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Bundesbauministerin Barbara Hendricks - „Augenmerk nicht ausschließlich auf die Integration von Flüchtlingen richten“

Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) fordert von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die langfristige Finanzierung der Integration von Flüchtlingen. Neue Schulden schließt sie nicht aus

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

So erreichen Sie Christoph Seils:

Frau Hendricks, die Erstaufnahmelager sind überfüllt, immer noch viele Turnhallen belegt. Wie kommen wir möglichst schnell zu mehr Wohnungen für Flüchtlinge?
Barbara Hendricks: Wir brauchen Wohnungen nicht nur für Flüchtlinge mit Bleibeperspektive, sondern für alle Menschen in diesem Lande, die bezahlbaren Wohnraum suchen.

Wie viele?
Um den Bedarf zu decken, müssen wir etwa 350.000 Wohnungen im Jahr bauen. Allerdings bräuchten wir auch ohne die Flüchtlinge schon 275.000 Wohnungen jährlich.

Was muss die Politik dafür jetzt tun?
Die Kommunen müssen möglichst schnell Grundstücke zur Verfügung stellen, Baugebiete ausweisen und Baurecht herstellen. Der Bund unterstützt den Neubau durch Sonderabschreibungen, mit den Mitteln für den sozialen Wohnungsbau sowie mit der Förderung von Modulbauten und seriellem Bauen.

Also für Billigbauten?
Nein. Weder bei Energieeinsparung noch bei der Baukultur darf es Abstriche geben. Was wir heute bauen, prägt das Gesicht unserer Städte für 80 Jahre. Ich möchte nicht, dass wir uns in 15 Jahren ärgern über eine Verschandelung unserer Städte.

Muss das Baurecht noch weiter vereinfacht werden, damit es schneller geht?
Da sind wir dabei. Wir werden einen neuen Baurechtstypus, den des „Urbanen Gebiets“, ins Baurecht aufnehmen. Der wird die Verdichtung bestehender Stadtquartiere ermöglichen, zum Beispiel durch Aufstockung von bestehenden Bauten. Zudem sollten die Bundesländer einheitliche Baunutzungsverordnungen beschließen. Auch weniger föderale Vielfalt erleichtert das Bauen.

Und woher kommt das Geld?
Wir haben schon in diesem Jahr mehr Mittel bereitgestellt. Den Ländern stehen für die Förderung von sozialem Wohnungsbau 500 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung. Somit haben sich die Bundeszuschüsse auf über eine Milliarde Euro pro Jahr insgesamt erhöht. Wir werden zudem verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für den freifinanzierten Wohnungsbau beschließen.

Die 500 Millionen werden ja nicht reichen.
In der Tat habe ich in den Haushaltsverhandlungen für 2017 und folgende einen zusätzlichen Bedarf angemeldet. Wir brauchen eine zusätzliche Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau jährlich und außerdem 300 Millionen für die Stadtgebietsentwicklung und Integrationsprogramme.

Reicht das, um einen Verteilungskampf um billigen Wohnraum zu verhindern? Reicht das, um den Menschen die Ängste zu nehmen?
Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Interessen ist kennzeichnend für Märkte. Aber Wohnen muss bezahlbar bleiben, für alle. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass der Nachfrage nach bezahlbaren Wohnungen ein entsprechend großes Angebot gegenübersteht. Dafür brauche ich im kommenden Jahr die 1,3 Milliarden zusätzlich.

Die zweite große Angst, die viele Menschen umtreibt, ist die Angst vor der Entstehung von Gettos. Wie lassen sich diese vermeiden?
Die Gefahr ist überall erkannt worden. Auch deshalb müssen wir Wohnungen für alle bauen.

Aber die neuen Sozialwohnungen entstehen vor allem in Stadtteilen, in denen sich schon jetzt soziale Probleme ballen. Sie gehen damit in Berlin ja nicht nach Dahlem oder in Hamburg an die Elbchaussee.
Das Gegenteil ist der Fall. Das haben Berlin, Hamburg und andere große Städte längst gelernt. Wenn Investoren öffentliche Grundstücke erwerben, müssen sie sich dort verpflichten, ein Drittel der Wohnungen im sozialen Wohnungsbau zu errichten, ein Drittel im freifinanzierten Wohnungsbau und auch ein Drittel als Eigentumswohnungen. Es geht darum, eine soziale Mischung auch in den Gebäuden zu erreichen. Die bauliche Qualität der Wohnungen bleibt natürlich gleich. Unterschiede ergeben sich allenfalls in der Größe und technischen Ausstattung.

Bislang sagt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu Ihren finanziellen Forderungen „Nein“, diese 1,3 Milliarden gibt es nicht.
Die Verhandlungen über den Bundeshaushalt haben ja gerade erst begonnen. Ich bin guten Mutes.

Teilen Sie die Einschätzung Ihres Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, dass die SPD dem Bundeshaushalt 2017 nur dann zustimmen wird, wenn darin genug Geld für den Bau von Wohnungen und für die Integration von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt wird?
Die ganze Bundesregierung ist sich der Verantwortung bewusst. Wir müssen für die Menschen, die dauerhaft in diesem Land bleiben werden, eine Perspektive entwickeln. Die Gesellschaft muss dafür auch aufnahmefähig sein. Deshalb müssen wir Konkurrenzen auf dem Wohnungsmarkt vermeiden. Deshalb müssen wir bezahlbare Wohnungen für alle bauen.

Stellt sich da am Ende die Koalitionsfrage?
Es ist für uns Sozialdemokraten selbstverständlich völlig klar, dass wir für die Integration der Flüchtlinge in Wohnungen, in Bildung, in Kitas und in den Arbeitsmarkt investieren müssen. Dafür brauchen wir mehr Geld. Ich bin zuversichtlich, dass wir das in der Bundesregierung zum Gemeingut machen werden.

Wie heilig ist dabei die schwarze Null?
Die Frage stellt sich nicht. Im Bundeshauhalt 2017 werden wir trotzdem keine Schulden machen müssen.

Und mittelfristig?
Da wird der Bundesfinanzminister einen Weg aufzeichnen müssen, wie mittelfristig und auch langfristig die Integration der Flüchtlinge finanziert werden kann.

Also möglicherweise einen Weg mit neuen Schulden?
Das ist nicht der Punkt. Es geht nicht um zusätzliche Schulden „Ja“ oder „Nein“. Es geht um die Frage, wie können wir unsere Aufgaben sachgerecht erfüllen.

Sigmar Gabriel fordert parallel zu Integrationsprojekten für Flüchtlinge ein soziales Integrationsprogramm, ein „Solidaritätsprojekt“ für die deutsche Bevölkerung. Macht er nicht damit genau das, wovor Sie warnen, in dem er zwei Gruppen bildet, die sich am Ende gegeneinander ausspielen lassen?
Sigmar Gabriel hat keine zusätzlichen Sozialprogramme gefordert. Er hat lediglich darauf verwiesen, dass im Koalitionsvertrag noch ein paar Aufgaben stehen, die wir nicht abgearbeitet haben. Vor allem die Mindestrente, die Ost-Westangleichung der Renten und das Teilhabegesetz für Menschen mit Behinderung. Diese drei Aufgaben muss die Große Koalition noch erledigen. Wir können unser Augenmerk nicht ausschließlich auf die Integration von Flüchtlingen richten.

Die Fragen stellte Christoph Seils


 

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