Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Neidet er ihm den Parteivorsitz? Brüderle (r.) könnte es jedenfalls besser als Rösler (l.), glaubt Politikexperte Koschmieder

FDP-Führungskrise - „Brüderle müsste Parteivorsitzender werden“

Falscher Mann, falsches Motto: FDP-Parteichef Philipp Rösler kann die neue liberale Leitidee „Wachstum“ nicht richtig verkaufen, glaubt der Politikwissenschaftler Carsten Koschmieder von der Freien Universität Berlin. Dies könne nur ein Vorsitzender namens Rainer Brüderle

Herr Koschmieder, FDP-Parteichef Philipp Rösler hat Wachstum als neues Leitmotto für die Liberalen ausgerufen. Ist es das, was die FDP jetzt brauchte?
Meiner Meinung nach wäre die Erfolg versprechendere Strategie gewesen, wenn er den mitfühlenden Liberalismus irgendwie mit Leben gefüllt hätte. Darüber hatten Rösler, Lindner und Bahr ja schon länger gesprochen. Man müsste also sagen, wir machen nicht nur Steuersenkung und Wirtschaft, sondern setzen uns für eine Idee ein, die schon der US-Philosoph John Rawls formuliert hatte: Gerechtigkeit aus einer liberalen Perspektive.

Und wie soll die aussehen?
Rawls würde eher von „Chancengleichheit“ sprechen. Man darf beispielsweise nicht aufgrund seiner Familienherkunft bevorzugt werden. Das wäre ungerecht. Also sollte man die Chancen, zum Beispiel im Bildungssektor, für alle gleich gestalten, ohne dass – und das käme ja auch der FDP entgegen – am Ende zwingend alle Abi machen müssen. Die Liberalen könnten sich etwa für kostenfreie und ausreichend finanzierte Grundschulen und Kindergärten einsetzen und dafür an den Unis mehr Studiengebühren erheben. Ich will jetzt keine liberale Programmatik ausarbeiten, aber man könnte eine weniger neoliberal klingende Politik auf Grundlage von liberalen Überzeugungen machen.

Hat sich Rösler von der Ausformulierung seines „mitfühlenden Liberalismus“ nun zurückschrecken lassen? Denn einerseits hat er mit dem Rücktritt Lindners die Unterstützung seines Mitstreiters verloren – und andererseits wird sein parteiinterner Widersacher, Fraktionschef Rainer Brüderle, der wiederholt gegen den „Säuselliberalismus“ Stimmung gemacht hat, immer mächtiger.
Vielleicht glaubt Rösler, dass er damit nicht punkten kann. Im vergangenen Jahr hat es offensichtlich nicht funktioniert; die FDP ist bei zwei Prozent gelandet. Möglicherweise haben auch die Parteistrategen die Führung vor einem Kurs des mitfühlenden Liberalismus gewarnt. Denn diese Themen sind schon von den Grünen und der SPD besetzt. Wenn sich die FDP in diese Richtung entwickelt, könnte sie ihr Stammklientel verlieren, ohne neue Wähler hinzu zu gewinnen.

Also lieber weiter Wirtschafts- statt Sozialliberalismus.
Ja. Das wäre die zweite Variante – wirklich Wirtschaftsliberalismus für mittelständische Unternehmen zu machen. Das wird der FDP sicher nicht noch einmal die 14 Prozent der vergangenen Wahl bescheren. Aber vielleicht kommt sie damit auf sechs Prozent und fliegt nicht aus dem Bundestag. Sie könnte den Wahlkampf mit der Drohung vor einem Linksruck der CDU kombinieren. Und sie könnte sagen: „Nur mit der FDP kann man die große Koalition oder – Gott bewahre – eine rot-grüne Koalition verhindern.“ Das Problem ist, dass dafür Brüderle Parteivorsitzender werden müsste und zwar möglichst bald. Rösler kann diese Politik nicht sinnvoll verkaufen.

Weil er immer noch als der nette Herr Rösler gilt?
Ja. Und weil die Leute, die das betrifft, viel Vertrauen in Brüderle haben. Rösler ist in diesem Zusammenhang eher unbekannt. Er ist zwar Wirtschaftsminister, aber nicht profiliert als Ordoliberaler. Wenn man mit dieser Strategie Wahlkampf führen will, müsste man auch eher so reden wie Brüderle.

Wie sicher ist Röslers Posten als Parteichef dann noch – angesichts der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein im Mai?
Wenn die FDP in Kiel auch rausfliegt, wird sich die Debatte um den Vorsitzenden weiter zuspitzen. Es kann schon sein, dass Rösler mit der neuen Strategie ein paar Prozentpunkte dazu gewinnt. Aber in der Partei würde wohl – nicht ganz zu Unrecht – die Überzeugung wachsen, dass diese Strategie mit Brüderle besser laufen würde.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum wir überhaupt noch eine liberale Partei brauchen.

