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AfD - Rechtspopulismus gehört jetzt zu Deutschland

In Sachsen zog die AfD am Sonntag erstmals in ein Landesparlament ein. Es könnte der Anfang einer Erfolgsgeschichte werden. Die etablierten Parteien reagieren ratlos und nervös. Aus gutem Grund

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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In den vergangenen beiden Wochen ließ sich im Fernsehen beobachten, welches Ende es mit einem Rechtspopulist in Deutschland nehmen kann. Einst schickte sich Ronald Barnabass Schill an, das bundesdeutsche Parteiensystem herauszufordern. Aus dem Stand erzielte er vor dreizehn Jahren bei der Landtagswahl in Hamburg mit seiner Partei Rechtsstaatliche Offensive 19,4 Prozent, anschließend wurde Schill Innensenator der Hansestadt. Die etablierten Parteien zitterten vor dem selbst ernannten Richter Gnadenlos, der damals lautstark und mit ausländerfeindlichen Sprüchen ankündigte, von Hamburg aus Deutschland erobern zu wollen. Erst drei Jahre später ging ihnen auf, dass sie auf einen Scharlatan hereingefallen waren. Inzwischen amüsiert sich die Republik über Schills bizarre Sexbeichten und seine hüftsteifen Auftritte in der Fernsehshow Promi Big Brother.

Es mag Zufall sein, dass Schill seinen peinlichen Auftritt bei Sat 1 ausgerechnet in diesen Tagen hat, in denen sich erneut eine Partei rechts von der Union auf den Weg macht, das Parteiensystem herauszufordern. In Sachsen zog die AfD bei der Landtagswahl am Sonntag erstmals in ein Landesparlament ein. In zwei Wochen werden in Brandenburg und Thüringen voraussichtlich zwei weitere Landesparlamente folgen. Eine Überraschung ist dies nicht: Denn anders als bei der Schillpartei wird der Erfolg nachhaltiger sein.

Tatsächlich haben die etablierten Parteien jeden Grund zu zittern. Sie haben kein Rezept gegen den Aufstieg der AfD. Die Hoffnungen, die AfD werde wie die Schillpartei am Größenwahn des Vorsitzenden scheitern oder sich wie die Piraten im innerparteilichen Dauerstreit selbst zerlegen, sind wohlfeil. Sie zeigen die große Ratlosigkeit der etablierten Parteien. Die vergangenen Monate haben gezeigt: Weder nützt es, die AfD und die Sorgen ihrer Wähler zu ignorieren, noch hilft es, sie programmatisch zu umarmen, wie es die CSU bei der Europawahl versucht hat.

Das hat vor allem drei Gründe.

1. Die Große Koalition erstickt den Parteienstreit.


Die Demokratie lebt vom Wettstreit der Ideen, sie lebt von den politischen Auseinandersetzungen, von politischen Alternativen, die dann auch zur Wahl stehen. Doch seit die Kanzlerin das Wort „alternativlos“ zum Fixpunkt ihrer Politik gemacht hat und seit in Berlin eine Große Koalition regiert, wird der politische Streit zwischen den Parteien und den politischen Lagern erstickt. Dabei böten der Euro, der Paradigmenwechsel in der Außenpolitik, die Rente mit 63 und die Einwanderungswelle, die Deutschland derzeit erlebt, jeden Anlass für große gesellschaftliche Debatten. Die Mini-Opposition im Bundestag, die nur über 127 von 631 Mandaten verfügt, kann dem nichts entgegensetzen. Kein Wunder, dass sich enttäuschte Wähler politischen Alternativen zuwenden. Kein Wunder, dass sich enttäuschte bürgerlich-konservative Wähler eine rechte parteipolitische Alternative suchen.

Die Demokratie lebt zudem davon, dass es immer eine Regierung im Wartestand gibt, aber wenn es bei der Wahl – sei es im Bund oder am vergangenen Sonntag in Sachsen – nur noch darum geht, wer die kommenden vier Jahre Juniorpartner der CDU werden darf, dann fühlen sich viele Wähler zusätzlich nicht mehr ernst genommen.

2. Die Transformation des Parteiensystems ist weit fortgeschritten.


Die Wähler werden immer flexibler, und das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Die Stammwähler der Parteien, die ihr Kreuz stoisch immer an derselben Stelle machen, sind unter den Wahlberechtigten in Deutschland mittlerweile eine kleine Minderheit. Gleichzeitig wird der Parteienmarkt immer vielfältiger und bunter. Zwar sind im Bundestag nur fünf Parteien vertreten, aber zwei scheiterten knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. In den sechzehn deutschen Landesparlamenten tummeln sich mittlerweile elf verschiedene Parteien: CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne, Linke, Piraten, Freie Wähler, SSW, AfD und NPD. Das Parteiensystem in Deutschland hat sich innerhalb von zwei Jahrzehnten in ein Vielparteiensystem transformiert. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Gleichzeitig haben CDU und SPD in manchen Bundesländern Mühe, zusammen mehr als die Hälfte der Wähler zu mobilisieren.

3. Bei der AfD sind politische Profis am Werk.


Wie jede neue Partei hat auch die AfD viele politische Hasardeure und Halbirre angelockt und wie in jeder neuen Partei gibt es auch bei der AfD heftige politische Auseinandersetzungen um den politischen Kurs. Doch im Kern wird die Partei von einer ganzen Reihe politischer Profis zusammengehalten, die politische Kampagnen und Wahlkämpfe organisieren sowie politische Quertreiber isolieren können. Viele von ihnen kommen aus der Union, einige von der FDP. Sie beherrschen die Kunst, Ressentiments gegen Migranten, gegen die politischen Eliten oder gegen Europa nur dosiert zu schüren. Dadurch wird die AfD auch für viele bürgerlich-konservative Wähler wählbar und kann sich der CDU sogar glaubhaft als Koalitionspartner andienen. Hinzu kommt, dass die AfD – anders als die Schillpartei oder die Piraten – ein intellektuelles Umfeld besitzt, das im rechtskonservativen und rechtspopulistischen Lager politische Debatten führen und Wähler längerfristig binden kann. Die AfD ist dadurch mehr als eine reine Protestpartei, sondern zeigt stattdessen erste Ansätze eines eigenen Wählermilieus.

Die AfD wird vermutlich also nicht so schnell wieder verschwinden wie die Piraten oder die Schillpartei. Das Credo, die Deutschen seien nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus – anders als die europäischen Nachbarn – immun gegen rechtspopulistische und rechtsextreme Versuchungen, könnte sich schon bald endgültig als Lebenslüge entpuppen. Auch in Deutschland werden wohl bald niederländische, österreichische oder dänische Verhältnisse herrschen.

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