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(picture alliance) Angela Merkel gratuliert dem neu gewählten Bundespräsidenten Joachim Gauck

Joachim Gauck - Auf schmalem Grat schnurstracks Richtung Zukunft

Nichts an der Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten ist normal und der Erwartungsdruck, der auf ihm lastet, ist gewaltig. Wenn Gauck diesem Stand hält, kann er ein großer Präsident werden, der die Schmach des Amtes vielleicht vergessen lässt. Ein Kommentar

Es ist vollbracht. Joachim Gauck heißt der elfte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Und auch wenn seine Wahl in der Bundesversammlung am Sonntag in Berlin wenig spektakulär und wenig spannend verlief, ist an der Wahl Gaucks eigentlich nichts normal. Dass der ehemalige DDR-Bürger, Ex-Pfarrer und Ex-Leiter der Stasiunterlagenbehörde in das höchste deutsche Staatsamt gewählt wurde, ist vielmehr eine politische Sensation, eine Ohrfeige für die Parteien und eine Chance für die Gesellschaft.

So groß die Vorschusslorbeeren sind, die seine Wahl begleiten, so sehr werden sich die Deutschen an ihren neuen Bundespräsidenten gewöhnen müssen. Vieles an Joachim Gauck ist anders als bei seinen zehn Vorgängern. Er ist ein Außenseiter, der sich in den letzten Jahren demonstrativ von der politischen Klasse ferngehalten hat. Er ist ein redegewandter, aber gelegentlich grantelnder Intellektueller. Gauck ist selbstbewusst, eigenwillig und unbequem, aber auch ziemlich selbstverliebt. Während die meisten Politiker nur noch in abgeschliffenen Allgemeinplätzen reden, um möglichst niemandem wehzutun, redet Gauck in geschliffenen Worten gerne Klartext.

[gallery:Joachim Gauck, der Bürgerpräsident]

Auf den jüngsten Bundespräsidenten folgt nun also der mit 72 Jahren älteste. Und nachdem die Wahl seines Vorgängers Christian Wulff so offensichtlich von parteitaktischem Kalkül bestimmt wurde, erfrischt Joachim Gauck  das Amt nach 63 Jahren als erster Präsident, der keiner Partei angehört.

Damit nicht genug. Noch nie wurde ein Bundespräsident bei seiner ersten Wahl im überparteilichen Konsens von so vielen Wahlmännern und Wahlfrauen gewählt. Noch nie wurden ein Bundespräsident und seine politischen Positionen vor seiner Wahl zudem von Journalisten und vor allem von Internetnutzern so intensiv durchleuchtet. Nicht nur auf begeisterte Zustimmung ist er dabei gestoßen. Vielmehr ist ihm zugleich schroffe Anlehnung entgegengeschlagen. Etwa wegen seines Lobes für den Mut von Thilo Sarrazin oder seines Spottes über die Occupy-Bewegung. Klare Worte provozieren auch Widerspruch.

Doch die Hoffnungen, die die Wahl Joachim Gaucks zum Bundespräsidenten begleiten, überwiegen. 80 Prozent der Deutschen halten diese Umfragen zufolge für eine gute und glaubwürdige Wahl. Die Erwartungen an ihn sind hoch und vor allem widersprüchlich. So soll Gauck nicht mehr nur über die Vergangenheit reden, sondern über Zukunftsthemen, nicht nur über Freiheit, sondern auch über Gerechtigkeit. Er soll den Migranten eine Stimme geben, das Land versöhnen, aber zugleich unbequeme Wahrheiten aussprechen.

Vor allem jedoch erwarten viele seiner Anhänger, dass er als erster Bürger im Staate der abgehobenen Politikerkaste von Zeit zu Zeit die Leviten liest. Wohingegen die Politiker, die ihm ins Amt verholfen haben, hoffen, Gauck könne ihnen den anstrengenden politischen Alltag durch bedeutungsschwere Reden erleichtert. Bei den Wählern soll er zugleich um Verständnis für die Herausforderungen der Politik im Zeitalter der Globalisierung werben, etwa bei der Energiewende oder der Eurorettung.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Parteien mit Joachim Gauck ein falsches Spiel spielen und welche Chancen sich den neuen Bundespräsidenten bieten

Kann ein Bundespräsident diesem Druck überhaupt standhalten? Wie groß ist die Gefahr, dass die Begeisterung schon bald in Enttäuschung umschlägt? Wie kann Gauck den widerstrebenden Erwartungen gerecht werden? Wie kann er dem Amt die Würde wiedergeben, die sein Vorgänger beschädigt hat? Kann er dem Amt des Bundespräsidenten zu neuer Ausstrahlung verleihen?

Ohne Zweifel war Gauck der Kandidat der Bürger, nicht der Parteien. Er wird ein Bürgerpräsident sein und kein Staatsoberhaupt von Politikers Gnaden. Durchsetzen konnte er sich nur deshalb, weil sich der Parteienstaat nach den Rücktrittem seiner beiden Vorgänger Horst Köhler und Christian Wulff insgesamt in einer tiefen Legitimationskrise befindet.

 

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Die Parteien haben mit Gauck in den letzten Wochen zugleich ein falsches Spiel gespielt. Keine der Parteien, die diesem ins Amt hob, wollte ihn eigentlich. Angela Merkel hat dies unmissverständlich zu Protokoll gegeben. SPD und Grüne reden intern ganz anders über ihren Kandidaten als öffentlich. Sie haben Gauck nominiert, um die schwarz-gelbe Regierung zu ärgern, aber nie und nimmer damit gerechnet, dass sie sich mit diesem Personalvorschlag durchsetzen könnten.

Der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler hat die Präsidentenkür nur für seine persönliche Profilierung und für Machtspiele in der schwarz-gelben Koalition benutzt. Erst als Rösler merkte, wie breit die Unterstützung für Gauck in der Öffentlichkeit war, sprang der Oberliberalen auf den Kandidatenzug auf. Zuvor hatten ihn die Freiheitsreden des Ostdeutschen wenig interessiert.

Am Ende hatten die Parteien keine andere Wahl mehr. Nach der Amtsflucht von Horst Köhler und dem Wulff-Desaster hätten Union und FDP, SPD und Grüne nicht noch einmal einen Kandidaten mit parteipolitischem Kalkül präsentieren können, ohne eine nachhaltige politische Vertrauenskrise heraufzubeschwören und ohne das Amt des Bundespräsidenten in seiner Substanz zu beschädigen. Der überparteiliche Konsens bei seiner Wahl war kein Ausdruck von Stärke, sondern von Schwäche der Parteiendemokratie.

Die Herausforderungen und Erwartungen an Gauck sind groß. Der Grat, auf dem er wandelt, ist schmal. Doch das ist zugleich seine Chance.

Wenn es Joachim Gauck gelingt, dem Amt des Bürgerpräsidenten wieder eine Bedeutung zu geben, wenn er den Bürgern in der Demokratie eine neue Stimme gibt, ohne ihnen populistisch nach dem Mund zu reden, dann kann Joachim Gauck nicht nur großer Präsident werden, sondern dem Amt zu neue Ausstrahlung verhelfen und es so auf Dauer dem machttaktischen Zugriff der Parteien entziehen.

Themen, über die es sich zu reden lohnt, gibt es genug. Nutzt er diese Chance, dann war die Bundespräsidentenwahl am 18. März 2012 eine historische Zäsur. Nutzt er sie nicht, dann werden sich die Deutschen schon bald fragen, ob die Institution Bundespräsident nicht insgesamt überflüssig geworden ist.

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