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Bundestagswahl 2013 - Nichts ist entschieden

Noch zwölf Wochen sind es bis zur Bundestagswahl. Wer glaubt, dass der Wahlkampf langweilig wird, irrt. Nichts ist entschieden, sogar Peer Steinbrück kann noch Kanzler werden. Doch richtig spannend könnte es erst nach dem 22. September werden

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Eine merkwürdige Melancholie liegt derzeit über dem Bundestagswahlkampf. Er hat bislang keine Themen und keine Zuspitzung. Die ewige Kanzlerin Angela Merkel wirkt unschlagbar, Guido Westerwelle gilt plötzlich als großer Staatsmann. Dazu verbreiten SPD und Grüne eine Stimmung, als habe sich die Opposition schon aufgegeben. Am Freitag vergangener Woche verabschiedeten sich die Bundestagsabgeordneten in einen kurzen Sommerurlaub, bevor im August die Plakate ausgepackt werden. Von Spannung keine Spur. Einziger Höhepunkt des Wahlkampfes waren bislang jene Tränen, die SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf dem Konvent seiner Partei verlor, als ihn seine Frau mit der Frage konfrontierte, warum tust Du dir das an.

Doch wer glaubt, es stünde ein langweiliger Bundestagswahlkampf bevor, der irrt sich gewaltig. So unwahrscheinlich es klingt, die SPD kann die Wahl noch gewinnen, selbst der viel gescholtene Peer Steinbrück kann noch Kanzler werden. Es ist in diesem Wahlkampf, der so uninspiriert wirkt und von einer unnahbaren Kanzlerin bestimmt wird, noch ziemlich viel drin. Wenig, fast nichts spricht dafür, dass die Wahl so ausgeht, wie es die Demoskopen derzeit vorhersagen.

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Die Meinungsumfragen, die Woche für Woche gleich im halben Dutzend auf Politiker und Wähler niederprasseln, vermitteln ein sehr trügerisches Bild. Es gab in den letzten beiden Jahrzehnten genügend Wahlkämpfe, in denen die Stimmung in der heißen Phase noch dramatisch gekippt ist. 2002 etwa sah Edmund Stoiber schon wie der sichere Wahlsieger aus. Zwölf Wochen vor der Wahl konnten Union und FDP zusammen auf 50 Prozent der Wähler hoffen. Rot-Grün lag weit zurück und holte den Rückstand im Wahlkampf noch auf. 2005 lag die Union zwölf Wochen vor der Wahl 17 Prozentpunkte vor der SPD, Schwarz-Gelb hatte bereits damit begonnen, die Ministerposten zu verteilen. Aber es kam anders. Mit einem aggressiven und polarisierenden Wahlkampf kämpften sich die Sozialdemokraten angeführt von Kanzler Schröder aus dem Stimmungstief.

Am Wahltag lag die SPD nur noch einen Prozentpunkt zurück. Hätte der Wahlkampf vor acht Jahren noch eine Woche länger gedauert, Merkel hätte den riesigen Vorsprung wohlmöglich noch ganz verspielt und wäre nie Kanzlerin geworden. Doch statt einer bürgerlichen Regierung blieb ihr nur die Große Koalition. Nur 2009 tat sich im Wahlkampf nichts, die Wahl ging fast exakt genau so aus, wie die Meinungsforscher Anfang Juli prognostiziert hatten. Merkel gewann unspektakulär, die FDP profitierte von der Großen Koalition und die SPD stürzte in der Wählergunst ab.

Nur spricht wenig dafür, dass sich 2005 in diesem Jahr wiederholen und die Kanzlerin mit ihrer Strategie der asymmetrischen Demobilisierung noch einmal Erfolg haben wird. Im Gegenteil spricht viel dafür, dass es in diesem Jahr anders kommt. Die Stimmung in der Bevölkerung ist alles andere als stabil, jeder dritte Wähler weiß noch nicht, welche Partei er am 22. September wählen wird. Die Oppositionsparteien können aller Voraussicht nach mehr von den unentschiedenen Wählern profitieren als die Regierungsparteien.

Erstens wird Merkel in der öffentlichen Meinung über-, Steinbrück hingegen unterschätzt. Viele Wähler vertrauen der Kanzlerin, haben aber wenig Zutrauen in die schwarz-gelbe Bundesregierung. Merkel wird es im Wahlkampf kaum gelingen, sich von der schlechten Performance ihres Kabinetts vollkommen abzukoppeln. Steinbrück hingegen hat noch jede Chance mit einem beherzten Wahlkampf sein schlechtes Image zu korrigieren.

