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„Collegium“ und „Adlerkreis“ - Das sind die Lobbyisten in Berlins Hinterzimmer-Clubs

Regelmäßig treffen sich wichtige Berliner Lobbyisten in einem Vereinsraum des Bundestages – vertraulich. Manche haben nicht einmal einen Hausausweis des Bundestages. Wer im „Adlerkreis“ und im „Collegium-Kreis“ sitzt, war lange Zeit eines der bestgehüteten Geheimnisse der Hauptstadt. Die Listen der Teilnehmer sind nun öffentlich

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Ina Bullwinkel arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Sie hat Außenwirtschaft in Hamburg studiert.

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Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Wenn sich die wichtigsten Lobby-Kreise der Republik zum Erfahrungsaustausch in Berlin treffen, dann geht es diskret zu. Sie tagen, wie der 46-köpfige „Collegium-Kreis“, im privaten Salon der Brasserie am Gendarmenmarkt. Die Stühle sind mit rotem Leder überzogen, an den Wänden hängen Art-Deco-Gemälde.

Noch exklusiver hält es der „Adlerkreis“: Die 35 Mitglieder versammeln sich einmal im Monat in noblen Hotels, wie dem Hyatt am Potsdamer Platz, und regelmäßig auch im früheren Reichspräsidentenpalais, in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft. Die Räume gehören dem Bundestag, normalerweise haben nur Parlamentarier Zugang. Trotzdem gehen in diesem Club – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – regelmäßig auch Lobbyisten von Banken, Versicherungen und DAX-Unternehmen ein und aus.

Merkels Staatsminister Helge Braun zu Gast beim „Collegium“


Cicero veröffentlicht nun ihre Namen: Es sind die Listen von zwei der wichtigsten bundesdeutschen Lobbyvereinigungen – der „Adlerkreis“ (pdf) und der „Collegium-Kreis“ (pdf). Darunter sind etwa die Hauptstadtvertretungen wichtiger deutscher und internationaler Firmen wie Siemens, Google, Tui, Rolls-Royce, General Electric, Ford, Bertelsmann, die Deutsche Bank, die Deutsche Telekom, der Rüstungskonzern EADS oder die Energieriesen EnBW, E.On, RWE und Vattenfall.ie treffen sich mit Landeschefs wie dem einstigen SPD-Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit, Abgeordneten wie den CDU-Politikern Michael Fuchs oder Joachim Pfeifer und manchmal sogar mit Bundesministern: Am 28. August 2014 kam Helge Braun, Staatsminister im Bundeskanzleramt, zu der nicht-öffentlichen Sitzung des „Collegiums“. Es sei um „die bessere Rechtssetzung“ und „Bürokratieabbau“ gegangen, teilte er auf Anfrage des SPD-Abgeordneten Marco Bülow mit. „Vereinbarungen wurden nicht getroffen.“ Das Bundespresseamt bestätigte den Termin auf Anfrage.

Am 11. September 2014 soll sich Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz mit den „Collegium“-Vertretern getroffen haben. Seine Senatskanzlei bestätigte das bislang nicht.

„Es muss transparent sein“


Was bei Helge Braun so lapidar klingt, ist die Essenz der Politik: der Rohstoff Information. Die Lobbyisten wollen frühzeitig wissen, welche Gesetzesänderungen geplant sind – um dann zu versuchen, den Prozess in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Die Wirtschaftsverbände beanspruchen ihren Platz im parlamentarischen System. So sagte ein Mitglied des Adlerkreises, das nicht genannt werden wollte: „Es ist legitim, dass man als ein Unternehmen oder Verband bestimmte Interessen hat – das ergibt sich aus der Sache. Aber es muss transparent sein.“

Das Magazin Cicero bat alle Personen auf den zwei Listen um Stellungnahme. Doch Auskunft wollten nur wenige geben. Es meldeten sich zuerst diejenigen, die längst nicht mehr Mitglieder der Kreise sind. Andere verwiesen auf die jeweiligen Präsidenten, einer wollte nur anonym zitiert werden. Im „Adlerkreis“ bestätigten zehn Personen ihre Teilnahme, im „Collegium“ gar nur fünf. Es gab allerdings kein Dementi außer von Ehemaligen.

