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BND-Kläger Niko Härting - „Der BND hat eine Blankovollmacht fürs Abhören“

Niko Härting nimmt es mit dem Bundesnachrichtendienst auf: Der Berliner Anwalt klagt vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen die verdachtslose Datensammlung. Im Cicero-Interview spricht er über das blinde Vertrauen in die Dienste, richterliche Trägheit und die Unmöglichkeit, Beweise vorzubringen

Autoreninfo

Beatrice Hanssen ist Autorin, lehrte an der Harvard-Universität und veröffentlichte u.a. Critique of Violence.

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Der Mann, der es mit den Geheimdiensten aufnimmt, hat sein Büro in der Berliner Chausseestraße. Ein schmucker Jugendstilbau, die Decke ist mit Stuck verziert. Nicht weit von hier erstreckt sich die gigantische BND-Zentrale über 10 Hektar.

Der Jurist geht nun schon seit drei Jahren gegen den BND vor. Ein halbes Jahr vor Snowdens Enthüllungen klagte er gegen die massive Fernmelde- und E-Mail-Überwachung. Das Leipziger Bundesverwaltungsgericht wies seine Beschwerde zwar nach einer sieben Stunden langen Verhandlung ab. Härting ließ sich dennoch nicht entmutigen: Im Dezember reichte er eine neue Klage ein. Darin geht es um „VerAS“ – eine Datenbank und ein Verkehrsanalyse-System, das die Verbindungen zwischen einem Verdächtigen und seinen Kontakten bis zum fünften Grad speichert. Die Leipziger Richter werden spätestens Anfang 2016 darüber verhandeln.

Herr Härting, was war die Hauptbeschwerde Ihrer ersten Klage gegen den BND?
Es geht um die strategische Fernmeldeüberwachung, die der BND betreibt und die ihren Ursprung in der Nachkriegszeit hat. Meine Klage wandte sich dagegen, dass diese verdachtslose Überwachung in einem nicht überschaubaren Übermaß erfolgt.

[[{"fid":"64993","view_mode":"copyright","type":"media","attributes":{"height":348,"width":345,"style":"height: 161px; width: 160px; margin: 5px; float: left;","class":"media-element file-copyright"}}]]Die Richter wiesen Ihre Klage ab. Ihre Behauptung, dass Ihre Grundrechte beeinträchtigt wurden, sei „abstrakt“ geblieben. Die Beweislast, dass Sie von der E-Mail-Überwachung betroffen waren, lag bei Ihnen, auch wenn die vom BND verübten Massensammlung aus den Akten hervorging.
2010 waren 37 Millionen E-Mails beim BND als potenziell interessant eingestuft, bearbeitet und gelesen worden. Es ist nicht bekannt, dass irgendjemand von den Betroffenen davon erfahren hat. Betroffene können also gar nicht nachweisen, dass sie betroffen sind. Man kann das nur abschätzen. Da ich viel ins Ausland per E-Mail korrespondiert habe, ist es wahrscheinlich, dass da eine oder mehrere E-Mails dabei waren. Nachweisen konnte ich das nicht, weil man dies ganz schlau geregelt hat: Man hat den BND berechtigt und verpflichtet, die Mails sofort zu löschen. Das begründet man damit, dass so dem Datenschutz am besten gedient sei. Das ist einerseits richtig, aber andererseits vereitelt man damit den Rechtsschutz.

Trotzdem scheiterte Ihre Klage nicht sofort, sondern es folgten lange Verhandlungen.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte große Mühe mit dem Verfahren. Eine solche Klage eines Betroffenen gab es noch nie. Es war hin und her gerissen: Man muss kritisch fragen dürfen, ob sich der BND an Recht und Gesetz hält. Deswegen haben sie auch sieben Stunden lang verhandelt. Andererseits war ihre etwas egoistische Sorge, dass sie eine Lawine von weiteren Klagen möglicher Betroffenen auslösen könnten. Der eigene Rock war ihnen schließlich am nächsten: Sie haben für diese Klage und alle zukünftigen Klagen den Nachweis der eigenen Betroffenheit verlangt. Aber früher oder später wird das zum Bundesverfassungsgericht kommen, wenn nicht in meinem Verfahren, dann in einem anderen.

In manchen Ländern gibt es Popularklagen, wo die unmittelbare Betroffenheit des Klägers keine Rolle spielt. Wäre es nicht an der Zeit, dass man auch hier in Deutschland Popularklagen in diesem Bereich möglich machen würde?
Im Umweltschutz haben wir die schon lange. Die Umweltschutzverbände haben die Möglichkeit, Popularklagen einzureichen. Bei den Bürgerrechten gibt es das nicht. Die Wächter über die Bürgerrechte sind eigentlich diejenigen, die Klagerechte beim Bundesverfassungsgericht haben, etwa die Fraktionen des Bundestages.

