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Platz 7 der meistgelesenen Artikel 2014 - Das Märchen vom Gespenst der AfD

Der stellvertretender Sprecher der AfD Baden-Württemberg, Marc Jongen, plädiert in seinem Gastbeitrag für eine thematische Öffnung der Partei. Will die AfD politisch erfolgreich sein, so Jongen, dann muss sie liberal und konservativ sein, zuweilen auch reaktionär. Ein Manifest

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Dr. Marc Jongen, geb. 1968, ist Dozent für Philosophie an der HfG Karlsruhe sowie Assistent des Rektors Peter Sloterdijk. Er ist außerdem stellvertretender Sprecher sowie Programmkoordinator der AfD Baden-Württemberg. Foto: privat

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Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst der AfD. Alle Mächte der Bundesrepublik haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, die Kanzlerin und der Bundespräsident, Bischof Zollitsch und Claudia Roth, die Antifa und die Mainstream-Medien.

Wo ist die Äußerung eines Sprechers der Alternative für Deutschland, die nicht von einem dieser Gegner als populistisch und schlimmer noch: als rechtspopulistisch gebrandmarkt worden wäre, wo ist der Vorschlag der AfD, dem der Chor dieser unseligen Allianz nicht die „Alternativlosigkeit“ der herrschenden Politik entgegenschleudern würde?

Zweierlei geht aus dieser Tatsache hervor. Die AfD wird bereits von allen Mächten in Deutschland als eine Macht anerkannt.

Es ist hohe Zeit, dass die Alternative für Deutschland ihre Anschauungsweise, ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegt und dem Märchen vom Gespenst der AfD ein Manifest der Partei selbst entgegenstellt. Zu diesem Zweck wird die Partei in den kommenden Monaten durch einen Prozess der Selbstfindung hindurchgehen müssen. Dabei sollten einige politische Grundsätze und Leitlinien unbedingt beachtet werden, wenn die AfD ihrer historischen Mission gerecht werden will.

Marx und Engels hatten im 19. Jahrhundert noch geglaubt, die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft sei die Geschichte von Klassenkämpfen. „Bourgeoisie und Proletariat“ stünden sich als zwei große, feindliche Lager antagonistisch gegenüber. Das 20. Jahrhundert hat diese Ansicht grandios Lügen gestraft, indem es eine Verbürgerlichung des Proletariats mit sich brachte. Eigenheime und Fernreisen für Arbeiter und Sekretärinnen – gegen dieses Argument des Kapitals war alle Klassenkampfrhetorik Schall und Rauch.

Spätestens die Banken- und Währungskrise hat jedoch gezeigt: Das Bündnis oder besser gesagt die Zweckgemeinschaft zwischen Finanzkapital und Bürgertum existiert nicht mehr. Im 21. Jahrhundert droht ein historischer Rückschlag: die Proletarisierung der bürgerlichen Mittelschicht.

Unter Missachtung ihres Auftrags, die Völker ihrer Länder zu repräsentieren, haben die Parlamente und Regierungen Europas einem gigantischen Umwandlungsprogramm privater Bankschulden in öffentliche Schulden zugestimmt. In einem beispiellosen Akt der Enteignung wurde die steuerzahlende Bevölkerung für die Fehler einer teils irregeleiteten, teils kriminellen Spekulantenkaste in Haftung genommen. Die strukturelle Korruption der Politik ist damit erwiesene Tatsache.

Als folgte die Geschichte einer sarkastischen Dialektik, erleben wir heute die Rache der Planwirtschaft. Nach dem vermeintlich endgültigen Triumph des freien Marktes, beschließt das Politbüro der EU – alias Europäischer Rat – unter Führung Deutschlands die politische Suspendierung der Marktgesetze. Die institutionalisierte Insolvenzverschleppung namens ESM-Schirm sowie die Zweckentfremdung der EZB als Bad-Bank für Anleihen von Pleitestaaten haben eine neue ökonomische Ordnung, einen „Bankensozialismus“, entstehen lassen. Während die Miesen der Geldhäuser in negatives „Volkseigentum“ verwandelt werden, bereichert sich eine winzige Finanznomenklatura so maß- und schamlos wie weiland ihr politisches Gegenstück in den Sowjetrepubliken.

Das Erscheinen der Alternative für Deutschland auf der politischen Bühne bedeutet vor allem eines: diese Zusammenhänge kommen den Bürgern zu Bewusstsein, der Widerstand hat begonnen. Die bürgerliche Mitte ist heute – paradox genug – die eigentlich revolutionäre Klasse. Der Endzweck dieser Revolution ist freilich nicht die klassenlose Gesellschaft, sondern die Wiederherstellung der sozialen Marktwirtschaft und der Souveränität des Volkes gegenüber dem Lobbyismus.

