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Angela Merkels „Wir schaffen das“ - Die Sprücheklopferin

Mit ihrem „Wir schaffen das“ wollte Angela Merkel Zuversicht verbreiten. Doch der Spruch entpuppt sich bei näherem Hinsehen als mehrdeutig und inhaltsleer. Die Bundeskanzlerin sollte ihren Bürgern endlich reinen Wein in der Flüchtlingsfrage einschenken

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wenn wir jetzt anfangen müssten, „uns zu entschuldigen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen“, dann sei das „nicht mein Land“. So sprach die Kanzlerin, und seither herrscht einigermaßen betretenes Schweigen.

Wer Angela Merkel noch bis vor kurzem vorgeworfen hatte, die Schleusen geöffnet und dabei das Recht außer Kraft gesetzt zu haben, sieht sich nun in der Position des moralischen Verlierers, des kaltherzigen Chauvinisten, des positivistischen Erbsenzählers.

Allerdings: Niemand hat von ihr eine Entschuldigung verlangt. Sondern eher, die Folgen ihres Tuns wenn schon nicht vom Ende her zu denken, dann doch zumindest dessen Auswirkungen zu erläutern.

Humanitäre Aktion erfordert auch Erklärungen
 

Denn es ist ja nicht so, dass eine humanitäre Aktion außerhalb jeglichen Erklärungszusammenhangs stünde – selbst wenn dann zweifelsfrei andere Regeln zu gelten haben. Spätestens seit dem militärischen Eingreifen Deutschlands auf dem Balkan dürfte darüber kein Zweifel mehr bestehen. Und ein „freundliches Gesicht“ zu zeigen ist eben immer dann besonders opportun, wenn damit vor allem das eigene Antlitz gemeint ist, nicht aber die Gesichter derjenigen, die deshalb an vorderster Front sind.

Also beispielsweise die Bürgermeister von Städten und Gemeinden, denen angesichts der schieren Masse an Asylsuchenden, Flüchtlingen und anderen Zuwanderern das Wasser bis zum Hals steht. So ist es denn auch nur das freundlich lächelnde Konterfei Angela Merkels, das jetzt die Titelseite des französischen Magazins Le Point ziert – verbunden mit dem Stoßseufzer: „Wenn sie doch bloß Französin wäre…“

Dabei hätte Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter es womöglich eher verdient, derart prominent gehuldigt zu werden. Nun denn.

Markante, inhaltsleere Sprüche
 

Das eigentliche Ärgernis an Merkels seltsam erratischer Flüchtlingspolitik ist die Inhaltsleere ihrer markanten Sprüche, die merklich darauf angelegt sind, in die Geschichtsbücher einzugehen. Da wäre zum Beispiel das apodiktische „Wir schaffen das!“ Klingt gut, klingt zupackend, klingt zuversichtlich. Und es klingt auch besonders charmant aus dem Mund einer Frau, die sich noch vor einigen Wochen während der jüngsten Eurokrise tausendfach auf Plakaten mit Hitlerbärtchen und Folterwerkzeugen abgebildet sehen musste.

Aber der sympathische Hegemon verliert seinen Charme schon wieder in Höchstgeschwindigkeit, weil den Menschen in Deutschland und Europa ein nettes Lächeln auf Dauer nicht ausreicht. Denn jeder merkt – oder müsste zumindest merken –, dass mit der Massenmigration derzeit Fakten geschaffen werden, die unsere Gemeinwesen auf Jahre und Jahrzehnte verändern werden. Ob zum Guten oder zum Schlechten, das sei einmal dahingestellt. Und ja: Es liegt auch an uns, nicht nur an denen, die jetzt kommen.

Aber was bedeutet vor diesem Hintergrund eigentlich der kesse Spruch „Wir schaffen das“? Wer ist „wir“? Die deutsche Gesellschaft ganz allgemein? Die Kommunen? Das Technische Hilfswerk? Die Politiker? Unsere Sozialsysteme? Oder ist damit gar, was nur allzu konsequent wäre, die europäische Öffentlichkeit gemeint?

Denn Flüchtlingspolitik, das hat die Bundesregierung ja klar und deutlich gemacht, kann keine Angelegenheit nationaler Alleingänge sein. Mit welchem Recht würde sich die Bundeskanzlerin es dann aber herausnehmen, über die Aufnahme- und Integrationsfähigkeit unserer Nachbarländer zu urteilen? Um nicht zu sagen: ihnen entsprechende Befehle zu erteilen?

Mehrdeutige Wortwahl
 

Außerdem wüsste man so langsam schon ganz gern, wie sich das „Schaffen“ definiert. Was genau gilt es denn zu schaffen? Die bürokratische Abwicklung der Migrantenströme inklusive Asylverfahren und möglichen Abschiebungen? Die kurzfristige Unterbringung Hunderttausender in provisorischen Zeltlagern und Containerdörfern? Oder gar die langfristige Integration von Millionen Neuankömmlingen aus anderen Kulturkreisen?

Letzteres mag zwar ein hehres Ziel sein (und insbesondere auch im Sinn der deutschen Wirtschaftsverbände, die dieser Tage auf billige Arbeitskräfte hoffen, für die gewiss schon bald eine Aufhebung des Mindestlohns gefordert wird). Aber wie soll gleichsam über Nacht etwas funktionieren, das sich in der Vergangenheit schon in viel kleinerer Dimension als schwierig bis teilweise unmöglich erwiesen hat?

Nein, jetzt ist gewiss nicht der richtige Moment für Defätismus. Dafür aber umso mehr für pragmatische und praktische Lösungsansätze. Salopp dahingesagte Lippenbekenntnisse grenzen dagegen an Volksverdummung.

Es wäre an der Zeit, dass die Bundeskanzlerin ihren Bürgern reinen Wein einschenkt. Und ihnen sagt, dass die derzeitigen Zuwanderungswellen ihren Preis haben werden. Nicht nur finanziell, sondern auch kulturell und nicht zuletzt auch auf dem Gebiet der inneren Sicherheit. Sonst „schaffen wir das“ nämlich ganz sicher nicht.

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