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Bundesdatenschützer - Schaarmützel in der Friedrichstraße

Nach zehn Jahren scheidet Bundesdatenschützer Peter Schaar im November aus dem Amt aus. Aus diesem Anlass war ein kluges, ausgewogenes Porträt geplant. Aber wie das so ist mit Plänen ...

Autoreninfo

Christophe Braun hat Philosophie in Mainz und St Andrews studiert.

So erreichen Sie Christophe Braun:

Frühling in Berlin: Endlich twittern nicht mehr bloß Bundestags-Hinterbänkler, Hauptstadtjournalisten und Justin Bieber, sondern auch die Vögel. Und das ist ein gutes Zeichen: Denn die Vögel denken dabei ans Liebemachen.

Ich bin unterwegs zu Peter Schaar. Als Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit ist Schaar so etwas wie der Lordsiegelbewahrer der Personendaten. Nach zehn Jahren endet im November seine zweite – und letzte – Amtszeit. Grund genug für ein ausführliches Gespräch. Dazu habe ich zwei Dutzend Fragen vorbereitet. Zum Beispiel: Ist Markus Lanz wirklich so? Oder: Wie oft googeln Sie sich selbst?

Unterwegs genehmige ich mir einen schnellen Espresso im Stehen. Die Augen der Barista sind unter ihren meterlangen Wimpern kaum auszumachen. Ich denke: Ein Wort, nur ein Wort – und ich rücke sofort meine personenbezogenen Daten heraus. Aber: Sie sagt nichts. Arbeitshypothese: Nicht alle personenbezogenen Daten sind akut schutzbedürftig.  

Das Büro des Bundesbeauftragten befindet sich in der Friedrichstraße, wo alle sitzen, die wichtig sind und nur darauf warten, interviewt zu werden. Zum Beispiel die Start-up-Gründer. Vermutlich sitzt in diesem Moment der Gründer und CEO von, sagen wir, mymayonnaise.de, in seinem kleinen, fensterlosen Büro und und ruft der Sekretärin zu: „Hat schon jemand angerufen wegen eines Interviews?“ Und die Sekretärin, die eigentlich gerade damit beschäftigt ist, sich die Nägel zu lackieren, ruft zurück: „Nein, Chef! Aber es kann jeden Moment so weit sein!“

Nettes Gebäude jedenfalls. Schön hoch. Viel Glas. Mit Rezeptionist! Typ: Germanistikstudent im 34. Semester.

„Hi“, sage ich, „ich habe einen Termin bei Peter Schaar.“

„Welche Firma?“

Den Blick kenne ich: So gucken Doktoranden, wenn Zweitsemester eine Frage stellen.

„Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit!“

„Ach so.“ Der Portier, jetzt angeödet: „Erster Stock links.“

Genau zweiundzwanzig Sekunden verbringe ich auf der glatten, kühlen Couch im Vorzimmer. Dann steht die Assistentin vor mir.

„Wenn Sie mir bitte folgen wollen …“

Ehe ich noch eine kritische Nachfrage stellen kann, geht sie schon los.

Der Bundesbeauftragte für usw. sitzt hinter einem aufgeräumten Schreibtisch. Von der Wandkommode aus guckt ihm eine Pinguinfigur über die Schulter. Schaars Blick: Freundlich, neugierig. Der Blick des Pinguins: Eher verdutzt. Außerdem an der Wand: Drei großformatige Fotografien mit Hafenszenen. Stimmt, denke ich, Schaar hat lange in Hamburg gelebt. Der Bundesbeauftragte springt auf und gibt mir die Hand. Wir setzen uns. Aufnahmegerät an. Los geht’s.

Meine Fragen entpuppen sich als Rohrkrepierer. Einige stelle ich gar nicht erst. Zum Beispiel die nach Markus Lanz. Fragen nicht zu stellen ist ok, wenn man einen Plan B hat. Hat man keinen Plan B, kommt man an dieser Stelle leicht ins Schwitzen und überdenkt die eigenen Berufspläne.

Noch schlimmer ist es, wenn die Assistentin des Interviewten neben einem sitzt, mitleidig lächelt und sich in einem fort Notizen gemacht. Das macht mich ganz kirre. Was zum Teufel tut sie da? Notiert sie meine Fragen – als Smalltalk-Thema für die Teeküche? Zeichnet sie mich im Profil? Spielt Sie Interviewfragen-Bingo? Ein dünnes Schweißrinnsal läuft über meinen Rücken. Reiß dich zusammen, denke ich, und frage drauflos.

„Wie beurteilen Sie die Arbeit der Bundesregierung in puncto Datenschutz?“

Das ist eine dankbare Frage. Schön allgemein, da kann er sich austoben. Schaar ist seit den Siebzigern bei den Grünen. Bei seiner Erstwahl 2003 wurde er von den Ökos aufgestellt und gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP durchgeboxt. 2008 wurde er dann zwar mit Stimmen aus dem schwarz-gelben Regierungslager wiedergewählt. Aber ein Freund der Bande ist er deshalb noch lange nicht.

„Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag bestimmte Vorhaben angekündigt“, sagt Schaar. „Davon hat sie nichts umgesetzt. Bis auf einen Punkt.“

Kunstpause.

„Aber den hat sie auch nur sehr unbefriedigend umgesetzt.“

Linker Haken, rechter Haken, knock-out.

Welcher Punkt ist das, den die Regierung immerhin in unbefriedigender Weise gelöst hat?

„Das ist die Stiftung Datenschutz. Die ist jetzt zumindest auf den Weg gebracht worden.“

Die Stiftung Datenschutz soll ein bundesweites Datenschutzsiegel vergeben. Nach jahrelangen Querelen wurde sie im Januar gegründet.

