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Berichterstattung über Germanwings-Flug 9525 - Das Spiel mit der Emotion

Die Medienkolumne. Erst jetzt werden Details über den Absturz der Germanwings-Maschine bekannt: Offenbar ließ der Co-Pilot das Flugzeug absichtlich abstürzen. Tagelang spekulierten die Medien über andere Zusammenhänge und bewegten sich auf einem sehr schmalen Grat

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Tagelang wurde spekuliert, nun gibt es erste belastbare Indizien zum Absturz des Germanwings-Flugs 9525. Laut der Staatsanwaltschaft in Marseille war der 27-jährige Co-Pilot Andreas L. allein im Cockpit und leitete bewusst den Sinkflug ein. Der Kapitän habe von außen vergeblich versucht, die Tür zu öffnen. Demnach habe es sich bei der Flugzeugkatastrophe um eine vorsätzliche Tat gehandelt.

Obwohl es erst mit der Auswertung des Stimmenrekorders Fakten geben konnte, füllten Spekulationen über die Absturzursache seit Tagen die Zeitungen und Fernsehsendungen. Man zitierte vermeintliche Experten, verwies mal auf das Alter des Airbus A320, mal aufs Wetter, mal auf Terroristen, mal auf die Computertechnik.

Das Publikumsinteresse war enorm. Die Nachrichtensender N24 und n-tv erreichten mit ihren Live-Sendungen Marktanteile von über drei Prozent. In vielen Medien waren Bilder mit den Wrackteilen der 9525 oder vom Düsseldorfer Flughafen zu sehen.

Bilder von Hinterbliebenen


Den 48-minütigen ARD-„Brennpunkt“ sahen am Dienstagabend knapp sechs Millionen Zuschauer, obwohl es nichts zu berichten gab. Dann spekulierte Sandra Maischberger 75 Minuten lang. Es ist richtig, der Betroffenheit und Trauer einen öffentlichen Raum zu geben. Es war auch richtig, dass Pro Sieben und Stefan Raab wegen Germanwings auf „TV total“ verzichteten.

Doch so richtig schienen sich nicht einmal die Öffentlich-Rechtlichen für Fakten zu interessieren. Als Germanwings sich am Dienstagnachmittag erklären wollte, habe sich genau zu dieser Uhrzeit nur die ARD in einer Sondersendung mit dem Unglück befasst, berichtet das Fachportal DWDL. Doch statt die Pressekonferenz des Flugunternehmens live und in voller Länge zu übertragen, habe das Erste zu Korrespondenten und Experten geschaltet. Die ARD äußerte sich auf Anfrage bislang nicht zu dem Vorwurf, da die betreffende Redaktion selbst in die aktuelle Berichterstattung eingebunden ist.

Die Tatsache, dass es keine Tatsachen gab, hinderte offenbar kaum jemanden, zu berichten. Dann zeigte man eben Bilder von Hinterbliebenen, teils unverpixelt.

Pietätlosigkeit, Fehltritte


Dass Medien Opfer einer Katastrophe oder deren Angehörige abbilden, daran ist grundsätzlich nichts auszusetzen, wenn diese ihre Einwilligung geben. Wenn sie in ihrer Würde respektiert werden. An Letzterem konnte man in den vergangenen Tagen zweifeln: „Bild“-Kolumnist Franz-Josef Wagner grübelte öffentlich darüber, wie wohl das Treiben an Bord der Germanwings kurz vor dem Aufprall gewesen sei, ob die beiden Babys quengelten. Sogar die „Huffington Post“ bezeichnete den Bild-Kommentar als „pietätlosen (…) Katastrophen-Porno“.

Wagner sinnierte auch über die toten Austauschschüler von Haltern. 16 Schüler und zwei Lehrerinnen des dortigen Joseph-König-Gymnasiums waren an Bord der Germanwings-Maschine gewesen. Die stellvertretende Direktorin der Schule hatte bislang zwar kaum Gelegenheit, die Presseberichterstattung zu verfolgen. „Aber natürlich überrollt uns das hier, wenn Sender aus aller Welt vor der Tür stehen“, sagte Susanne Baldauf.

Trotz der wenigen Ausnahmen scheinen der Druck der Medienkritik und einer aufmerksamen Netzöffentlichkeit langsam Wirkung zu zeigen. Es wird über Fehltritte geredet, und sie werden angeprangert. Der Fall des Spiegels ist vielen Verantwortlichen noch als abschreckendes Beispiel in Erinnerung: Nach dem Absturz der Malaysia-Airlines-Maschine 17 im vergangenen Juli hatte das Magazin Fotos der Opfer auf dem Titel veröffentlicht. Die Bilder wurden teils ungefragt aus sozialen Netzwerken übernommen.

Über 30 Beschwerden beim Presserat


Beim Deutschen Presserat gingen auch jetzt wieder Beschwerden ein, die sich auf Ziffer 8 des Pressekodexes, also des Schutzes der Persönlichkeit, oder eine ihrer Richtlinien bezogen. Bislang seien es mehr als 30, teilte Sprecher Oliver Schlappat mit.

So gehören zur guten Entwicklung auch die Beobachtungen der Polizei Haltern, die den Umgang der Journalisten mit den Schülern im Bereich des Gymnasiums regelt. Bislang gebe es „keine kritischen Ereignisse“, teilte eine Polizeisprecherin auf Cicero-Anfrage mit. 98 Prozent der Journalisten verhielten sich kooperativ und respektvoll gegenüber den Jugendlichen.

Man kann nur hoffen, dass mit der Familie des Co-Piloten Andreas L. ähnlich respektvoll umgegangen wird.

Mitarbeit: Anna Mangold

Update: In einer früheren Version hieß es, der Co-Pilot Andreas L. sei 28 Jahre alt gewesen. Tatsächlich war er nur 27 Jahre alt. Die Düsseldorfer Bezirksregierung hatte ihre eigene Falschangabe am Abend korrigiert.

Update 2: Tagesschau-Vizechef Christian Nitsche bestätigte am Freitagabend, dass die Pressekonferenz von Germanwings nicht live von Anfang an übertragen wurde: „Wir hatten technische Probleme, die den Aufbau einer Schalte zu unserer Korrespondentin vor Ort sehr erschwerten. Das Team versuchte, das Problem schnell zu beheben. Die ursprüngliche Planung konnte aber nicht umgesetzt werden.“
 

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