Von E.on gelangte an Cicero eine vermutlich irrtümliche Mail, in der es heißt: „Was ist das denn????? Darauf antworten ‚wir‘ nicht, oder?“

Was besprochen wird, dringt kaum nach außen


„Collegium“-Präsident Markus Schulz teilte mit, es handle sich um einen „Gesprächskreis von Leitern der Hauptstadtbüros sowohl deutscher als auch ausländischer Unternehmen. Einmal im Monat laden wir uns aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einen Gast zum Gespräch ein.“ So sei auch Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke einmal beim „Collegium“ zu Gast gewesen. Schwennicke sagt, das sei „bei einem Mittagessen“ gewesen, nicht in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft.

Der Ablauf dieser Treffen ist immer ähnlich. Dem Grußwort des Präsidenten – beim Adlerkreis ist das Kay Lindemann, Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie – folgt ein 10-minütiges Referat des Gastes über seine Arbeit und aktuelle politische Vorhaben. Dann wird diskutiert. Im Adlerkreis etwa spricht Lufthansa über das Problem seiner streikenden Einzelgewerkschaften oder RWE über die Kosten des Gesetzes zu Erneuerbaren Energien. Ein oder zwei Firmen sponsern das Essen. Die Runden gehen für Berliner Verhältnisse ungewöhnlich lang – mitunter zweieinhalb Stunden und mehr. Was da besprochen wird, dringt freilich kaum nach außen.

Stellvertretend für Präsident Lindemann antwortet Eckehart Rotter, Pressesprecher des Verbands der Automobilindustrie, auf die Cicero-Anfrage, der Adlerkreis sei ein vertraulicher Kreis, der über seine Hintergrundgespräche nichts in die Öffentlichkeit gibt. Was der Kreis preisgibt, entscheiden allein die Mitglieder. Gleichzeitig verweist Rotter auf viele vergleichbare Kreise der Hauptstadt, die ähnlich wie der „Adlerkreis“ keine Informationen über Mitglieder oder Gesprächsinhalte veröffentlichen.

Nicht alle haben einen Hausausweis


Die Industrievertreter wollen ganz nah an den Ministerien dran sein – was mitunter gelingt: So schickten das Finanz- und das Justizministerium im Juli 2014 den Entwurf für das Kleinanlegerschutzgesetz an die großen deutschen Bank-, Investment- und Industrieverbände, aber auch an die Verbrauchenzentralen. Sie sollten „Gelegenheit zur Stellungnahme“ erhalten. So will die Politik offenbar früh ausloten, wo möglicher Widerstand zu erwarten ist.

Über die Treffen des „Adlerkreises“ aber gibt nicht einmal die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft Auskunft. Auf Anfrage hieß es nur: Hineinkommen dürfe in die Räumlichkeiten, wer von einem der 1600 Vereinsmitglieder eingeladen wurde. Und eine Mitgliedschaft in dem exquisiten Club hat nur, wer dem Bundestag, den 16 Landtagen oder dem Europaparlament angehört oder in der Vergangenheit als Mandatsträger beigetreten ist.

Die Interessensvertreter dürfen somit zwar auf das Gelände des Bundestages – einen Hausausweis haben sie aber bei weitem nicht alle. Am Freitag hat der Tagesspiegel die Listen jener Organisationen veröffentlicht, die einen Hausausweis des Bundestages beantragt haben. Ein Vergleich dieser Listen mit jenen der beiden Lobbykreise zeigt: Beim „Collegium“ hat rund ein Viertel keinen Hausausweis, beim „Adlerkreis“ sogar ein Drittel.

Manche Mitglieder bleiben im Adlerkreis, auch wenn sie sich schon in den Ruhestand zurückgezogen haben und hinter ihnen kein großes DAX-Unternehmen mehr steht. Manche sind gar als private Berater tätig. Somit stehen manche Einzelpersonen nicht explizit auf der Liste der Hausausweise, haben durch die Treffen des Adlerkreises dennoch Zutritt zum Bundestag.

