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(Picture Alliance) Helmut Roewer, Heinz Fromm und Reinhard Boos (v.l.n.r.): Über die drei Geheimdienstchefs des LfV gibt es haarsträubende Geschichten

Thüringer Verfassungsschutz - Behördenklatsch als Ablenkungsmanöver

In einer Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses berichteten Spitzenbeamte des Landesverfassungsschutzes Haarsträubendes über ihre Vorgesetzten – wohl auch, um vom eigenen Versagen im Amt abzulenken. Mit einem Auswechseln des Personals allein lässt sich die tiefe Krise des Geheimdienstes nicht lösen

Ein Verfassungsschutzchef, der durch Büroflure radelt, seine schmutzigen Füße bei Beratungen auf den Tisch legt und Candle-Light-Dinner mit weiblichen Untergebenen in seinem Dienstzimmer abhält – die Zustände, die offenbar in den neunziger Jahren im Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) unter dem Präsidenten Helmut Roewer herrschten und vergangene Woche im NSU-Untersuchungsausschuss des Erfurter Landtages zur Sprache kamen, sind unfassbar.

Ebenso wie das Versagen von Heinz Fromm, dem Chef des Bundesamtes, und Reinhard Boos, der das sächsische LfV leitet. Beide Spitzenbeamte bekamen offenbar nicht mit, dass Mitarbeiter hinter ihrem Rücken brisante Akten entweder vernichtet oder versteckt hatten.

Nur folgerichtig, dass die drei Geheimdienstchefs ihre Posten räumen mussten – Roewer schon 2000, nach einer Serie von Skandalen, die anderen beiden jetzt. Gleichwohl wäre es falsch zu glauben, dass mit dem Auswechseln der Personen das eigentliche Problem – die Inkompetenz, Ineffizienz und Unkontrollierbarkeit des Verfassungsschutzes –  beseitigt sei. Auch wenn Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich den Eindruck erwecken möchte, die Krise des Geheimdienstes lasse sich vor allem mit dem Auswechseln des Personals bewältigen.

Einer solchen verengten Sicht kommen natürlich die Auftritte der – inzwischen pensionierten – Spitzenbeamten vom Thüringer Verfassungsschutz im Erfurter Untersuchungsausschuss entgegen. Die Herren wussten vor den Landtagsabgeordneten Haarsträubendes zu berichten – wohl auch, um vom eigenen Versagen im Amt abzulenken.

Immerhin sagten mit ihnen Spitzenbeamte aus, denen es – Roewer hin oder her – auch nicht gelungen war, die immer radikaler auftretenden Neonazis im Freistaat in den Griff zu bekommen. So wäre statt Roewer-Bashing im Ausschuss auch ein gewisses Maß an Selbstkritik angebracht gewesen.

Seite 2: "Was macht so ein rund 150 Mann starker Geheimdienst eigentlich den ganzen Tag?" 

Schließlich gelang es dem Thüringer LfV zwischen 1993 und 1998 lediglich, nur sage und schreibe sechs V-Leute anzuwerben – drei bei den Rechtsextremen, zwei im linken Spektrum und einen im Bereich Ausländerextremismus. Bei sechs Spitzeln fragt man sich dann schon: Was macht so ein rund 150 Mann starker Geheimdienst eigentlich den ganzen Tag?

Jedenfalls keinen Dienst nach Vorschrift: So hörten die Abgeordneten, dass V-Mann-Führer ihre Quellen schon mal ins Dienstgebäude bestellten oder sie rein elektronisch führten, das heißt vom Büro aus via Computer. Persönliche Treffs gab’s nur zur Geldübergabe. Oder wenn die Quelle mal wieder entgegen der Vorschrift mit dem neuesten PC- oder Handymodell ausgestattet und vor anstehenden Durchsuchungen durch die Polizei gewarnt werden musste.

