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CSU und CDU - Geschwisterhassliebe in Wildbad Kreuth

In Wildbad Kreuth inszeniert sich die CSU seit vier Jahrzehnten mit einem Augenzwinkern als unbequemer Partner der CDU. Meist war es hinterher nicht so gemeint, aber in der Flüchtlingskrise könnte es in diesem Jahr ernst werden

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Die gute Nachricht zuerst. Es liegt Schnee in Wildbad Kreuth, trotz der Rekordwärme der letzten Wochen. Schnee ist wichtig für die CSU, denn ohne Schnee ist der Mythos Kreuth nur die Hälfte wert.

Jedes Jahr Anfang Januar treffen sich am Fuße der bayrischen Alpen die CSU-Bundestagsabgeordneten zu ihrer Klausurtagung. Weit weg von der Hauptstadt feiern sie am Dreikönigstag ihre bundespolitische Wichtigkeit. Und weil dazu im Vorfeld immer auch großes populistisches Tamtam gehört, vertreten sich auch in diesem Jahr vor dem Tagungshaus Dutzende Journalisten und Kameraleute in der Kälte ihre Beine.

Schnee, Sternsinger, Schlagzeilen – so heißt seit 40 Jahren das Erfolgsrezept der CSU in Kreuth. Doch in diesem Jahr ist vieles anders. Die Kanzlerin kommt nach Kreuth, zum ersten Mal. Helmut Kohl war nie dort, in seinen 16 Kanzlerjahren nicht. Merkel ließ sich immerhin zehn Jahre bitten.

Schwestern im Streit
 

Es ist kein Höflichkeitsbesuch im doppelten Jubiläumsjahr. Die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin hat die beiden Schwesterparteien in eine tiefe Beziehungskrise gestürzt. Seit der damalige CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß im Jahr 1976 die Fraktionsgemeinschaft im Bundestag aufgekündet hatte, war das Verhältnis nicht mehr so angespannt. Seit in den 1970er Jahren Strauß und Kohl aneinandergerieten und anschließend ihre Männerfeindschaft pflegten.

Zwar stellten Merkel und Seehofer am Mittwochabend in Kreuth demonstrativ ihre Entspanntheit zur Schau. Merkel freue sich auf „spannende Diskussionen“, sagte sie bei ihrer Ankunft, Seehofer freue sich auf ein „gutes Zusammentreffen“. Trotzdem ist nicht zu übersehen: ihre Interessen sind fundamental unterschiedlich. Merkel hat die internationale Lage im Blick, Seehofer die bayrische. Merkel will „Fluchtursachen bekämpfen“ und „Friedensprozesse begleiten“, Seehofer die „Kommunen entlasten“. Merkel setzt auf eine europäische Lösung, nationale Alleingänge und eine konkrete Obergrenze für die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, lehnt sie ab. Seehofer hingegen wird nicht davor zurückscheuen, notfalls Bayerns Außengrenzen zu schließen. Hinzu kommt, beiden sitzt die AfD im Nacken, die in der Flüchtlingskrise mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Parolen Stimmung macht. Bei den drei Landtagswahlen am 13. März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt könnte die AfD spektakuläre Wahlerfolge feiern.

Vor allem die CSU hat es immer als ihre Aufgabe verstanden zu verhindern, dass sich rechts von ihr eine demokratisch legitimierte Partei etabliert. Seehofer steht wegen der AfD also zusätzlich unter Druck. Auch deshalb versucht er, Merkel mit immer neuen Forderungen in der Flüchtlingspolitik vor sich herzutreiben. Mal fordert er ein verpflichtendes Bekenntnis zur Leitkultur, mal will er nur noch solche Flüchtlinge einreisen lassen, die sich ausweisen können. Dass er selbst Dinge fordert, die bereits Gesetz sind, zum Beispiel Sanktionen für Integrationsverweigerer, stört ihn wenig.

Bislang hatte es Seehofer allerdings vermieden, konkrete Forderungen zu stellen. Es blieb immer genügend Verhandlungsspielraum, auch mit der SPD, die ja in der Großen Koalition auch mitredet. Am vergangenen Wochenende jedoch hat Seehofer seine Strategie geändert und seinen Druck auf Merkel verschärft. Er präzisierte seine Forderung nach einer Obergrenze und nannte kurz vor Kreuth in einem Zeitungsinterview sogar eine konkrete Zahl: „100.000, höchstens 200.000 Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge pro Jahr“, mehr könne Deutschland nicht aufnehmen und integrieren. „Höchstens 200.000“ – Eine solche Zahl schafft in der öffentlichen Debatte Tatsachen, auch wenn der bayrische Ministerpräsident mittlerweile von einer „Größenordnung“ spricht und auch, wenn er vor der malerischen Bergkulisse von Kreuth zögerte, die „Zahl mit fünf Nullen“ vor laufenden Kameras zu wiederholen.

