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Brauerei-Boykott - Wie Bier politisch wurde

Beim Rixdorfer Bierstreik im Jahr 1894 kämpften die Arbeiter für einen freien ersten Mai – indem sie bestimmte Biersorten boykottierten. Ein Gespräch mit dem Politologen Reinhard Wenzel

Autoreninfo

Christophe Braun hat Philosophie in Mainz und St Andrews studiert.

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Bismarck hat 1881 in einer Rede vor dem Reichstag gesagt: „Es wird bei uns Deutschen mit wenig so viel Zeit totgeschlagen wie mit Biertrinken.“
Es mag Unterschiede gegeben haben zwischen norddeutscher Bierkultur und süddeutscher Weinkultur – aber getrunken haben sie damals alle. Das war übrigens auch keine Klassenfrage.

Bei welcher Gelegenheit war das Thema Bier denn für die deutsche Politik von zentraler Bedeutung?  
Ganz sicher beim Rixdorfer Bierstreik von 1894.

[[{"fid":"53210","view_mode":"teaser","type":"media","attributes":{"height":220,"width":177,"style":"width: 120px; height: 149px; margin: 5px; float: left;","class":"media-element file-teaser"}}]]Worum ging es da?
Die Böttcher in Rixdorf sind in Streik getreten, weil sie einen Feiertag am ersten Mai durchsetzen wollten. Daraufhin haben die Brauereibesitzer die Böttcher ausgesperrt. Das ließen sich die übrigen Rixdorfer Arbeiter nicht zweimal sagen – und haben zum Boykott der Brauereien aufgerufen.

Das heißt, Bierkonsum – oder, präziser: Bierverzicht – wurde als politisches Druckmittel eingesetzt?
Ja. Die streikenden Böttcher haben natürlich zunächst einfach nur die Arbeit verweigert. Aber die solidarischen Arbeiter in Rixdorf, die haben dann aufgehört, das Bier der beteiligten Brauereien zu trinken.

Von wie vielen Streikenden sprechen wir?
Einige Zehntausende, vielleicht Hunderttausend. Rixdorf war damals der Arbeiter-Vorort Berlins! Die Rixdorfer Vereinsbrauerei war damals eine der größten Berliner Brauereien. Der Bierstreik hat Berlin insgesamt betroffen.

Wie lange hat das gedauert?
Ein halbes Jahr, von Mai 1894 bis Weihnachten. Bis irgendwann eine Lösung gefunden wurde. Die konnte man dann aber nicht mehr als Erfolg für die Arbeiter bezeichnen.

Welche Rolle hat Bier im neunzehnten Jahrhundert in der Arbeiterbewegung gespielt?
Es war ganz selbstverständlich, dass man sich zum Diskutieren getroffen und dabei Bier getrunken hat. Heute machen die Parteien Mitgliederversammlungen, Bürgerforen, und so weiter. Das war damals anders: Man hat sich zum „Zahlabend“ getroffen, an dem die Mitglieder ihre Beiträge entrichteten. Und diese „Zahlabende“ fanden in Kneipen statt: In Neuköln, Kreuzberg und im Wedding gab es an jeder Straßenkreuzung vier Eckkneipen. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Arbeiterbewegung – und die Politik insgesamt – im neunzehnten Jahrhundert Männersache war. Bis 1907 war es Frauen verboten, Mitglieder politischer Parteien zu werden. Natürlich gab es einige wenige Ausnahmen, denken Sie an Rosa Luxemburg. Aber im Prinzip war Politik noch Männersache, und Männer haben Bier getrunken. Heute ist das etwas anders.

Welche Rolle spielt Bier heute in der Politik?
Eins hat sich nicht geändert: Entscheidungen werden durch gemeinsames Trinken besiegelt. Das ist in der Politik immer schon ein wichtiges Ritual gewesen, vermutlich auch schon vor 5.000 Jahren. Wenn man gemeinsam etwas erreicht hat, dann geht man Einen trinken: Das machen alle, von den Abgeordneten bis zu den Schulelternvertretern. Wo man zum Trinken hingeht, ist aber milieuabhängig. Aber das Bier spielt heute nicht mehr dieselbe Rolle wie in der Vergangenheit. Man muss auch sagen: Heute gibt es zunehmend Politiker, die sich an die Weisung des alten Arbeiterabstinentenbundes halten, dass politisch Engagierte durchsetzungsfähiger sind, wenn sie nüchtern bleiben. Vielleicht kann man sogar sagen: Die Politik insgesamt wird nüchterner und professioneller.

Herr Wenzel, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Unter dem Motto „Wir wollen Euer Bier nicht mehr! Bier und Politik früher und heute” findet am 3. Mai ein Themenabend des August-Bebel-Instituts in Kooperation mit Markthalle IX und Slowfood Berlin statt. Mehr Infos gibt es hier.

Das Gespräch führte Christophe Braun.

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