Im Gerichtssaal tauchte damals eine interessante Akte auf. Sie beinhaltete eine lange Liste von 196 Ländern, auch EU-Ländern, in denen der BND Kommunikationsüberwachung betreibt.
Ich bin ganz stolz drauf, dass das durch das Leipziger Verfahren überhaupt bekannt geworden ist. Bei internationaler Kommunikationsüberwachung denkt man an Afghanistan, Pakistan, vielleicht noch an Russland. Eben an schwierige Regionen. Tatsächlich waren aber die USA auf der Liste und fast alle EU-Länder. Polen fehlte. Wenn man das visualisiert, das hat die Süddeutsche Zeitung damals gemacht, dann sieht man, dass es weltumspannend ist.
Diese Gebiete muss der BND alle halbe Jahre angeben. Das ist eine dicke Mappe fürs Bundeskanzleramt, dort gibt es einen Stempel – eine Blankovollmacht fürs Abhören. Die Mappe geht auch durch die G10-Kommission, die wichtiger ist als das Parlamentarische Kontrollgremium, das nur im Nachhinein ein bisschen kontrolliert.

Tatsächlich kooperiert der BND weitgehend mit der NSA bei der verdachtslosen Datensammlung. Snowden sagt: Deutsche und Amerikaner stecken unter einer Decke.
Wir wundern uns, dass die Amerikaner sich so wenig über ihre Geheimdienste aufregen, weil man offensichtlich den eigenen Geheimdienst mit anderen Augen sieht als den fremden. Es gibt auch in Deutschland sehr viel blindes Vertrauen in den BND. Interessanterweise entwickelt sich der NSA-Ausschuss zunehmend zu einem BND-Ausschuss, weil man die NSA-Mitarbeiter nicht verhören kann. Aber je mehr man die BND-Mitarbeiter und die Rechtsexperten befragt, desto mehr wird deutlich, wie fragwürdig die eigene Praxis ist.

Aus geleakten Akten geht hervor, dass der BND 220 Millionen Telefondaten pro Tag aufgreift. Das ist eine Art von Vorratsdatenspeicherung. Ihr Argument ist: Das Karlsruher Verbot der Vorratsdatenspeicherung gilt auch für die Geheimdienste.
Die Befugnisse des BND sind im BND- und im G10-Gesetz geregelt. Was aber mit den Verbindungsdaten ist – also den Metadaten, wer mit wem kommuniziert hat –, ist nirgendwo fixiert. Also darf der BND das nicht: Verbindungsdaten fallen laut Bundesverfassungsgericht unter Artikel 10, sind also durch das Post- und Fernmeldegeheimnis geschützt. Eine staatliche Stelle wie der Nachrichtendienst braucht eine Rechtsgrundlage. Die gibt es nicht, aber der BND tut es trotzdem.

Die Opposition im NSA-Ausschuss will solche Grundrechtsverletzungen künftig ausschließen. Was sollte gesetzlich geändert werden?
Das G10-Gesetz. Es ist schon auffällig, dass das seit 2001 niemand angepackt hat. Damals hatte Rot-Grün die Überwachungsbefugnisse erheblich ausgeweitet. Innenminister Otto Schily übertrug das Gesetz auch auf den leitungsgebundenen Verkehr. Seitdem werden auch E-Mails in diesen Datenstaubsauger hineingezogen. Zugleich hat man in das Gesetz hineingeschrieben, dass nur 20 Prozent der Auslandkommunikation überwacht werden dürfen. Damit wollte man den Vorwurf umgehen, man mache jetzt Totalüberwachung. 14 Jahre später gibt es keine einzige Entscheidung über das G10-Gesetz. Wir wissen auch nicht, was Karlsruhe eigentlich von diesem Gesetz hält.

Seit den verheerenden Terroranschlägen in Paris hat sich die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit weiter verschoben. Vor den Attentaten hieß es: Die Amerikaner lieben die Sicherheit, die Deutschen die Freiheit.
Das war aber eine Augenblicksaufnahme. Wir erinnern uns: In den 70er Jahren hatten wir in Westdeutschland ein ganz anderes Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit. Das war die Zeit des deutschen Herbstes – mit Antiterrorismusgesetzen und Grundrechtsbeschränkungen. Andererseits gab es auch in Amerika die Stimmen der Freiheit. Wir sind Gottseidank in den letzten 30 Jahren von Bedrohungen verschont geblieben. Die Pariser Attentate zeigen aber, dass sich die Momentaufnahme – die Freiheitsliebe – auch ganz schnell ändern kann.

