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BND-Affäre - Merkel in der Defensive

Der BND-Skandal wird nun für Angela Merkel gefährlich. Um ihre Glaubwürdigkeit zu retten, hat die Kanzlerin erstmals den Nachrichtendienst zurückgepfiffen. Doch damit ist die Affäre längst nicht ausgestanden

Autoreninfo

Werner Sonne, langjähriger ARD-Korrespondent in Washington, ist der Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema, u.a.  „Leben mit der Bombe“, sowie des jüngst erschienenen Romans „Die Rache des Falken“. 

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WOW!! Der BND schränkt seine Schützenhilfe für die NSA bei der Internetüberwachung drastisch ein. Angela Merkel hat den Schuss gehört. Zum ersten Mal kamen die Einschläge so dicht, dass sie reagieren musste. Zum ersten Mal stand sie selber in der Gefahr, dass sie Verantwortung nicht mehr einfach delegieren, dass sie sich nicht wie so oft wegducken konnte. Nein, diesmal rückte ein politischer Skandal bedrohlich nah an sie heran. Die Verantwortung für die Geheimdienste und für den BND im Besonderen liegt nun einmal im Kanzleramt, und dort regiert seit 2005 Angela Merkel.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte das erkannt. Er hat mit dem Veröffentlichen seines Gesprächs mit Merkel über die NSA-Wirtschaftsspionage („Frau Merkel hat mich garantiert nicht angelogen“) klar gemacht, wer die Verantwortung trägt. Genau: Angela Merkel, die scheinbare Teflon-Kanzlerin, an der bisher alles abprallte. Plötzlich war sie da, wo sie so ungern ist – in der Defensive.

Merkels Glaubwürdigkeit beschädigt


Die Umfragen sprechen eine klare Sprache: 62 Prozent sehen die Glaubwürdigkeit Merkels beschädigt, und das meinen in einer BILD-Umfrage sogar 54 Prozent der Unionswähler, bei den Wählern der SPD sind es 77 Prozent. Klar, das ist eine Steilvorlage für die lahmenden Sozialdemokraten, der ihr Chef nicht widerstehen konnte.

Der Druck im Kessel muss also im Kanzleramt so enorm gestiegen sein, dass Angela Merkel die Flucht nach vorne angetreten hat. Sie hat ihren bisher leeren Worten („Ausspionieren von Freunden, das geht gar nicht“) nunmehr Taten folgen lassen. Das Einschränken der Internet-Ausspähung des BND für amerikanische Wünsche ist ein deutliches Signal – in Richtung ihres wankelmütiges Wählervolkes, das erstmals an seiner Kanzlerin zweifelt, aber auch in Richtung Großer Bruder. Man darf sicher sein, dass Barack Obama „not amused“ sein dürfte.

Zumal es ja noch eine Baustelle gibt, bei der sich Angela Merkel schwer tut: die Herausgabe der sogenannten Selektoren, auf deren Herausgabe aber der Bundestag besteht. Denn hier geht es wirklich an die Substanz, und zwar ganz tief. Die Übergabe der Selektoren, also der Suchbegriffe der NSA, die der BND für die Amerikaner ausspionieren sollte, an das Parlament ist extrem brisant. Die Selektoren zeigen genau, welche Ziele die NSA interessieren – bei Freund und Feind. Das ist für die Geheimdienstchefs in Washington und damit auch für das Weiße Haus ein Alptraum.

Kein deutsch-amerikanisches Verhältnis auf Augenhöhe


Die Amerikaner hier zu einer vollständigen Überlassung an den Bundestag und damit mehr oder weniger einer Veröffentlichung zu zwingen, ist ein Kraftakt, der nicht ohne Folgen für das deutsch-amerikanische Verhältnis bleiben kann. Darüber muss man sich im Kanzleramt im Klaren sein. Hier steht die Zusammenarbeit der Geheimdienste auf dem Prüfstand, auf die beide Seiten angewiesen sind – die deutsche Seite allerdings deutlich mehr als die Amerikaner. Hier immer wieder vom Verhandeln auf Augenhöhe zu sprechen, geht eben an der Realität vorbei.

Im Geheimdienstgewerbe gibt es eine Grundregel: Du kriegst nur dann etwas, wenn du auch etwas geben kannst. Danach hat sich vor allem auch der gegenwärtige BND-Chef Gerhard Schindler gerichtet, der sich intensiv darum bemüht hat, das Aufklärungspotential des Bundesnachrichtendienstes zu vergrößern – und dabei von Bundesregierung und Bundestag unterstützt wurde, die die Mittel für die Lauschaktivitäten des BND erheblich aufstockten. Sein Ziel war es, gerade gegenüber den anderen befreundeten Nachrichtendiensten ein Partner zu sein, der was zu bieten hat.

Und nun das: Vollbremsung bei der Zusammenarbeit mit der NSA!

Kooperation von NSA und BND wird wohl weitergehen


Bisher war es das (berechtigte) Mantra der deutschen Politik: In Zeiten zunehmender Terrorgefahr brauchen wir die USA mit ihren immensen Möglichkeiten bei der elektronischen Aufklärung. Selbst die Grünen-Frontfrau Katrin Göring-Eckert begann ihre Rede im Bundestag in dieser Woche mit dem Bekenntnis zu dieser Zusammenarbeit: „Ich bin überzeugte Transatlantikerin.“

Dennoch ist es richtig, endlich einmal Grenzlinien zu ziehen und das auch öffentlich zu machen – und diese Grenzen dann auch durchzusetzen. Ob und welche Konsequenzen das haben wird, muss sich erst noch zeigen.

Am Ende freilich ist das Ergebnis vorhersehbar. Die Zusammenarbeit mit den Amerikanern wird weitergehen. Weil sie weitergehen muss. Es ist der am meisten überstrapazierte, am meisten ausgeleierte Begriff in diesem Bereich, aber berechtigt ist er trotzdem: Die Kooperation mit den Amerikanern ist unverzichtbar. Diesen Satz werden wir bald schon wieder nicht nur von Angela Merkel hören. Und die Praxis der Nachrichtendienste wird dem folgen. Wetten, dass?

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