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Anhörung im Bundestag - Gebt die „Pille danach“ frei!

28 europäische Staaten sprechen sich für die Freigabe der „Pille danach“ aus. CDU-Gesundheitsminister Hermann Gröhe kratzt das nicht. Dabei fußt vorgeschobene Besorgnis auf überholter Moralvorstellung. Ein Kommentar

Autoreninfo

Maike Hansen studiert Kulturwissenschaften mit den Schwerpunkten Literatur und Linguistik an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Sie absolviert außerdem als Stipendiatin die Journalistische Nachwuchsakademie der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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Sonntagnacht, irgendwo in der Republik. Ein Pärchen kommt sich näher, liebt sich. Da passiert es: Das Kondom reißt. Panik. Die nächstgelegene Arztpraxis ist geschlossen.

Es ist ein Szenario, das viele Frauen kennen – und fürchten.

Denn die „Pille danach“ gibt es nur auf Rezept. 460.000 mal wurde dieses im vergangenen Jahr ausgestellt. Doch der Weg dahin ist für Betroffene, die eine Schwangerschaft verhindern wollen, häufig beschwerlich: Sie müssen einen Frauenarzt konsultieren, sich eine Arzneimittelverordnung ausstellen lassen und schließlich eine Apotheke aufsuchen. All das braucht Zeit. Dabei geht es in einer solchen Situation um jede Minute: Je früher die „Pille danach“ geschluckt wird, desto besser wirkt sie.

Es könnte alles viel einfacher sein, wenn die Rezeptpflicht abgeschafft werden würde. Doch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hält nach wie vor an der Beschränkung fest.

Recht auf Hilfe wird vorenthalten


Am Mittwoch (2. Juli) berät der Bundestag zum Thema. Mehrere Experten sind geladen. Der Bundesrat hatte sich bereits vergangenen November für die Abschaffung der Rezeptpflicht ausgesprochen. Ziel war es, den 28 Staaten in Europa zu folgen, in denen die „Pille danach“ bereits rezeptfrei erhältlich ist.

Mitte Februar tobte daraufhin im Bundestag auf Antrag von Linken und Grünen eine heftige Debatte. Die Opposition und die SPD sprachen sich klar für eine Freigabe aus. „Es scheint hier so, als wenn Frauen in einer Notlage das Recht auf Hilfe ohne gute Begründung willkürlich vorenthalten werden soll“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach in der Diskussion.

Gesundheitsminister Gröhe betonte dagegen in einem Interview mit der Welt am Sonntag: „Wir können in Deutschland eine zügige ärztliche Beratung ermöglichen – meist innerhalb weniger Stunden.“

Im Alltag sieht das ganz anders aus: Berufstätige Frauen können ihre Arbeitszeiten meist nicht spontan mit den Sprechzeiten vereinbaren. Am Wochenende vergrößert sich das Problem noch einmal. Vor allem in ländlichen Gebieten müssen die Betroffenen irgendwie in die nächste Notaufnahme des Krankenhauses kommen, dort lange Wartezeiten in Kauf nehmen und anschließend in einem Umkreis von bis zu dreißig Kilometern eine Notdienstapotheke finden.

Ein weiteres Argument von Gröhe: „Wir brauchen eine gute Beratung.“ Die sei nur bei Fachmedizinern möglich – was der Berufsverband der Frauenärzte und die Deutsche Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie selbstredend genauso sehen. Doch ein fachliches Gespräch kann auch in einer Apotheke stattfinden. „Diese Anforderung können gerade die Apothekerinnen und Apotheker mit ihrer Arzneimittelkenntnis und Beratungskompetenz erfüllen“, erklärt Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer.

Gröhe warnt außerdem vor „schweren Nebenwirkungen“. Laut Packungsbeilage der beiden gängigen Präparate PiDaNa und EllaOne leiden nur ungefähr 10 Prozent aller Konsumentinnen des Medikaments an Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder Übelkeit. Die Häufigkeit von schwereren Übeln wie Blasenschmerzen und Gelenkschmerzen liegt bei einem Prozent oder darunter. Zum Vergleich: Hustensaft kann laut Packungsbeilage bei bis zu einem Prozent aller Konsumenten ebenso zu schweren allergischen Schockreaktionen und Atemnot führen.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Lauterbach bringt es auf den Punkt: „Die Hauptnebenwirkung ist die Abtreibung“ – weil das Medikament häufig erst zu spät eingenommen werde.

Schon 2010 räumte die World Health Organisation (WHO) ein, dass „levonorgestrelhaltige Notfallverhütungsmittel für alle Frauen und auch Teenager sicher seien“. Levonorgestel ist bereits seit 43 Jahren verfügbar. Der Stoff wirkt bis zu drei Tage nach dem ungeschützten Sex bei Patientinnen, die unter 75 Kilogramm wiegen. Der alternative, neuere Wirkstoff heißt Ulipristal. Er wirkt auch bei späterer Einnahme und Frauen von bis zu 90 Kilogramm. Ulipristal ist erst seit Oktober 2009 auf dem deutschen Medikamentenmarkt erhältlich.

Aus diesem Grund wäre es verständlich, wenn Deutschland den Beispielen Irlands oder Österreichs folgen würde, wo nur levonorgestrelhaltige Präparate von der Rezeptpflicht entbunden wurden. Schwere Langzeitfolgen sind aus den 43 Jahren nicht bekannt. Der Bundesverband ProFamilia fordert die Freigabe in seiner Kampagne „Panne nach 6“ ebenfalls seit 2012.

Der Berufsverband der Frauenärzte warnt dennoch vor einem „Rückschritt“ bei einer Rezeptfreigabe von Levonorgestrel: Dies würde „Mädchen und Frauen in Deutschland zum Schaden geraten“ und „ihre Wahlfreiheit beeinträchtigen“, das rezeptpflichtige Ulipristalacetat zu erhalten. Zweifellos fürchten die Gynäkologen auch um das lukrative Geschäft mit den verunsicherten Patientinnen.

Eine emotionalisierte Debatte


Die Union plagt sich dagegen mit anderen Ängsten: Eine liberalere Haltung könnte vor allem den rechten Parteiflügel verprellen. Den betroffenen Frauen wird das alleinige Entscheiden über die Einnahme der „Pille danach“ nicht zugetraut. Das zeigt sich auch in einem Twitter-Kommentar des CDU-Gesundheitsexperten Jens Spahn: „Man muss es wohl immer wieder sagen: Das sind keine Smarties.“

Dass die „Pille danach“ kein Stück Schokolade ist, wissen die betroffenen Frauen wahrscheinlich am besten. Dennoch meint die überwiegend männliche CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, in diesem Fall mehr Ahnung zu haben. Damit hält die Partei an einer antiquierten Moralvorstellung fest, die auch in katholischen Krankenhäusern vertreten wurde: Dort wiesen Ärzte eine vergewaltigte Frau ab, die um die „Pille danach“ gebeten hatte.

In diesem Moment zeigt sich, worum es der Union also scheinbar tatsächlich geht: um die Bevormundung von Frauen.

 

 

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