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Bürger, Pegida und AfD - Extremismus der Mitte

Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte haben einen Höchststand erreicht. Der Innenminister spricht von „Schande“, Pegida feiert Einjähriges und die besorgte bürgerliche Mitte zeigt sich immer öfter für Rechtsextremismus anschlussfähig

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Es hat sich etwas verändert in diesem Land. Und das nicht erst mit der steigenden Zahl der hier ankommenden Flüchtlinge. Rechte Gewalt ist dunkeldeutscher Alltag. Allein für den Monat August zählt die Polizei 1450 rechte Straftaten

Innenminister Thomas de Maizière spricht von einer „Schande für Deutschland“. In einem Interview mit der Funke-Mediengruppe beklagt er mehr als 490 Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte. Und warnt vor einem „massiven Anstieg fremdenfeindlicher Übergriffe auf Asylbewerber“. Im Vergleich dazu: Im Jahr 2014 wurden 198 Straftaten gegen Asylunterkünfte gemeldet.

Auf Cicero-Nachfrage nennt das Bundesinnenministerium die aktualisierte Zahl von „505 lagerrelevanten Delikten zum Themenfeld ‚Straftaten gegen Asylunterkünfte‘“.

Besonders bemerkenswert: Zwei Drittel der Tatverdächtigen seien „Bürger aus der Region, die sich bisher nichts zu Schulden kommen ließen“, sagte de Maizière. Wobei sich das Nichts-zu-Schulden-kommen-lassen allein auf sogenannte politisch motivierte Straftaten bezieht.

Das Bundeskriminalamt hat ein Täter-Profil auf Grundlage von 220 Tatverdächtigen seit 2014 erstellt: Die Delinquenten sind demnach überwiegend männlich, zur Hälfte zwischen 18 und 25 Jahren alt, 73 Prozent leben in der Nähe des Tatorts. 42 Prozent sind Einzeltäter, 49 Prozent verüben die Tat in kleineren Gruppen von bis zu fünf Personen. Alkoholeinfluss spielt kaum eine Rolle.

Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Der „besorgte Bürger“ scheint zum Handeln bereit. Werden aus Sorgen nun Taten?

Andreas Zick, der seit 2002 die Langzeitstudie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland“ betreut, warnte bereits 2010 in einem Cicero-Interview  davor, „dass Menschen, die sich politisch in der Mitte verorten, einen höheren Wert bei Fremdenfeindlichkeit und insbesondere bei der Islamfeindlichkeit aufweisen“– auch unter gut situierten Bürgern, rechts wie links. In den einkommensstärkeren Gruppen gebe es einen deutlichen Anstieg. „Das ist ein messbarer Effekt“, erklärte der Konfliktforscher.

Pegida: Bürger und Rechtsextreme Seit‘ an Seit‘

Für den Schulterschluss zwischen „besorgten Bürgern“ und der extremen Rechten steht ein Phänomen exemplarisch: Pegida. Es hat Wut und Vorurteile aus den Wohnzimmern und Kommentarspalten – aus den Köpfen – auf die Straße getragen. In der kommenden Woche feiert der gemeinsame Marsch von Bürgern und Rechtsextremen Einjähriges. Die Patriotischen Europäer werden nicht müde, die Islamisierung des Abendlandes zu beklagen. Je nach Statistik bekennen sich zwischen vier und sieben Prozent der Menschen in Europa zum Islam.

Aus „Deutschland den Deutschen“ wurde „Europa den Christen“. Längst häufen sich Gewaltvorfälle im Umfeld der Demonstrationen. Erst am Montagabend „spazierten“ in Dresden wieder 9.000 Menschen, skandierten „Ansturm der Invasoren“, „Abschieben, abschieben“, „Wir sind das Volk“ oder „Asylmafia“. Besondere Aufmerksamkeit erhielt ein selbstgebastelter Galgen eines Demonstranten, der an Angela Merkel und „Siegmar“ Gabriel adressiert war. Pegida-Gründer Lutz Bachmann sieht darin einen „vorsätzlich verfälschende[n] Fotoschnitt seitens der #Lügenpresse“. „#MerktEuchDieNamen“, zwitscherte er an seine Netzfreunde.