Datenschützer wehren sich gegen die Vorratsdatenspeicherung. Innerhalb der Großen Koalition gibt es über die Frage Uneinigkeit. Die Opposition verlangt eine verbesserte Koordination zwischen den Sicherheitsdiensten und eine bessere Ausstattung der Polizei.
Ich kann die Argumente der Sicherheitspolitiker verstehen. Die Tatsache, dass über Verbindungsdaten Terrorakte aufgedeckt werden können, kann man nicht so einfach vom Tisch fegen. Aber dass man einfach alles speichert und dann dürfen die Behörden darauf zugreifen – so geht es natürlich nicht. Das ist das völlige Übermaß. Ich habe noch keinen überzeugenden Vorschlag für eine maßvolle Datenspeicherung gesehen. Der Europäische Gerichtshof hat da sehr enge Grenzen gesetzt.

Es gibt Vorschläge, die Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform zu machen: So würde man Geheimnisträger wie Anwälte, Journalisten oder Seelsorger ausklammern.
So diskutiert man zurzeit offenbar in den Ministerien. Eine Lösung wäre, mit Software die Telefonnummern von Geheimnisträgern auszusortieren. Das halte ich nicht für einen Grundrechtseingriff.

Auch der Bereich der gezielten Überwachung scheint mangelhaft kontrolliert zu werden. So wurden Politiker wie Bodo Ramelow oder Petra Pau von der Linken jahrelang vom Verfassungsschutz als verdächtig eingestuft und beobachtet.
Das habe ich noch nie verstanden: Warum bezahlen wir den Verfassungsschutz dafür, dass er Zeitungsartikel oder irgendetwas im Internet sammelt? Weil ein Bundestagsabgeordneter irgendwo im Verdacht steht, eine radikale Position zu haben? Das sind noch Ausläufer aus den siebziger Jahren.

Mehr Kontrolle und Transparenz könnten das Image der Geheimdienste verbessern und ihre Legitimität innerhalb des Rechtsstaates rechtfertigen. Was schlagen Sie konkret vor?
Zurzeit fehlen Anwälte auf beiden Seiten. Das ist auch etwas, das in den USA diskutiert wird: Da gibt es zur Kontrolle des Abhörens durch die NSA den FISA Court. Das ist ein Gericht, das im Geheimen tagt, und wo die NSA mit dem Gericht verhandelt. Das Gericht bestätigt – wie man hört – fast alles, was die NSA beantragt. Einen Anwalt der Bürger gibt es den Kritikern zufolge nicht. Wenn ich ein Gericht bin und ich höre nur die eine Seite, dann werde ich anders entscheiden, als wenn ich beide Seiten höre.
In Deutschland haben wir keine gerichtliche Kontrolle. Wenn der BND abhören möchte, dann geht er nicht zum Gericht, sondern zur G10-Kommission, und zum Bundeskanzleramt, alles im Geheimen. Was auch da fehlt, ist die andere Seite. Die G10-Kommission ist in der Position, dass sie zugleich der Anwalt des Betroffenen und das Gericht sein soll. Deswegen würde ich es befürworten, dass es einen Betroffenenanwalt oder einen Bürgeranwalt gibt. Seine Aufgabe müsste sein, sich die BND-Anträge zur Überwachung durch die Bürgerrechtsbrille anzuschauen und die Gegenposition zu vertreten. Besser als eine Kommission wäre, dass auch bei uns ein Gericht über diese Sachen entscheidet. Dass sie im Geheimen tagen, das wird man nicht ändern können. Sonst müsste man die Geheimdienste ganz in Frage stellen.

Gerät, wer kritisch über Geheimdienste schreibt oder gar gerichtlich gegen sie vorgeht, ins Visier der Geheimdienste?
Da darf man keine Angst haben, sonst braucht man so etwas nicht machen. Ich möchte mit meiner Klage einen Diskussionsprozess in Gang setzen. Man darf nicht alles auf die Betroffenen abwälzen. Es muss schon vorher eine Kontrolle geben. Und nicht erst nachher, wenn die Betroffenen klagen.

Das Interview führte Beatrice Hanssen. Die Autorin lehrte an der Harvard-Universität und veröffentlichte u.a. Critique of Violence.

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