Alle von der AfD bisher formulierten Ziele tragen restaurativen Züge: Zurück zu den Maastrichter Verträgen, zurück zu den im Grundgesetz formulierten Prinzipien, zurück, wenn nötig, zur nationalen Währung. Vor dem beschriebenen Hintergrund ist das konsequent und richtig. Ohne die Restauration von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, von Vertragstreue und Marktwirtschaft ist „Fortschritt“ heute bestenfalls eine Leerformel, schlimmstenfalls Betrug.

Die Alternative für Deutschland wird aber nur dann dauerhaft Erfolg haben, wenn sie eine positive Zukunftsvision für Deutschland und für Europa zu entwerfen vermag. In einer Zeit der permanenten Verdampfung alles „Ständischen und Stehenden“ steht dem konservativen politischen Temperament nur noch eine „konservative Avantgarde“ als starke Positionierung offen:

Wo Bewahrenswertes noch lebendig ist, muss es gegen das weitere Fortschreiten der Korruption verteidigt werden. Wo aber der Amoklauf der Moderne sein „Krise“ genanntes Zerstörungswerk schon vollendet hat, müssen tradierungswürdige Zustände neu geschaffen werden. Eine Schlüsselrolle werden dabei unsere Landessprache und die Familie spielen. Beides sind essenzielle Bausteine der Kulturtradierung, ohne die aus dem „Wirtschaftsstandort Deutschland“ das zweite Wort schon bald zu streichen sein wird.

Zum bedrohten geistigen Bestand unseres geschundenen Kontinents zählt nicht zuletzt die bürgerliche Liberalität selbst. In ihrem Namen versuchen dreiste Ideologen in der Presse und in den Ministerien, das freie Denken und das freie Leben politisch korrekt auf Linie zu bringen. Wo „Gleichstellung“ steht, ist „Gleichschaltung“ nicht weit – die Gleichberechtigung hat das Nachsehen.

Der angebliche Widerspruch zwischen einem konservativen und einem liberalen Parteiflügel der AfD ist damit als Propaganda des politischen Gegners enttarnt. Genuin liberal zu sein, heißt heute, konservativ zu sein. Zuweilen sogar reaktionär.

Auf lange Sicht ist der Euro weder das einzige, noch das wichtigste Thema der AfD. Am Widerstand gegen das ökonomisch unsinnige und politisch korrupte Himmelfahrtskommando des Euro entzündete sich erstmals der Wille der Partei, die Interessen der Bürger konsequent vor die Interessen der nationalen und internationalen Bürokratien und Konzerne zu stellen. Dieser Wille muss jetzt nur noch reflektiert und für alle Politikfelder durchdekliniert werden. Die Vision eines anderen Deutschland – zugleich das Programm der AfD – wäre  geboren:

Die Vision eines Deutschlands, dessen produktive, kulturtragende Schicht sich aus dem Zangengriff von ausufernder Sozialindustrie unten sowie asozialen Finanzeliten oben befreit, in dem echter Bürgersinn und Meritokratie folglich wieder Platz greifen können. Die Vision eines Deutschlands, dessen Weltoffenheit nicht einem verdrucksten schlechten Gewissen, sondern einem gesundeten Selbstbewusstsein entstammt. Dieses allein befähigt zur echten Wertschätzung des Fremden – wie auch zu dessen gerechter Kritik. Nur ein solches Land ist im Übrigen attraktiv für solche Zuwanderer, die zur Integration willens und fähig sind.

Es ist die Vision eines Deutschlands, das von den europäischen Nachbarn wieder geachtet und vielleicht sogar gemocht wird. Eines Deutschlands, das nicht mehr im Geheimen gehasst wird, weil es seine ihm nolens volens zufallende Führungsrolle dazu missbraucht, seine tatsächlichen und vermeintlichen Tugenden anderen souveränen Staaten aufzuoktroyieren.

Die Europäische Union – Zentralmonster der strukturellen Korruption im politischen System Europas – muss dafür einer tiefgreifenden Reform unterzogen werden. Sie muss von ihrem hybriden Anspruch befreit werden, die Länder in ihren Fängen peu a peu in einen Bundesstaat zu zwingen. Da dies ohne die Hilfe der „guten Europäer“ überall auf dem Kontinent nicht gelingen kann, wird die AfD ihre Erweiterung folgerichtig in einer „Alternative für Europa“ finden.

Dr. Marc Jongen, geb. 1968, ist Dozent für Philosophie an der HfG Karlsruhe sowie Assistent des Rektors Peter Sloterdijk. Er ist außerdem stellvertretender Sprecher sowie Programmkoordinator der AfD Baden-Württemberg.

 

 

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