Lobby Control fordert ein Lobbyregister


Ulrich Müller, geschäftsführender Vorstand der Organisation Lobby Control, fordert mehr Transparenz über solche Zusammentreffen. „Diese Liste zeigt, dass Hausausweise nicht alles sind. Wir brauchen ein verpflichtendes Lobbyregister in Berlin. Darin müssen alle Verbände, die in Berlin Lobbyarbeit machen, erfasst sein.“

Ein ehemaliges Mitglied des „Adlerkreises“ sagt selbstkritisch: Der Club „tut sich mit seiner Intransparenz keinen Gefallen“. Das schüre nur Misstrauen bei Außenstehenden.

Der Elitezirkel hat Tradition: Schon während der Zeit der Bonner Republik haben sich die Mitglieder zusammengefunden. Damals trafen sie sich regelmäßig in Bad Godesberg in dem Restaurant „Zum Adler“, das der Gruppe schließlich ihren Namen gab. Der Anspruch sei immer gewesen, nur die größten und wichtigsten Menschen aufzunehmen, sagt das ehemalige Mitglied. „Von den heutigen Mitgliedern würden da einige durchs Raster fallen.“

Vereinigungen alles andere als plural


Heute sei der Adlerkreis aber noch immer ein „honoriger Kreis“. Doch zuweilen habe man aufgrund des fortgeschrittenen Alters mancher Teilnehmer den Eindruck, dass noch einige der Gründungsmitglieder erhalten seien. Er betont jedoch, die Bedeutung des Adlerkreises „nicht zu überschätzen“. In Berlin funktioniere Lobbyismus aus seiner Sicht inzwischen anders. Persönliche Gespräche brächten zwar immer noch sehr viel, aber dass ein Abgeordneter die Wünsche eines Unternehmens aufgrund seines Namens und seiner Größe berücksichtigt, stimme nicht mehr. Wichtiger sei die „vernetzte Community“ mehrerer Wirtschaftsverbände und Interessenvertreter. Umweltverbände und Nichtregierungsorganisationen wie etwa Agora hätten es in der Vergangenheit viel besser geschafft, ihre Interessen in der Politik durchzusetzen als die Industrie. „RWE oder EON sind im Vergleich zu Organisationen wie Campact Kleinkinder im Lobbyismus.“ Trotzdem treffen sich die Unternehmensvertreter klandestin.

Die finanzmächtigen Lobbyvertreter fordern für sich selbstverständlich, ihre Interessen in das demokratische Spiel einzubringen. Gleichzeitig wollen einige von ihnen aber die zentralen Spielregeln der Demokratie – Transparenz und Pluralität – nicht einhalten.

So sind die Teilnehmerlisten der beiden Vereinigungen alles andere als plural. Von den 46 Mitgliedern des „Collegiums“ sind 44 Unternehmen, Banken und Versicherungen; 16 davon gehören den im DAX-30 vertretenen Firmen an. Im „Adlerkreis“ sind von den 22 Unternehmen zwölf im wichtigsten Deutschen Aktienindex vertreten; zwölf weitere Teilnehmer sind Wirtschaftsverbände bzw. eine wirtschaftsnahe Stiftung. Vertreter der Zivilgesellschaft, von Umwelt- oder Nichtregierungsorganisationen sind in diesen Zirkeln gar nicht erst eingeladen.

Die DAX-Firmen Linde, Deutsche Post, Lufthansa, E.ON, Siemens, Daimler, Telekom Infineon und ThyssenKrupp sitzen sogar in beiden Kreisen. Der Stahl- und Waffenhersteller ThyssenKrupp ist mit dem Leiter der Berliner Konzernrepräsentanz, Gerrit A. Riemer, je im „Adler“- wie im „Collegium-Kreis“ vertreten, in letzterem auch noch mit dem Berliner Büroleiter Christian B.W. Stuve. Auf Anfrage äußerten sich die beiden nicht.

Update: Nachträglich ergänzte der Pressesprecher der Metro Group: Der Konzern hatte die Mitgliedschaften seines Leiters Politik und Außenbeziehungen, Michael Wedell, im „Collegium“ und im „Adlerkreis“ bereits zuvor auf der eigenen Webseite veröffentlicht. Die Metro Group setze sich für den Ansatz des „Responsible Lobbying“ ein - dazu hat 365Sherpas heute auch einen Online-Artikel veröffentlicht.

Update (03.12.15): Dr. Wolfgang Ischinger arbeitet nicht mehr bei der Allianz und ist seit seinem Ausscheiden dort kein Mitglied des Adlerkreises mehr.

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