Nun ist auch die Jamaika-Koalition im Saarland geplatzt. Wie tief ist die FDP in der Misere?
Diese Partei steckt in einer existenziellen Krise. Zwar bleiben ihr selbst bei einem Scheitern bei den nächsten Bundestagswahlen noch viele Mitglieder und beispielsweise kommunale Mandatsträger, aber dass die Partei kurz davor steht, politisch – erstmal – irrelevant zu sein, ist relativ offensichtlich.

Die saarländische Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer hatte Merkel über ihren Schritt in Kenntnis gesetzt, und ihn ausgerechnet am Dreikönigstag der FDP bekannt gegeben. Welche Auswirkungen wird das auf die Bundeskoalition haben?
Wahrscheinlich kaum welche. Zwar haben sich führende Liberale verärgert gezeigt über den Zeitpunkt, und vor fünf Jahren hätte man vielleicht noch gesagt, so etwas ist ein schwerer Schlag für die Regierung. Aber das ist nun schon der zehnte Tiefschlag für Merkel, da macht das auch nichts mehr aus. Weder die Union noch die FDP-Abgeordneten haben ein Interesse daran, dass die Koalition zerbricht. Also regieren sie weiter. Auch die Bundesratsmehrheit ist längst weg – und Jamaika zählte ja nicht ins schwarz-gelbe Lager.
Im Übrigen kaufe ich der Ministerpräsidentin ihr Argument, die FDP sei Schuld am Platzen der Koalition, tatsächlich ab. Das ist ja ein heilloses Chaos im Saarland. Der Fraktionsvorsitzende Christian Schmitt ist jetzt in der CDU; die Führungspersonen verklagen sich gegenseitig. Und einen neuen Fraktionsvorsitzenden finden sie nicht.

Warum brauchen wir heute überhaupt noch eine liberale Partei?
Eine vernünftige FDP wirkt im Parteiensystem als notwendiges Korrektiv. Sei es auf der wirtschaftsliberalen Seite, sei es bei Bürgerrechten. Nach der rechtsextremen Mordserie riefen etwa alle nach Vorratsdatenspeicherung und mehr Überwachung – doch die FDP hielt dagegen. Ein konservativer Wähler fände es sicher auch nicht wirklich gut, wenn es plötzlich keine SPD mehr gäbe. Liberale Positionen sollten meiner Meinung nach im Parteiensystem vertreten werden. Die Frage ist, sollten sie mit so einer Partei auf diese Weise vertreten werden?

Die mediale Debatte um den Neonazi-Terror wurde von Wulffs Affären überlagert. Wird die Krise der FDP nun die Debatte um die Zukunft des Bundespräsidenten beenden?
Eher das Gegenteil wird wohl eintreten: Wulff wird ein bisschen Aufmerksamkeit von der FDP abziehen. Die Krise der FDP ist nichts Neues und das Saarland – da ist die Aufmerksamkeitsspanne kurz.

Wie geht es bei Wulff aus Ihrer Sicht weiter?
Wäre Wulff Postminister in Schleswig-Holstein, hätte ihm der Ministerpräsident schon vor Weihnachten gesagt: „Tritt doch bitte zurück und erzähl etwas über deine Familie, die du schützen und über das Amt, das du retten willst.“ Dann hätte er eine ergreifende Abschiedsrede gehalten, gesagt „Es war schlichtweg Liebe“ und wäre zurückgetreten. Da er aber Bundespräsident ist, kann ihn niemand zwingen zurückzutreten. Er ignoriert alle Proteste einfach, macht weiter und erfreut sich seines Amtes.
Ihm kommen auch die politischen Befindlichkeiten zugute: CDU und FDP, die Wulff ins Amt gebracht haben, wollen natürlich nicht schon wieder den Rücktritt eines Bundespräsidenten. Die SPD aber auch nicht. Denn einerseits kann sie als generell staatstragende Partei sagen, dass ihr das Wohl des Staates am Herzen liege. Und andererseits etwas egoistischer: Wenn Wulff seine Amtszeit noch beendet, kann die SPD in drei Jahren, wenn sich die Mehrheiten geändert haben, ihren eigenen Kandidaten durchbringen. Wenn Wulff jetzt aber hinschmeißt, wird womöglich ein neuer CDU-Kandidat gewählt.

Herr Koschmieder, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Petra Sorge.

Foto: Freie Universität Berlin (privat)

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.