Was sich in Dresden unter der Chiffre Pegida versammelt, organisiert die AfD in Erfurt oder Magdeburg gleich selbst. 8.000 Demonstranten folgten dort vor einer Woche dem Aufruf der Alternative für Deutschland, die sich als „natürliche Verbündete“ dieser Bewegung versteht. In Magdeburg am gestrigen Mittwoch waren es 1.000. Die Menge glorifizierte Viktor Orbán, warnte vor Überfremdung und begrüßte Journalisten mit „Lügenpresse“ oder „Zecken“. Die AfD startete ihren Marsch in Thüringen im Übrigen genau vor der Halle, in der zukünftig Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Für den Journalisten und Kenner der Szene, Torsten Mandalka , sind gerade die Äußerungen des AfD-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag, Björn Höcke, von denen der Rechtsextremisten kaum noch zu unterscheiden“.

Im Kampf gegen das Fremde – gegen Flüchtlinge – verbrüdern sich AfD, NPD, Neonazis und besorgte Bürger besorgter Heimatschutzinitiativen. Die Protestler sind dabei nicht – wie oft vermittelt – Erniedrigte, Abgehängte,unmittelbar Armutsbedrohte, sondern eben auch „Normalverdiener“, Extremisten der Mitte. Auch die AfD, die diese Gruppe jetzt hofiert, ist keine Partei der Armen oder Ungebildeten. Im Gegenteil.

Die Mitte hat kein Abo auf Demokratie. Und es ist keine besonders neue Erkenntnis, dass auch die Mittelschicht in der Bundesrepublik ein antidemokratisches Potential in sich birgt.

„Wir hatten in der bürgerlichen Mitte, die an Vielfalt und Einwanderungsgesellschaft zweifelt, immer ein Reservoire an menschenverachtenden Meinungen. Die Stereotype über Muslime und die Idee, dass Zuwanderung die Kultur bedroht, war weit verbreitet“, sagt Andreas Zick. Es habe sich die Erfahrung eingeschlichen, dass Bürgerlichkeit alleine kein Garant für etablierte Vorrechte ist.

Von Bürgern im Stich gelassen: der Fall Tröglitz

Jo Goll, Olaf Sundermeyer und Torsten Mandalka zeigen in ihrer gerade erschienenen Dokumentation, wie vor allem in Ostdeutschland, in Orten wie Nauen oder Heidenau, Rechtsextremen der Anschluss an die bürgerliche Mitte gelungen ist. Rechte gewinnen dort den Kampf um Straße und Köpfe. Drohungen und Übergriffe nehmen sowohl zahlenmäßig zu als auch, was die Qualität der Delikte angeht. Ins Visier der Flüchtlingsfeinde kann jeder geraten: Journalisten, Bürgermeister, Landräte, Bauunternehmer.

Egal, ob in Tröglitz, Meißen oder Nauen: Der Verlauf vom Bürgerprotest bis zum brennenden Heim folgt oft ganz ähnlichen Mustern. Erst melden unbescholtene Bürger ihren Protest an, gründen Heimatinitiativen, dann springen die Nazis auf. Am Ende brennt‘s. Was mit Bürgerprotest beginnt, schlägt um in Extremismus.

Im mittlerweile berühmten Örtchen Tröglitz ging es ursprünglich gerade einmal um die Aufnahme von 60 Flüchtlingen. Daraufhin waren Ortsbürgermeister und Landrat massiven Beschimpfungen und Bedrohungen ausgesetzt. Im März folgte der Rücktritt des Ortsbügermeisters Markus Nierth, als Rechtsextreme den Aufmarsch vor seinem Haus planten und die Behörden das nicht verhindern wollten. Im April ging die Asylunterkunft in Flammen auf. 

Ex-Bürgermeister Nierth fühlte sich vor allem von der Mitte der Gesellschaft im Stich gelassen: „Mir hat hier im Ort einfach der Rückhalt gefehlt, aus der Bevölkerung und vor allem aus der Politik.“ Der Aufstand der Anständigen sei bisher ausgeblieben, klagt Nierth. „Ich hoffe, dass der noch kommt.“

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