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(picture alliance) Eine Frau hält einen Rosenkranz, der anlässlich des Papstbesuchs in Berlin hergestellt wurde.

Katholizismus in Deutschland - Angst vor dem Schisma

Der Papst stößt in Deutschland auf eine gespaltene Herde. Während die ältere Generation Reformpapiere aus den Siebzigern diskutiert, entdecken Jüngere den katholischen Markenkern für sich.

ES klingt nicht einmal paradox: Wenn Papst Benedikt XVI im September nach Deutschland kommt, zum Heimspiel ins Land seiner Väter, die Bundesrepublik, deren Diözesen dank Kirchensteuer zu den reichsten des Planeten Erde gehören, wird er im deutschen Weinberg des Herrn kein wohlbestelltes Haus vorfinden. Die deutschen Kirchenscharmützel sind einzig auf der Welt. Sie bereiteten dem Vatikan Kummer, seitdem Ratzinger dort als Kardinal aufschlug, und tun es bis heute. Wie sehr, zeigte die Aufregung um ein Papier, das im Frühjahr im Vatikan kursierte. In Deutschland, hieß es darin, wolle eine „konspirative Hierarchie“ aus Gremien, Funktionären und Ordensgeistlichen den Papst vor seiner Ankunft mit unerfüllbaren Forderungen „in die Ecke drängen“, um einen „nationalkirchlichen Sonderweg“ durchzusetzen. Die konkrete Befürchtung in Rom: In Deutschland könne es erneut zu einem Schisma, einer Kirchenspaltung kommen.

Das angebliche Dossier stellte sich bald als form- wie harmlose Zettelsammlung ohne Absender heraus, die erwähnten Forderungen dagegen waren durchaus real: Gerade erst hatten CDU-Größen wie Norbert Lammert und Annette Schavan per offenem Brief die Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt gefordert. Nur zwei Wochen später legten 144 Theologen nach: mit einem Memorandum gegen das Zölibat und für sowohl das Frauenpriestertum als auch synodale Strukturen auf allen, also auch höchsten Ebenen – de facto ein Aufruf zur Abschaffung des Heiligen Stuhls.

Dahinter steckt weniger der Wunsch nach einer Protestantisierung der katholischen Kirche oder destruktive Meuterwut, sondern vielmehr die verzweifelte Macht- und Hilflosigkeit einer Katholikengeneration, die sich nach dem zurücksehnt, was sie selbst noch erlebt hat: ihren Verein als Volkskirche und die nicht immer realitätsnahe deutsche Aufbruchstimmung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

Spätestens mit dem Wohlwollen Konrad Adenauers hat die katholische Kirche hierzulande das über Bord geworfen, was sie im Jahrhundert zuvor von ihren protestantischen Glaubensgeschwistern unterschied: die Skepsis vor zu großer Staatsnähe. Behaglich eingebettet in Bildungsapparat und Sozialwesen, hatte sich aus der Nischenkirche nun ein gesellschaftsformender, intellektuell anspruchsvoller Organismus mit einem agilen Selbstbewusstsein entwickelt. Dass die Qualität deutscher Theologie inzwischen weltweit konkurrenzlos geworden war, zeigte sich während jenes Zweiten Vatikanums 1965: Die Impulsgeber für diese epochale Öffnung und Weiterentwicklung der Kirche waren – neben einigen französischen Ordensgeistlichen – fast ausnahmslos Theologen der deutschen Schule: Karl Rahner etwa, der damalige Kardinal Ratzinger, Hans Urs von Balthasar oder gar der heute abtrünnige Hans Küng.

Während die Weltkirche aufatmete, erlagen die Deutschen ihrem eigenen Arbeits- und Reformeifer: Euphorisiert von den Erfolgen des Konzils und ausgehend von der Idee einer im Grunde durch und durch christlichen Gesellschaft, galt es nun noch ein letztes, großes Ziel zu erreichen: die Ökumene. Nach jahrelangen, teilweise höchst fruchtbaren Annäherungsschritten an die Protestanten schoss man 1975 mit der Würzburger Synode über das Ziel hinaus: Motiviert vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZDK), trugen deutsche Bischöfe im Vatikan schließlich die Forderung nach Frauendiakonat und Zölibats- sowie Hierarchieabschaffung vor.

