern, sonst geht das Licht aus!

1986: Nach der Katastrophe von Tschernobyl drehte sich die Debatte nur mehr darum, wie lange die Atomenergie gebraucht wird. Die Grünen wollten sofort aussteigen, die SPD wollte es mittelfristig, die CDU vielleicht. Wie schnell kann der Ausstieg bewerkstelligt werden, ohne dass die Lichter ausgehen? Nur sehr langsam, mahnten die Stromkonzerne, die ihre gewinnträchtigen Reaktoren liebten. Der Chef des Veba-Konzerns sagte im Juli 1986, die Kernenergie müsse weitere 50 bis 70 Jahre laufen. Den schnellen Brüter für den Urannachschub brauche man schon noch, wenn vielleicht auch nicht sofort. „Wenn wir das Ding nicht gleich morgen haben, gehen davon nicht die Lichter aus.“ Heißt: Haben wir es übermorgen nicht, kann’s dunkel werden.

2000 vereinbarten die rot-grüne Bundesregierung und die Energieunternehmen den Ausstieg, er sollte nicht plötzlich geschehen – Licht aus! –, es war eher ein Runterdimmen. Windräder wurden aufgestellt, Solardächer gedeckt. Auf dem liberalisierten Strommarkt wurde Ökostrom angeboten. Eine Firma hieß: Lichtblick.

2011 geschah die Nuklearkatastrophe von Fukushima. In Deutschland verloren acht Reaktoren die Betriebserlaubnis. Das Licht ist angeblieben. Aber der Umstieg auf Wind, Sonne, Biomasse und was es so alles gibt, muss jetzt schnell gehen, zumal auch durch die Kohlekraft eine Katastrophe droht. Die ganze Struktur der Stromverteilung muss umgebaut werden. Und die Netze sind marode, störanfällig. Auf einmal, da die Hälfte der Kernkraftwerke tot und das Licht trotzdem angeblieben ist, könnte wirklich eintreten, was Filbinger 1975 bloß erfunden hatte: plötzliche Dunkelheit. Sie heißt jetzt: „Blackout.“ Pechschwarz. Aus.

Ein oder zwei Tage Stromausfall in einer Großstadtregion, und für die Energiewende sähe es zappenduster aus. Allein schon die Angst, dass das Licht ausgeht, ist sehr konkret, konkreter als die vor den Klimaveränderungen. Es funktioniert wie früher. Katastrophe gegen Katastrophe. Licht aus, das ist die alte und die neue Gegenangst der Stromkonzerne. Sie lieben ihre Reaktoren immer noch. Und sie lieben die Kohle.

 

 

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