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Abschaffung des Paragraphen 166 - Gotteslästerung ist ein Menschenrecht

Kolumne Grauzone: Der Blasphemie-Paragraph gehört abgeschafft. Der Wunsch von Konservativen, die Strafen für Gotteslästerung im Gegenteil noch zu verschärfen, geht ohnehin ins Leere: Denn er beruht auf der falschen Annahme, der Paragraph 166 schütze religiöse Gefühle

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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Pluralistische Gesellschaften sind anstrengend, keine Frage. Man muss ertragen, dass andere Menschen einen anderen Geschmack haben, andere Ansichten und andere Moralauffassungen. Besonders gemeine Zeitgenossen machen sich sogar über den Lebensstil anderer lustig oder ziehen in den Schmutz, was diesen lieb und teuer ist. Das nervt und kann verletzend sein.

So richtig empfindlich reagieren Menschen, wenn ihr religiöser Glaube, dessen Symbole oder Institutionen angegriffen werden. Das ist zunächst nicht verwunderlich. Denn für viele Menschen ist Religion nach wie vor das, „was uns unmittelbar angeht“, wie es der protestantische Theologe Paul Tillich einmal formulierte. Und selbst für diejenigen, die es weniger existentialistisch sehen, ist jeder Angriff auf ihre Religion immer auch eine Attacke auf die eigene Kultur, auf Traditionen oder wertvolle Erinnerungen.

CSU will Blasphemie-Paragraph sogar verschärfen


Doch in der westlichen Welt hat sich zum Glück die Überzeugung durchgesetzt, dass Religion Privatsache ist. Private Meinungen oder Vorlieben bedürfen keines besonderen Schutzraumes.

Es ist daher konsequent und folgerichtig, wenn anlässlich des Anschlages auf „Charlie Hebdo“ der FDP-Vorsitzende Christian Lindner in der Neuen Osnabrücker Zeitung die Streichung des „Blasphemie“-Paragraphen forderte, ebenso übrigens wie der Leiter des Kirchenrechtlichen Institutes der EKD, Hans Michael Heinig.

Doch manchmal ist die viel beschworene Zivilgesellschaft schneller als die Politik. Schon am 8. Januar – am Tag nach den Anschlägen in Paris – hatte Michael Schmidt-Salomon, Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, eine Petition zur Abschaffung des Blasphemie-Paragraphen im Deutschen Bundestag eingebracht. Diese ist seit gut einer Woche auf der Internetseite des Bundestages einzusehen und benötigt bis zum 17. Februar 50.000 Unterschriften, damit Schmidt-Salomon in öffentlicher Sitzung angehört werden kann.

Die Reaktionen von konservativer Seite kamen prompt: Im Gespräch mit der Welt drehte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Stephan Mayer (CSU) den Spieß um und plädierte für ein höheres Strafmaß: „Eher sollte über die Anhebung des Strafrahmens gesprochen werden als über eine Abschaffung des §166 StGB.“ Und in der FAZ konnte Christian Hillgruber, Professor für Öffentliches Recht in Bonn, der Versuchung nicht widerstehen, unter dem Deckmäntelchen der Integrationsdebatte eine Verschärfung des Blasphemie-Paragraphen zu fordern.

Im Zweifelfall definieren Radikale den öffentlichen Frieden


Hillgruber stört sich massiv an der liberalen Ausrichtung des Paragraphen. Der stellt nämlich nicht Gotteslästerung unter Strafe, sondern eine Beschimpfung religiöser oder (!) weltanschaulicher Bekenntnisse, „die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“.

Kurz: Paragraph 166 schützt weder Götter noch religiöse Empfindungen, sondern allein den öffentlichen Frieden. Ich darf die Überzeugungen von Katholiken, Protestanten, Juden und Muslimen, von Atheisten, Polytheisten und Esoterikern lächerlich machen – solange dabei der öffentliche Friede gewahrt bleibt. Und hier liegt das Problem.

Denn wer bitteschön legt fest, wann der öffentliche Friede nicht mehr gewahrt ist? Im Zweifelfall sind es die Radikalen, die Fundamentalisten und die Extremisten. Denn sie sind es, die sich andauernd provoziert fühlen und beleidigt – und sei es wegen einer Seife mit Moschee-Aufdruck.

Erlassen wurde Paragraph 166 das erste Mal im Reichsstrafgesetzbuch von 1871, das letzte Mal reformiert 1969. Seitdem hat sich das religionssoziologische Umfeld erheblich verändert. Das Christentum spielt für die meisten Menschen hierzulande kaum noch eine Rolle, stattdessen wird unsere Gesellschaft zunehmend multireligiös.

Der Paragraph 166 wird seiner Intention unter diesen Bedingungen nicht mehr gerecht. Er ist zum Schutzparagraphen für Fanatiker geworden, zu einem Vehikel, mit dessen Hilfe Fundamentalisten und Glaubensirre jeglicher Couleur ihren Hass auf alles rechtfertigen können, was ihnen gegen den Strich geht.

Die Konsequenz: Der Paragraph 166 gehört abgeschafft. Und zwar umgehend!

Gefühle genießen keinen besonderen Schutz


Aber, könnte man argumentieren, genießen nicht religiöse Gefühle auch in freiheitlichen Gesellschaften einen gewissen Schutz? Antwort: Nein, den genießen sie nicht.

Keine Frage, Gefühle machen unsere Identität aus, unsere Persönlichkeit. Und was wäre ein Leben ohne Freude, Glück oder Liebe? Genau deshalb ist es so schmerzlich, wenn andere sich über etwas lustig machen, was einem selbst sehr viel bedeutet. Doch ein ernst zu nehmender, reifer Charakter muss das aushalten können.

Wohl gemerkt: Es ist kein Zeichen guter Erziehung, andere emotional zu verletzen. Doch einen juristischen Schutz dürfen Gefühle nicht genießen. Das liegt auch daran, dass sie eben Gefühle sind: unberechenbar und irrational. Sie zu schützen, würde die gesellschaftliche Ordnung der Willkür ausliefern.

Religiöse Gefühle wiederum sind keine Gefühle Deluxe. Sie unterscheiden sich nicht prinzipiell von den Gefühlen zum Lieblingsverein oder zum Lieblingsstar. Religiöse Gefühle unter Artenschutz zu stellen, ist Weltanschauungskitsch der gehobenen Art.

Zudem verkennt dieses Anliegen vollkommen unser eigentliches Problem: Es gilt nicht, religiöse Gefühle vor der Gesellschaft zu schützen. Die letzten Jahre haben uns eindrucksvoll gezeigt, dass es sich umgekehrt verhält. Also weg mit dem Paragraphen 166!

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