Hinzu kommt zweitens: Die CDU hat ihr Wählerpotenzial ausmobilisiert, Luft nach oben gibt es kaum. Sie wird aber in der Endphase des Wahlkampfes noch taktische Wähler an die FDP abgeben. Je größer die Gefahr ist, dass die Liberalen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnten, desto mehr werden dies sein. Die SPD hingegen hat ihr Potenzial längst noch nicht ausgeschöpft, sie kann, dies hat sie 2002 und 2005 gezeigt, im Wahlkampf noch einiges reißen.

Drittens schadet die Es-ist-ja-schon-alles-entschieden-Stimmung vor allem CDU und CSU. Denn diese könnte dazu führen, dass manche unzufriedene Unions-Wähler am Wahltag zuhause bleiben. Oder gar von der konservativen Fahne gehen. Profitieren könnte davon die Protestpartei „Alternative für Deutschland“. Die AfD ist die große Unbekannte im Wahlkampf, das Thema Euro und die milliardenteure Krisenpolitik der Kanzlerin haben vor allem im bürgerlichen Lager enorme Sprengkraft, vor allem dann, wenn es an der Eurorettungsfront im Sommer Krisenmeldungen gibt. Selbst wenn die AfD nicht in den Bundestag kommt, könnte sie Union und FDP wahlentscheidende Stimmen abnehmen.

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Auch neben dem Euro gibt es genug Themen, die den Wahlkampf aufmischen können. Die stockende Energiewende zum Beispiel und die soziale Spaltung der Gesellschaft, auch die Drohnen-Affäre des Verteidigungsministers ist noch nicht ausgestanden. Ein Untersuchungsausschuss Mitten Wahlkampf ist für die Regierung gefährlich. Selbst der amerikanische Datenschutzskandal könnten in den deutschen Wahlkampf schwappen, schließlich liegt der Verdacht nahe, dass die deutschen Geheimdienste nicht nur von der amerikanischen Datensammelwut profitiert, sondern auch davon gewusst haben.

Viertens hat Peer Steinbrück dann noch einen entscheidenden Joker: das TV-Duell am 1. September, das von vier Fernsehanstalten parallel übertragen wird und bei dem voraussichtlich jeder dritte Wähler live zuschauen wird. Dass der SPD-Kanzlerkandidat redegewandter und schlagfertiger ist als die Kanzlerin, hat er nicht zuletzt in der vergangenen Woche in der Bundestagsdebatte gezeigt.

Nichts ist also entschieden. Vieles spricht dafür, dass der Wahlkampf spannender wird, als es derzeit den Anschein hat. Genauso viel spricht allerdings dafür, dass es am 22. September keinen eindeutigen Wahlsieger geben wird. Denn noch unwahrscheinlicher als ein schwarz-gelber Wahlsieg ist ein Erfolg von Rot-Grün. Im Fünf-Parteien-System wird es die Ausnahme bleiben, dass zwei Parteien die Regierung stellen können.

Richtig spannend könnte es somit nach der Bundestagswahl werden, wenn die Schlacht um die Macht in die Verlängerung geht. Wenn angesichts unklarer Mehrheitsverhältnisse jeder mit jeden sondieren wird, welche Regierungsmehrheit möglich ist. Dass sich am Ende wie 2005 Union und SPD zur Großen Koalition zusammentun, ist unwahrscheinlich. Zu groß sind schon jetzt die Widerstände in der SPD. Zu groß ist die Angst der Sozialdemokraten, als Juniorpartner der Union weiter marginalisiert zu werden. Die Frage wird nach der Wahl eher sein, ob CDU und CSU den Grünen ein Angebot macht, bei dem diese nicht Nein sagen können. Oder ob es Rot und Grün gelingt die FDP davon zu überzeugen, dass Opposition Mist ist. Nicht ausgeschlossen, dass die Suche nach einer neuen Regierung länger dauert als der Wahlkampf und am Ende an der Spitze einer Ampelregierung jemand Kanzler wird, dem es derzeit niemand zutraut: Peer Steinbrück. Es sage niemand, die Wahl ist schon entschieden.

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