Das Thüringer Amt stank also nicht nur vom Kopf her, auch wenn dort der Geruch schon am lästigsten war. So mussten für Amtschef Roewer zwei Beamte sogar einmal zum Bundesnachrichtendienst in Pullach fahren und sich in der Kunst der Tarnfirmengründung unterweisen lassen. Roewer ließ daraufhin zwei Unternehmen gründen, davon einen Buchverlag, in dem fünfstellige Operativgeldbeträge seines Amtes verschwanden und nirgendwo mehr auftauchten.

Unklar blieb auch bis heute die Identität eines V-Manns mit dem Decknamen „Günther“, den Roewer höchstselbst führte und fürstlich entlohnte. In einem Disziplinarverfahren versucht das LfV noch immer zu ergründen, ob es diesen „Günther“ überhaupt je gegeben hat.

Mit einer ganz besonderen Konstruktion war es dem Erfurter Innenministerium zudem gelungen, schon lange vor den auf Bundesebene inzwischen üblichen „Gemeinsamen Abwehrzentren“ das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst zu umgehen. Im Gebäude des LfV war ab Ende der neunziger Jahre die „Zentrale Ermittlungseinheit Extremismus“ (ZEX) untergebracht.

Mindestens einmal die Woche trafen sich die Beamten von Verfassungsschutz und ZEX und tauschten ihre Erkenntnisse aus. Für die Fahndung nach den untergetauchten Bombenbastlern aus Jena, den drei Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, war dieser Informationsaustausch aber offenbar folgenlos.

Die Aufzählung der ungeheuerlichen Zustände im Erfurter Landesamt ließe sich noch fortsetzen. Die davon geradezu erschütterten Abgeordneten in Erfurt fragten vergangene Woche mehrfach nach, warum denn die Aufsicht im Innenministerium davon keine Kenntnis hatte oder nicht durchgegriffen habe.

Seite 3: "Der entsprechende Abteilungsleiter habe natürlich Kenntnis gehabt von den Zuständen..."

Als Antwort erhielten sie von Roewers Mitarbeitern ein bitteres Lachen: Der entsprechende Abteilungsleiter habe natürlich Kenntnis gehabt von den Zuständen, aber Roewer sei – nicht zuletzt wegen seiner engen Beziehungen zum damaligen SPD-Innenminister Richard Dewes – ein Unantastbarer gewesen.

Und das ist das eigentliche Problem beim Verfassungsschutz, auf Bundes- wie Länderebene: Der Inlandsgeheimdienst hängt am Gängelband des jeweiligen Innenministers und hat vor allem dessen politische Vorgaben und Interessen umzusetzen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und der Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta war die muslimische Szene das Aufklärungsobjekt Nummer Eins.

Vor und nach dem G-8-Gipfel von Heiligendamm 2007 entwickelten sich die Linken – von der PDS über die Autonomen bis hin zu den Extremisten – zum Schwerpunkt der Geheimdienstarbeit. Und nach dem Auffliegen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ im vergangenen November sind plötzlich die so lange vom Verfassungsschutz vernachlässigten Neonazis und Rechtsextremisten en vogue.

So aber schützt man nicht die Verfassung, sondern setzt nur die (manchmal auch partei-)politischen Interessen des jeweiligen Auftraggebers um. Eine Strukturreform des Dienstes, die beispielsweise zu einer Zusammenlegung mehrerer Landesämter oder sogar deren Umwandlung in Außenstellen eines zentralisierten Verfassungsschutzes führt, könnte schon mal den Einfluss von Landesregierungen auf die inhaltliche Arbeit deutlich einschränken.

Zustände, wie sie zumindest bis zur Jahrtausendwende in Thüringen herrschten und – mit Abstrichen – heute noch in so manchem Landesamt vorzufinden sind, wären dann kaum mehr möglich.

Aber auch nur dann, wenn mit der Strukturreform eine verbesserte Aufsichtsmöglichkeit durch das Parlament einhergeht. Entsprechende Ausschüsse wie das Parlamentarische Kontrollgremium sollten deshalb mehr Einsichtsrechte und Kontrollmöglichkeiten auch in laufende nachrichtendienstliche Operationen erhalten. Nur so lässt sich sicherstellen, dass der Verfassungsschutz endlich seinem Namen gerecht wird.

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