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Foto: Antje Berghäuser

Gerhard Schröder kontert Seehoferkritik - „Jeder macht sich auf seine Weise lächerlich“

Altkanzler Gerhard Schröder ergreift im Cicero-Foyergespräch Partei für die „Wir-schaffen-das-Politik“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Flüchtlinge hätten Vorrang vor der Schwarzen Null. Schröder bezeichnet es allerdings als „großen Fehler“ noch kein Einwanderungsgesetz gemacht zu haben

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Ina Bullwinkel arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Sie hat Außenwirtschaft in Hamburg studiert.

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Beim heutigen Cicero-Foyergespräch stand vor allem ein Thema im Mittelpunkt: Die Flüchtlingskrise. Dabei sollten Altkanzler Gerhard Schröder und Evonik-Chef Klaus Engel eigentlich über „Markt und Moral“ sprechen. Zunächst wurde über den VW-Skandal diskutiert.

Schröder betonte, das Schlimmste am Abgasskandal sei das verspielte Vertrauen gegenüber Kunden, Aktionären und der Gesellschaft insgesamt. VW habe klare Gesetzesverstöße begangen, die allerdings nicht von den „Arbeitern am Band“ getragen werden dürften. Ein allgemeines „VW-Bashing“ sei deswegen nicht der richtige Weg. Vielmehr müsse die „Top-Ebene“ zu Verantwortung gezogen werden und auch ein Schadensersatz von Seiten der verantwortlichen Manager müsse geprüft werden, so Schröder.

„Wir schaffen das“: Keine moralische Großmacht

Markt und Moral – dazu passt auch das Thema der Flüchtlingskrise in Deutschland. Als Beispiel führt Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke den Fall eines Berliner Herstellers für Stacheldraht an, der einen lukrativen Auftrag aus Ungarn ablehnte. Evonik-Vorstand Klaus Engel begrüßte die Entscheidung des Unternehmers und lobte gleichzeitig das Engagement vieler Deutscher. Merkels „Wir schaffen das“-Einstellung sei der richtige Weg, so Engel. Mit der Flüchtlingskrise habe man die Chance, zu beweisen, was Deutschland ausmacht: gute Organisation, „Anpacken“ und erfolgreiche Projekte.

Ob „Wir schaffen das“ nicht lediglich „wishful thinking“ sei, möchte der stellvertretende Cicero-Chefredakteur Alexander Marguier wissen. Schließlich zeige das Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin, dass eine rein moralische Haltung auch auf faktische Grenzen stößt. Altkanzler Schröder nennt die Situation ein Dilemma, macht aber auch deutlich, dass Merkel keine andere Wahl gehabt hätte, als ein positives Signal zu setzen und eben diesen viel kritisierten Satz zu sagen. Dies sei keine „moralische Großmacht“, antwortet Schröder auf Alexander Marguiers Nachfrage, sondern das richtige Verhalten gewesen. „Was wäre wohl in Europa los gewesen“, fragt Schröder, „wenn Deutschland – vor dem Hintergrund seiner Geschichte – seine Hilfe verweigert hätte?“

Gerhard Schröder lobt die Kanzlerin für ihr Handeln in der Krisensituation und fügt hinzu: „Ich glaube auch, dass man das schaffen kann.“

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 „Schwarze Null“ weit weniger wichtig

Ein neues Zuwanderungsrecht erst in der nächsten Legislaturperiode einzuführen, hält Schröder aber für einen großen Fehler der Bundesregierung. Jetzt gehe es um Schnelligkeit. Die Flüchtlinge müssten – anstatt lange in Aufnahmelagern „rumzuhängen“ – schnell zu Arbeit kommen. Hier seien in der Vergangenheit Fehler gemacht worden, die die Bundesregierung jetzt beheben müsse – auch damit die Menschen im Winter nicht erfrieren, so Schröder. Der SPD-Mann macht deutlich, dass die Flüchtlingskrise nicht nur eine Belastung für Deutschland darstellen müsse, sondern eine Bereicherung sein kann, sollte eine Integration über Bildung erfolgreich sein. Die Aufgabe der Zukunft sei es deswegen, ein Einwanderungsgesetz auf die Beine zu bringen. Trotzdem, räumt Schröder ein, solle keiner glauben, dass dies ohne Konflikte abgehe.

„Die Schwarze Null ist weit weniger wichtig als das Gelingen der Flüchtlingskrise“, sagt Schröder. Die Haushalte der Kommunen und Länder hätten es schwieriger als der Bundeshaushalt. In dieser Situation sei ein ausgeglichener Haushalt nicht das Maß aller Dinge. Ansonsten gehen Kommunen und Länder den Bach runter.

„Jeder macht sich auf seine Weise lächerlich“

Dass Horst Seehofer (CSU) Merkel mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht droht, versetzt den Altkanzler in Staunen: „Jeder macht sich auf seine Weise lächerlich“. Auch einen europäischen Sonderfonds der EU hält Schröder nicht für den richtigen Weg. Vielmehr sollte man durch die Kürzung von Mitteln finanziellen Druck ausüben auf osteuropäischen Länder wie Ungarn, die sich gegen eine faire Verteilung der Flüchtlinge wehren.

Die Angst der Facharbeiter, dass Flüchtlinge ihnen ihren Arbeitsplatz wegnehmen würden und den Staat mehr kosten als sie leisten, können weder Schröder noch Engel bestätigen. Das eigentliche Problem sei, dass jetzige Fachkräfte nicht ersetzbar sind und anstatt bis 63 zu arbeiten, noch gebraucht werden, bis sie 67 Jahre sind. Hier müsse eine Flexibilisierung geschaffen werden. Evonik-Vorstand Engel betonte, dass Einwanderer im Schnitt schon nach drei Jahren in Deutschland mehr Steuern zahlen würden, als für sie ursprünglich ausgegeben werden müsste.

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