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Was Rom als Fortentwicklung der 2000 Jahre alten Kirchentradition gemeint hatte, hatte man in Deutschland als Aufruf zur Revolution missverstanden. Der Vorstoß scheiterte und hinterließ ein Heer zutiefst frustrierter Reformer. Als Papst Johannes Paul II daraufhin zur Sicherung katholischer Grundpfeiler in Deutschland zunehmend orthodoxe Bischöfe platzierte, zuletzt den konservativen Kardinal Meisner in Köln, protestierten 1989 schließlich 220 Theologieprofessoren mit der „Kölner Erklärung“ gegen die empfundene Entmündigung und desolidarisierten sich damit kollektiv vom Lehramt. Was außerhalb der Kirche niemanden so recht interessierte, wirkte desaströs nach innen: Mit den verbitterten Laien und den nun abtrünnigen Theologen hatte sich ein Großteil des katholischen Braintrust aus dem Dialog der Kirche verabschiedet und sie geistig verarmt zurückgelassen.

Die Gefechtslage in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten allerdings deutlich gewandelt. Beschleunigt durch die Wiedervereinigung, führt die Säkularisierung inzwischen dazu, dass der Katholizismus es längst nicht mehr primär mit glaubensverwandten Protestanten zu tun hat, sondern mit einer Mehrheit, die gar nicht mehr glaubt. Das Frauenpriestertum, so dämmert es nun auch vielen Reformern, wird die Brücke zum neuen Gegenüber nicht mehr schlagen. Abgesehen davon, dass auch die evangelische Kirche kein tröstlicheres Bild abgibt. Wie wenig auch die Theologen noch überzeugt davon sind, den katholischen Karren in Deutschland durch die exakte Konservierung von Forderungen aus den siebziger Jahren wieder zum Laufen zu bringen, zeigte sich zuletzt an den vagen, unentschlossenen Formulierungen des Memorandums 2011. Nur, was hilft dann? „Die große Grundidee, mit einer neuen Freudigkeit und Zuversicht auf die Welt zuzugehen, ist zu dieser kleinen Idee, möglichst niemanden zu ärgern und möglichst so zu sein wie alle anderen, heruntergesunken. Dadurch ist dem Christentum keine ansteckende Kraft mehr geblieben“, bilanzierte Joseph Ratzinger bereits 2003 in einem Interview.

Während die ergrauten Revoluzzer von einst praktizieren, was der Theologe und Psychologe Manfred Lütz einmal die „Konservativität der Progressiven“ nannte, findet unter den jüngeren Katholiken längst ein Paradigmenwechsel statt. Wer die Kirche nie als Volkskirche gekannt hat, fürchtet sich auch weniger davor, sie könne mit allzu konkreten Glaubensbekenntnissen den Anschluss verlieren. In der Zeit um das katholische Jahr 2005, als Johannes Paul II starb und der deutsche Papst gewählt wurde, als in Köln der Weltjugendtag stattfand und Deutschland eine kurze, aber heftige Zuneigung zu Benedikt XVI entwickelte, hat vielfach auch eine Rückbesinnung auf den eigentlichen katholischen Markenkern stattgefunden.

Das stürmische Pontifikat des jetzigen Papstes hat die Austrittswelle auch in Deutschland nicht aufhalten können. Was vorher an Spaltung, Misstrauen, Angst und Resignation in der Kirche war, wurde durch das Grauen der Missbrauchsfälle vielfach vertieft. Aber wer noch zur stetig schrumpfenden Masse der praktizierenden Katholiken gehört, ist inzwischen oft Überzeugungstäter. Wenn junge Katholiken überhaupt noch in die Messe gehen, dann inzwischen eher zur vom Papst protegierten Feier des alten Ritus im Berliner Institut St. Afra als in den Künstlergottesdienst zum Ausdruckstanz. Man sieht sie eher zu den deutschlandweiten „Nightfever“-Gebetsnächten pilgern als zum Klimawandeltreff des „Bundes der Deutschen Katholischen Jugend“. Und um sich an der kirchlichen Lehre zu reiben, greifen sie im Zweifel lieber zum katholischen Jugendkatechismus „YouCat“ als zu Hans Küngs „Ist die Kirche noch zu retten?“ Und wenn der Papst nach Deutschland kommt, wird es der U-50-Generation weniger um Thesenpapiere, Strukturdebatten, Dialogprozesse und Reformagenden gehen, sondern doch auch und vor allem um die Frage nach dem lieben Gott. Und der Papst, so viel ist sicher, wird liefern.

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