Seehofer ist politischer Profi genug, um zu wissen, dass er Tatsachen geschaffen hat und zwar solche, die der Kanzlerin und ihren Mitstreitern überhaupt nicht gefallen. Bevor sich in Kreuth die Türen schließen, macht Merkel dann auch klar, sie ist nicht gekommen, um Zugeständnisse zu machen: „Es gibt einige unterschiedliche Positionen, daran wird sich heute nichts ändern“, sagt sie stattdessen mit knappen Worten. Seehofer steht daneben und lächelt. Trotzdem ist die politische Spannung mit Händen zu greifen. Zwar versichern Vertraute aus beiden Lagern weiterhin, der Kontakt zwischen Merkel und Seehofer sei gut. Das gegenseitige Verständnis sei besser, als es in den Medien kolportiert werde. Aber wenn CDU und CSU nicht aufpassen, dann wird in dieser Beziehungskrise einer der beiden Kontrahenten dennoch schon bald einen hohen Preis bezahlen. Vielleicht zahlen sogar beide.

Der Streit ist echt
 

Ein Erfolgsrezept der Union stößt an seine Grenzen. Bislang bestand dieses immer darin, dass sich CDU und CSU zwar kabbelten. Die CSU durfte sich von Zeit zu Zeit und vor allem in Kreuth auf Kosten der CDU bundespolitisch profilieren. Aber alle Beteiligten wussten zugleich, ernst ist diese Kabbelei nicht.

Dieses Mal ist es politisch ernst, ziemlich ernst. Zwischen CDU und CSU droht eine Situation zu entstehen, in der es keine Kompromisslinien mehr gibt. Eine Situation in der nicht mehr beide Seiten ihr Gesicht wahren können. In der Öffentlichkeit wird es dann nur noch heißen: Seehofer oder Merkel. Am Ende wäre zumindest einer der beiden in seiner beziehungsweise ihrer Glaubwürdigkeit so stark beschädigt, dass sich die Frage nach der politischen Zukunft stellt.

Lange wird es nicht mehr dauern. Seine Saat hat Horst Seehofer ausgesät: 200.000. „Ehrlich machen“, so begründet Seehofer in Kreuth, dass er eine Zahl genannt hat. Eine Zahl, die für Merkel zum Fluch werden könnte, weil die Kanzlerin nun spätestens im Frühjahr ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommt. Oder für Seehofer, weil er den Mund viel zu voll genommen hat. Derzeit kommen täglich etwa 3.000 Flüchtlinge in Deutschland, das heißt in Bayern, an. Wenn Merkel also nicht bald ein internationaler Durchbruch gelingt, der den Flüchtlingsstrom schlagartig stoppt und danach sieht es nicht aus, dann wird die Zahl 200.000 etwa Anfang März erreicht sein. Und dann?

Das Problem ist nicht der Zweihundertausendunderste Flüchtling. Diese Journalistenfrage empfindet Seehofer zu Recht als „nicht ernsthaft genug“. Niemand wird den ersten Flüchtling, der nach Erreichen der Seehofer'schen Obergrenze um Asyl sucht, zurückweisen. Trotzdem entfaltete die konkrete Zahl, die Seehofer genannt hat, ihre politische Dynamik.

Irgendwann sind es dann vielleicht 250.000 Flüchtlinge oder Ende März 300.000 Flüchtlinge, die 2016 in Deutschland Asyl beantragt haben. Und dann kann sich Seehofer nicht mehr rausreden, er habe nur von einer „Größenordnung“ gesprochen. Mit jedem Flüchtling, der dann noch nach Bayern kommt, wächst der Handlungsdruck, in München und in Berlin. Spätestens dann muss der Tiger Seehofer die Kanzlerin zum Handeln zwingen, zum Schließen der Grenzen, zum nationalen Alleingang, zu drastischen Maßnahmen oder der CSU-Vorsitzende verwandelt sich in einen Bettvorleger von Angela Merkel.

In Kreuth könnte aus dem unterhaltsamen Spiel, das CDU und CSU hier so gerne aufführen, in diesem Jahr politischer Ernst werden. Das ist für beide Parteien eine schlechte Nachricht. 40 Jahre nachdem Franz-Josef Strauß den Mythos Kreuth begründete, stehen die zwei Schwesterparteien wieder an einem Scheideweg.

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