„Hat lange genug gedauert.“, bemerkt Schaar. Mit dem Ergebnis ist er alles andere als zufrieden:

„In den Gremien haben die Wirtschaftsvertreter ein ganz deutliches Übergewicht. Fünf Vertretern von Datenschutz- und Verbraucherschutzseite stehen siebzehn Vertreter von Wirtschaftsverbänden gegenüber. Das ist nicht ausbalanciert.“

Fünf zu siebzehn ist nicht ausbalanciert?! Sind wir hier beim Diplomatenfrühstück? Ein Hohn ist das! Wenn ich einen Bleistift in der Hand hätte – in diesem Moment würde er mit einem trockenen krack! zerbrechen. Dann wäre es das gewesen mit der journalistischen Objektivität.

Contenance, denke ich. Weiterfragen.

„Wo bescheinigen Sie der Bundesregierung Totalversagen?“

Schaar zögert nicht lange: „Am schmerzlichsten finde ich, dass der Beschäftigtendatenschutz ad acta gelegt wurde. Der ohnehin nicht allzu ambitionierte Regierungsvorschlag wurde im Rahmen der Koalitionsverhandlungen verschlechtert. Schließlich hagelte es Kritik von allen Seiten und das Projekt wurde nicht weiter verfolgt.“

Bitte?! Sind wir im Tollhaus? Die Regierung macht einen halbgaren Vorschlag, verwässert ihn in endlosen Verhandlungen – und zieht ihn dann komplett zurück, wegen ein bisschen Kritik? Zumal die Frage des Beschäftigtendatenschutzes im Zuge der Überwachungsskandale bei Telekom, Lidl und Co. ziemlich dringend geworden ist.

Wahrscheinlich waren die Kabinettsmitglieder als Kinder immer furchtbar stolz, wenn die Erzieherinnen gesagt haben: „Der Stefan war zwar am schnellsten – aber eigentlich seid ihr alle Gewinner!“ Solche Kinder können Kritik nicht ab. Als ich klein war, haben wir bei diesen Gelegenheiten zähneknirschend auf einen Moment gewartet, in dem wir es Stefan heimzahlen konnten. Mit Zinsen.

Die politischen Themen schlagen mir aufs Gemüt. Zeit für was Netteres.

„Sie kannten sich mal ganz gut mit Computerspielen aus, oder?“

Der Bundesbeauftragte strahlt. Gute Frage.

Anfang der Achtziger sei das gewesen: „Da habe ich auch Computerspiele entwickelt. Naja, sehr einfache, ein bisschen wie Pacman, mit verschiedenen Ebenen und Durchgängen und so.“

Tetris und Sim City hat er auch gespielt. Ich würde ihn gerne nach dem Tag des Tentakels fragen (ob er weiß, wie man am Ende dem Tentakel mit dem Schrumpfstrahler entkommt). Aber er fährt schon fort:

„Ich habe auch mal ein Textverarbeitungssystem programmiert. Der einzige, den ich je dafür interessiert habe, war ein Freund. Er hat dann seine Diplomarbeit auf meinem Rechner getippt. Eines Tages kam ich zurück von der Arbeit und er saß völlig geknickt vor dem PC. Irgendwie hatte sich das Programm verabschiedet.“

Die Arbeit konnte noch gerettet werden. Das Programm hat er danach niemandem mehr angeboten.

Meine Stimmung ist mittlerweile wieder bei „tausendjährige buddhistische Schildkröte auf Valium“ angelangt. Da geht wieder was Politisches. Wo wir’s gerade von den Achtzigern haben:

„Wie wurde das Thema Datenschutz in den Achtzigern wahrgenommen?“

„Bingo!!“, schreit die Assistentin und springt auf. Schaar und ich schauen uns verdutzt an. Dann fangen wir zaghaft an zu klatschen. Die Sekretärin kommt jubelnd aus dem Vorzimmer. Auf ihren zierlichen Händen balanciert sie ein Tablett mit Champagnerflöten. Irgendjemand dreht „Bongo Bong“ von Manu Chao auf. Wir tanzen. Musik! Gute Laune! Stimmung!

Leider war es in Wirklichkeit ganz anders.

Die Assistentin schweigt immer noch und kritzelt irgendwas auf ihren Zettel. Der Bundesbeauftragte räkelt sich in seinem Stuhl. Ich denke: Vielleicht hätte ich Klangtherapeut werden sollen.

„Datenverarbeitung“, erklärt Schaar, „wurde in den Achtzigern wahrgenommen wie ein am Horizont heraufziehendes Gewitter. Manche sahen darin bösen Willen – die befürchteten, dass da ein Überwachungsstaat entstehen könnte. Damals wurde ja auch intensiv diskutiert, ob man Computer überhaupt benutzen darf. Auch bei den Grünen. Der Chaos Computer Club hat für die Bundestagsfraktion darüber sogar ein Gutachten erstellt.“

Zu welchem Ergebnis das Gutachten gekommen ist, habe ich leider vergessen.

Ein Blick auf die Uhr. Der nächste Termin wartet. Noch eine Frage nach seiner Zukunft: Ob er schon konkrete Pläne hat für die Zeit nach dem Amt? Schaar schüttelt den Kopf. Keine Pläne, aber durchaus Interesse, sich weiter mit dem Thema Datenschutz zu beschäftigen – nur in einer anderen Position. Dass der Bundesdatenschutzbeauftrage nur zweimal amtieren darf, befürwortet er ausdrücklich.  

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